Am 12. August 1989 wagten mehrere Gruppen der Extremen Rechten in der Schweiz zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg den gemeinsamen politischen Gang auf die Strasse. Der Aufhänger des Aufmarsches waren die Zentenarfeiern zur Französische Revolution. Gaston-Armand Amaudruz, der Wortführer des Anlassses, hetzte per Megafon auf die universellen Menschenrechte, die für die „aussereuropäische Invasion“ verantwortlich seien und deren Ursprung er in der Französischen Revolution lokalisierte. In diesem Auftritt manifestierte sich ein gewachsenes Selbstvertrauen der Extremen Rechten in der Schweiz, das sich bereits seit den Jahren 1986/1987 in Form von Gruppengründungen, medialen Auftritten und vermehrter, rassistisch motivierter Gewalt abzuzeichnen begonnen hatte. Die politische Ausrichtung der neuen Gruppen reichte von ultranationalistischen bis zu nationalrevolutionären Gesellschaftsentwürfen. Als 1991 wichtige Akteure wegen gewalttätiger Übergriffe gerichtlich belangt wurden, fand der „kleine Frontenfrühling“ – wie diese Phase in der aktuellen Forschung in Anlehnung an den Frontenfrühling der 1930er-Jahre bezeichnet wird – ein vorläufiges Ende.
Die Geschichte des kleinen Frontenfrühlings wurde aus ereignishistorischer Perspektive bereits untersucht. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Organisationsformen und Mobilisierungsressourcen, den politischen Aktionen und Netzwerken. Die ideologischen Hintergründe, Motive, Denk- und Deutungsmuster wurden dabei nur am Rande berücksichtig. Zur Erschliessung dieses Feldes dienten deshalb folgende Leitfragen: Welche Elemente prägten die Ideologie der Rechtsextremen in der Schweiz im Untersuchungszeitraum von 1987–1995? Welche Geschichtsbilder und Mythen wurden zur ideologischen Legitimation genutzt und reproduziert? Wie wurden historische Ereignisse und Geschichtsmythen von den Rechtsextremen gedeutet? Ausgehend von Roger Eatwells Ideologietheorie, die Geschichtsbilder und Mythen als konstitutiv für jede Ausprägung von Ideologie bestimmt, wurden in der vorliegenden Arbeit sieben wichtige rechtsextreme Gruppierungen im behandelten Zeitraum hinsichtlich ideologischer Merkmale untersucht. Der Fokus wurde dabei auf die Deutschschweiz gerichtet, wo der geographische Schwerpunkt des kleinen Frontenfrühlings lag. Der theoretische Boden lieferten neben Roger Eatwell auch das Ideologiekonzept von Kurt Lenk und verschiedene Beiträge über den Zusammenhang von Geschichtsbildern und (nationaler) Identität von Guy P. Marchal, Georg Kreis und Manfred Hettling. Als Quellen wurden rechtsextreme Flugblätter, Publikationen, Parteizeitungen, Fan-Zines (Fan-Magazine) und Zeitungsartikel beigezogen und mittels der Methode der Objektiven Hermeneutik untersucht. Das Computerprogramm MAXQDA diente dabei zur Codierung des Quellenmaterials und der Systematisierung der Erkenntnisse.
Die Frage nach den Ursachen des kleinen Frontenfrühlings oder des Rechtsextremismus im Allgemeinen wurde bewusst ausgeklammert. Durch das Aufzeichnen des historischen Kontextes (nationale Orientierungs- und Identitätskrise in der Schweiz Ende der 1980er-Jahre, Auswirkung der Modernisierung) konnten dennoch einige gesellschaftliche Faktoren für das Aufkommen der rechtsextremen Gruppen herausgearbeitet werden, die sich wiederum in den jeweiligen Ideologiefragmenten und Geschichtsbildern niedergeschlagen hatten. Das ideologische Grundmuster im kleinen Frontenfrühling war die stark dichotome Unterscheidung von Eigen und Fremd. Das eigene Selbstverständnis basierte auf der Vorstellung eines homogenen, nach rassischen Merkmalen segregierten Kollektivs, das leistungsfähig, arbeitswillig, diszipliniert, kampfbereit und physisch gesund sei. Zudem spielten auch soziobiologistische Erklärungsmuster und die Selbsteinschätzung als „Krieger im Rassenkampf“ für das Selbstverständnis der rechtsextremen Akteure eine wichtige Rolle. Dabei dienten primär die Feindbilder zur Definition des Selbst, die ausführlich aber diffus beschrieben wurden. Die Geschichtsbilder, die sich in den Publikationen der Extremen Rechten widerspiegelten, waren äusserst einheitlich. Sowohl im thematischen Interesse an Geschichte als auch im Umgang damit liessen sich klare Muster herausarbeiten. In rechtsextremen Publikationen waren Abhandlungen über „die Kelten“, den Gründungsmythos der Schweiz, „die Eidgenossen“, die Französische Revolution und den Zweiten Weltkrieg nachzulesen. Ihr Geschichts- und Zeitverständnis bestand aus simplen historischen Kontinuitäten. Die Exponenten des kleinen Frontenfrühlings stellten ihre politischen Aktivitäten in eine vermeintlich jahrhundertealte Tradition und betrieben einen ausgeprägten Ahnenkult. Dabei wurde der Lauf der Geschichte als zirkulär gedeutet. Während die Vergangenheit und Zukunft äusserst positiv dargestellt wurden, galt die Gegenwart als eine tiefschwarze Zeit, die es im politischen Kampf zu überwinden gelte; eine Perspektive, die sich rückwärts in die Zukunft richtete.