Ausgeleuchtet und dem Vergessen enthoben? Bilder und Daten der Schweizer Geschichte digital

Autore del rapporto
Tommaso
Sorrentino
Universität Bern
Citation: Sorrentino Tommaso: « Ausgeleuchtet und dem Vergessen enthoben? Bilder und Daten der Schweizer Geschichte digital », infoclio.ch Tagungsberichte, 12.08.2025. En ligne: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0377>, consulté le 21.08.2025

Verantwortung: Tobias Hodel

Referierende: Cécile Vilas / Sonja Matter / Werner Bosshard / Moritz Mähr

Kommentar: Tobias Hodel

Moderation: Béla Kapossy

 

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BÉLA KAPOSSY (Lausanne) eröffnete das Panel, das sich mit Bildern, Fotografien und audiovisuellen Dokumenten als historische Quellen beschäftigte, mit einem Überblick zum Ablauf: Die Präsentatio­nen führten vom Allgemeinen zum Spezifischen. Infolgedessen wurden unterschiedliche Aspekte des Panelthemas beleuchtet, darunter Fragen der Erschliessung und Inventarisierung, der Digitali­sierung, der Zugänglichkeit, aber auch rechtliche und ethische Dimensionen wie Urheberrecht und Schutz von Persönlichkeitsrechten.

CÉCILE VILAS (Bern) hob die Bedeutung des audiovisuellen Kulturerbes der Schweiz hervor. Dieses sei zentral für die Erinnerungskultur, finde jedoch ausserhalb von Fachkreisen wenig Beachtung. Zudem zeichne sich das audiovisuelle Kulturgut (Fotografie, Ton, Film und Video) durch eine kom­plexe Materialität aus, die besondere Anforderungen an Konservierung und Zugriff stelle. Mit der Di­gitalisierung seien neue Herausforderungen hinzugekommen: So eröffnete dieser Prozess einer­seits die Möglichkeit, grosse Datenmengen effizienter zu verarbeiten, brachte andererseits jedoch erhöhte Anforderungen an deren nachhaltige Speicherung und systematische Erfassung mit sich. Als Ausgangspunkt skizzierte Vilas zunächst die verspätete kulturpolitische Anerkennung des audi­ovisuellen Kulturerbes der Schweiz, dessen Erhaltung erst in den 1980er-/1990er-Jahren als öffent­liche Aufgabe erkannt wurde. Zwar liess sich eine zentrale «Metainstitution» politisch nicht durch­setzen, 1995 wurde allerdings mit Memoriav eine pragmatische «suisse solution» geschaffen – ein breit vernetzter Verein zur Sicherung, Erschliessung und Valorisierung audiovisueller Quellen. Me­moriav setzt sich auf zwei Ebenen für den Erhalt des audiovisuellen Kulturerbes der Schweiz ein, wie Vilas erläuterte. Einerseits wird seit 2020 die Plattform memobase im Bundesauftrag betrieben, auf der über eine Million erschlossene Fotografien, Filme und Tondokumente aus 143 Gedächtnisinstitu­tionen bereitgestellt werden, die dank Volltextsuche gezielt genutzt werden können. Andererseits durchlaufen audiovisuelle Dokumente, bevor sie auf memobase zugänglich sind, einen langen Pro­zess von der Sichtung und Digitalisierung bis zur Langzeitarchivierung. Besonders herausfordernd sei dabei die Vielfalt der Quellen und ihre oft ausserinstitutionelle Provenienz. Mit Verweis auf Aleida Assmann betonte Vilas abschliessend, der iconic turn sei keine radikale Epochenwende, sondern Ausdruck einer veränderten Wahrnehmungslogik.

SONJA MATTER (Bern) und WERNER BOSSHARD (Bern) stellten das Multimediaprogramm des Histo­rischen Lexikons der Schweiz (HLS) vor und rückten die zunehmende Integration audiovisueller Quel­len ins Zentrum. Dabei würden sich zentrale Fragen hinsichtlich der Auswahlkriterien, der Repräsen­tativität sowie der Wirkung stellen – etwa, welche Bilder als besonders bedeutsam gelten und wie deren Darstellung auf der HLS-Website ihre Aussagekraft beeinflusst. Matter erläuterte zunächst die ethischen Leitlinien des HLS-Multimediaprogramms im Anschluss an Ansätze der Visual History, de­ren Ausarbeitung von der starken Resonanz auf Bilder zur Erziehungsanstalt Lerchenheim angestos­sen wurde. Diese Reaktion verdeutliche die Verantwortung bei der Auswahl audiovisueller Quellen, die nicht ein abgeschlossenes Bild der Vergangenheit vermitteln, sondern zur kritischen Reflexion anregen sollen. Besonders herausfordernd sei das Spannungsfeld zwischen dem aufklärerischen Po­tenzial audiovisueller Quellen und der Gefahr, die historische Diskriminierung der dargestellten Per­sonen durch die Reproduktion dieser Quellen zu perpetuieren. Matter hob dabei insbesondere das Potenzial audiovisueller Dokumente hervor, historische Prozesse emotional erfahrbar zu machen – vorausgesetzt, die Quellen werden kritisch kontextualisiert. Aus diesen Gründen bemühe sich das HLS gerade bei sensiblen Themen wie kolonialen Verflechtungen oder fürsorgerischen Zwangsmas­snahmen, diskriminierende Darstellungen zu vermeiden und mittels Bildlegenden auf Gewalt- und Machtverhältnisse aufmerksam zu machen. Dieses Vorgehen veranschaulichte Bosshard mit dem HLS-Projekt «Koloniale Verflechtungen der Schweiz», dessen Ziel es sei, die eurozentrische Über­lieferungsmacht zu durchbrechen und vergangene Spuren des Kolonialismus sichtbar zu machen. Abschliessend hob Matter erneut hervor, dass beim HLS intensiv an einer Bildethik gearbeitet wurde, die Auswahl, Deutung und multiperspektivische Vielstimmigkeit der Lexikoneinträge sowie die Erar­beitung allgemeingültiger Leitlinien ins Zentrum rückt.

MORITZ MÄHR (Basel) präsentierte die Forschungsdatenplattform Stadt.Geschichte.Basel, das digi­tale Nachfolgeprojekt der Basler Stadtgeschichte. Darauf werde in kantonalem Auftrag ein öffentlich zugängliches Online-Portal als «virtuellen Speicher» der Basler Stadtgeschichte geschaffen, das diese Geschichte langfristig sichern und den kontinuierlichen Dialog mit der Öffentlichkeit fördern soll. Wie Mähr erläuterte, erwies sich allerdings dieses ursprüngliche Konzept, Öffentlichkeit und Forschung zugleich zu adressieren, als zu ambitioniert. Daher erfolgte eine funktionale Trennung in ein öffentliches Portal mit Blog und Vermittlungsformaten sowie einen Forschungsbereich mit Fo­kus auf Open Access, maschinelle Lesbarkeit und Langzeitverfügbarkeit. Die aufbereiteten Daten sind umfassend erschlossen und dokumentiert, wofür eine eigene Plattform mit Datenmanagement­plänen und Richtlinien entstand. Das Portal nimmt dabei auch ethische Aspekte sowie Fragen der Zugänglichkeit ernst. Ein zentrales Element ist zudem das Handbuch für diskriminierungsfreie Me­tadaten, das 2024 publiziert und als «living handbook» konzipiert wurde.

In seinem Kommentar problematisierte TOBIAS HODEL (Bern) zunächst den Glauben an die ubiqui­täre Verfügbarkeit von Wissen im digitalen Zeitalter. Vielmehr erfordere die digitale Zugänglichkeit von Bildern und Daten kuratorische Vorarbeit und bringe vielfältige Herausforderungen mit sich. Ho­del formulierte drei Dimensionen, die die drei Vorträge strukturiert hätten: Erstens seien die mate­rielle und digitale Fragilität historischen Materials sowie die Herausforderung langfristiger Archivie­rung zu berücksichtigen. Zweitens wurden die ethischen Dimensionen digitaler Verfügbarkeit the­matisiert, die insbesondere die Notwendigkeit von Historisierung und Kontextualisierung angesichts wachsender Datenmengen aufzeigten, dies spezifisch bei kolonial belasteten Beständen. Drittens stand die Nutzung von Bildern im Fokus, besonders hinsichtlich ihrer Zielgruppenorientierung, marktwirtschaftlicher Kundensegmente und Maschinenlesbarkeit.

Die anschliessende Diskussion betraf unter anderem Fragen der Barrierefreiheit und Zugänglichkeit digitaler Angebote, aber auch die Herausforderungen wissenschaftlicher Kommunikation sowie die Sicherung und kulturpolitische Verankerung digitaler Infrastrukturen.

Aus allen Vorträgen wurde deutlich, welchen Stellenwert Bilder und Daten im digitalen Raum bei ge­schichtswissenschaftlichen Deutungsprozessen sowie in der Geschichtsvermittlung einnehmen. Bilder fungieren dabei nicht als blosse «Dokumentationsmittel», sondern rahmen ein und blenden aus – und prägen damit mit, welche Perspektiven in der öffentlichen Wahrnehmung erinnert werden.

 

 

Panelübersicht:

Cécile Vilas: Audiovisuelle Quellen - im Spannungsfeld von Erhaltung, Zugang und Verlust

Sonja Matter, Werner Bosshard: Du sollst dir (k)ein Bild machen: Leitlinien zur Multimedialisierung des Historischen Lexikons der Schweiz (HLS)

Moritz Mähr: Daten einer Stadt: Stadt.Geschichte.Basel

 
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 7. Schweizerischen Geschichtstagen.
Manifestazione
Siebte Schweizerische Geschichtstage
Organizzato da
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte
Data della manifestazione
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Luogo
Luzern
Lingua
Tedesco
Report type
Conference