Verantwortung: Rahel Sophia Wehrlin
Referierende: Lilian Räber / Rahel Sophia Wehrlin / Sarah Happersberger
Welche Sexualitäten, Körper und Geschlechter sind in (queer-)feministischen Bildkulturen sichtbar und welche unsichtbar, fragt RAHEL SOPHIA WEHRLIN (Bern) in ihrer Einführung ins Panel. Diese Frage sei in den 1980er und 1990er Jahren in verschiedenen subkulturellen Frauenszene-Orten1; – wie dem Frauenkino Xenia in Zürich oder dem Pelze Multimedia in Berlin – verhandelt und ausgelotet worden. Weiter führt die Organisatorin des Panels aus, dass Archive das zentrale gemeinsame Thema der folgenden Beiträge seien. Unter dem Begriff Archiv versteht Wehrlin intime, verkörperte und gelebte Erinnerungsräume. Als solche Erinnerungsräume können die experimentellen feministischen Räume verstanden werden, in denen die Frage umkämpft war, wie Sexualität gezeigt werden darf, soll oder kann. Das Panel verband drei unterschiedliche Perspektiven und versuchte zu klären, wie feministische Bildkulturellen sexuelle Normen herausfordern, wie intime Archive entstehen und was es bedeutet, als Forschende in intime Räume einzutauchen.
In ihrem Beitrag zur 1996 gezeigten Veranstaltungsreihe «erotisch, aber indiskret» des Zürcher Frauenkinos Xenia nahm LILIAN RÄBER (Zürich) eine aktivistisch-historische Perspektive ein. Der Beitrag von Räber zeichnete sich durch die Kombination von schriftlichen, visuellen und audio-visuellen Quellen sowie ihren persönlichen Erfahrungen aus, da sie selbst eine Mitorganisatorin von «erotisch, aber indiskret» war. Hintergrund dieser Veranstaltungsreihe war ein Ausstellungsverbot von Werken der US-amerikanischen Künstlerin Ellen Cantor, die als Teil der Kunstausstellung «Oh Pain, Oh Life» 1995 im Helmhaus in Zürich gezeigt werden sollten. Dass die Kunstwerke als pornografisch eingestuft und in der Folge zensiert wurden, löste eine Debatte innerhalb der Frauenszene aus, auf die die Veranstaltungsreihe reagierte. In ihrer Präsentation stellte Räber drei zentrale Thesen auf: Erstens argumentierte sie, dass es im Rahmen der Veranstaltungsreihe zu einem Wissenstransfer zwischen feministischen Wissenschaftstheorien und feministischem Aktivismus kam, der sich durch personelle Überschneidungen erklären lässt. Zweitens sei «erotisch, aber indiskret» die erste queere Veranstaltung dieser Art in der Schweiz gewesen, da sich die Veranstalterinnen selbst als lesbisch definierten und das Spiel mit dem Geschlecht im Zentrum der Veranstaltung stand. Das führte zum Bruch zwischen dem Feminismus der 1970er Jahre und jenem der 1990er, wie Räber drittens argumentierte. Das Gleichstellungsbüro der Stadt Zürich, das an der Zensur von Cantor beteiligt gewesen war, nahm eine ablehnende Position gegenüber der Pornografie ein. Dass lag aus Sicht der Referentin daran, dass die Leiterinnen des Gleichstellungsbüros Vertreterinnen des 1970er-Jahre-Feminismus waren, denen die subversive Kraft und identitätsstiftende Funktion von Pornografie entgangen sei.
Rahel Sophia Wehrlin setzt sich im zweiten Beitrag des Panels mit queerer Pornografie von den 1990er Jahren bis in die Gegenwart auseinander. Wie die Referentin betont, nimmt sie bewusst einen queer-theoretischen und post-pornografischen Standpunkt ein. Die Präsentation basiert auf Wehrlins laufendem Dissertationsprojekt zur schweizerischen Pornografie-Subkultur, bei dem das Frauenkino Xenia als historisches Fallbeispiel im Zentrum der Analyse steht. Der Beitrag schlug einen Bogen von den feministischen Debatten rund um Erotik, Sexualität und Sichtbarkeit der 1990er Jahren bis zu gegenwärtigen queeren Pornografieprojekten in der Schweiz. Im Zentrum stand die Frage, wie feministische und queere Bewegungen das Medium Pornografie nicht nur kritisierten, sondern aktiv als ästhetisch-politische Praxis nutzten. Als Quellen dienten Wehrlin Gespräche, Filmanalysen und (klassische) Archivdokumente, die sie mit ihrer queer-theoretischen Perspektive verband. Ausgehend von der These, dass Pornografie neues Wissen über Körper, Begehren und Geschlecht produziere, argumentierte sie, dass es sich bei den zensierten Kunstwerken von Ellen Cantor um visuelle Irritationen im Regime der heterosexuellen Normativität handelte und die Bilder aus diesem Grund in der Gesellschaft unsichtbar gemacht wurden. In Anlehnung an die breite Archivdefinition, die Wehrlin in der Einführung des Panels dargelegt hatte, argumentierte sie dafür, sogenannte Pornofestivals – wie die Porny Days in Zürich oder das Fête du Slip in Lausanne – als intime Archive zu lesen, in denen Wissen über Sexualität generiert wird und zirkuliert. Am Ende ihres Beitrags warf die Referentin die Frage auf, wie sich eine Geschichte der Sexualität erzählen lässt, die sich durch Widersprüchlichkeit und Ambivalenz auszeichnet. Ebenfalls blieb für Wehrlin offen, wie sich Erinnerung und Erregung jenseits von Scham zusammendenken lassen.
Die Kunsthistorikerin und Museumkuratorin SARAH HAPPERSBERGER (Giessen) stellte in ihrer Präsentation das autonome Frauenprojekt Pelze Multimedia vor, das von 1981 bis 1996 in einem besetzten, ehemaligen Pelzgeschäft in der Potsdamer Strasse in Berlin von Frauen und für Frauen geführt wurde. Happersberger zeigte anhand der 1986 von Mahide Lein im Pelze eingerichteten erotischen Bar Love is a Banquet, wie die Grenze zwischen Kunst und Pornografie innerhalb eines feministischen Projekts kontrovers diskutiert und ausgehandelt wurde. Die lebendige Ausstellung hatte zum Ziel, Frauen dazu anzuregen, Erotik und Sexualität selbstbestimmt auszuleben. Zu diesem Zweck wurde im Keller ein Darkroom eingerichtet, in dem auch diverse Sexspielzeuge zur Verfügung standen. Die Referentin zeigte auf, dass die erotische Bar einen Konflikt auslöste: Auf der einen Seite standen Frauen, die ihre sexuellen Präferenzen, darunter etwa SM-Praktiken, frei ausleben wollten, und auf der anderen Seite Hausbewohnerinnen, die von Gewalt betroffen waren und das Pelze als Schutzraum wahrnahmen. Happersberger führte weiter aus, dass sich die erotische Bar in einer Grauzone des künstlerischen Anspruchs des Pelze befand. Die Debatte rund um die SM-Praktiken wurde aber mit grosser Offenheit fortgeführt. Am Beispiel des Pelze verdeutlichte die Referentin, dass die Frage, wie (un)sichtbar sexuelle Praktiken im Rahmen eines künstlerischen und experimentellen Freiraums sein sollen, innerhalb der Frauenszene kontrovers diskutiert wurde.
Abschliessend lässt sich festhalten, dass sich das Panel durch seine interdisziplinäre Perspektive auszeichnete. Die Beiträge setzten sich mit der (queer-)feministischen Frauenszene auseinander und fragten nach der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Sexualitäten, Körpern und Geschlechtern in feministischen Bildkulturen. So eröffneten sie einen neuen Blick auf die Geschichte von marginalisierten Gruppen, Praktiken und Wissen. In der anschliessenden Diskussion wurde allerdings deutlich, dass die vertretenen Perspektiven auch Schwächen aufweisen. Eine Zuhörerin hinterfragte kritisch, ob es sich bei der Veranstaltungsreihe «erotisch, aber indiskret» tatsächlich um das erste queere Ereignis der Schweiz gehandelt habe, zumal etwa der erste Christopher Street Day in der Schweiz 1978 stattfand und die Ausgabe 1994 bereits erstmals als Pride Parade bezeichnet wurde. Hier scheint der aktivistisch-historische Blick für eine Kontextualisierung der Veranstaltungsreihe in der longue durée zu einseitig gewesen zu sein. Ebenfalls offen blieben die Fragen, wie die «klassischen» Archive2; mit pornografischem Material umgehen sollen, welche ethischen Prinzipien im Umgang mit pornografischen Bildern und Filmen in der Forschung gelten, wer die Rechte an diesem Material besitzt und ob es überhaupt legitim ist, Pornografie in historischen Archiven langfristig aufzubewahren. Die Antworten auf diese Fragen wären eine spannende Ausgangslage für ein Panel mit dem Titel Intime Archive 2.0.
Anmerkungen
1 Mit dem Begriff «Frau» sind alle Menschen gemeint, die sich selbst als «Frau» definieren.
2 Das Historische Lexikon der Schweiz definiert Archive als «Einrichtungen, die der systematischen Sammlung, Aufbewahrung und Erschliessung von Schrift-, Ton- und Bildträgern dienen». Vgl. Santschi, Catherine: Archive, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), 16.08.2019, <https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/012820/2019-08-16, Stand: 23.07.2025.
Panelübersicht
Lilian Räber: Zensur und Selbstbestimmung. Der Kampf um die Sexualität in der Frauenbewegung am Beispiel der Veranstaltungsreihe «erotisch, aber indiskret» 1996 in Zürich
Rahel Sophia Wehrlin: Lustformen erinnern – Queere Pornografie zwischen Intimität, Subversion und Archiv
Sarah Happersberger: Love is a Banquet. Ästhetische Provokation und erotischer Genuss