Verantwortung: Martin Lengwiler / Debjani Bhattacharyya
Referierende: Martin Lengwiler / Debjani Bhattacharyya / Corey Ross
Dieses Panel erörterte die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Umweltrisiken und die zentrale Rolle von ökonomisch-finanziellen Prozessen in der Sichtbarmachung solcher Risiken. Die Beiträge fokussierten insbesondere auf die Geschichte des Versicherungswesens und die Frage, wie Profitmotive zur finanziellen Einschätzung und so zur Sichtbarmachung von Umweltrisiken beitragen. Ein weiterer Fokus des Panels war die Kategorie des Risikos selbst, die nicht nur durch Versicherungsdenken beeinflusst wird, sondern auch durch Infrastrukturprojekte und dahinterliegende Besitzverhältnisse sowie durch politische Ökonomien: Was in einem sozio-ökologischen Kontext als Risiko gilt, kann in einem anderen Kontext als funktionaler Teil des Systems verstanden werden.
DEBJANI BHATTACHARYYA (Zürich) eröffnete ihren Beitrag zur modernen Geschichte des Versicherungswesens in Südasien mit einer Textstelle aus Henry Piddingtons The Sailor’s Horn-Book for the Law of Storms von 1848: In dieser Passage erklärt der Autor, dass er den Kapitänen nicht nur beibringen wolle, wie man Stürme erkennt und navigiert, sondern auch, wie man von diesem Wissen profitieren kann. Diese «odd idea» – aus Stürmen Profit zu schlagen – sei historisch zu ergründen. Ausgehend von einer gegenwärtig zu beobachtenden «Finanzialisierung der Klimakrise» (financialization of the climate crisis), deren Anfänge zeitgenössische Autoren und Autorinnen wie John Bellamy Foster, Melinda Cooper oder Alyssa Battistoni in den 1970er Jahren verorten, rekonstruierte Bhattacharyya eine Klima-Finanz-Geschichte, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht und sich im Indischen Ozean abspielt. Eine Untersuchung von Versicherungsgesellschaften wie Lloyd’s of London, die ab den 1830er Jahren in Kalkutta etabliert waren, und Schifffahrtshandbüchern beleuchtet nicht nur den Prozess der frühen Kommerzialisierung des Klimawissens, sondern auch bis anhin unsichtbar gebliebene Vorgänge der Produktion dieses Wissens. Diese Prozesse blieben unsichtbar, führte die Referentin aus, weil sie nicht von staatlichen oder militärischen Behörden unternommen worden waren und dadurch auch nicht in deren Archive eingegangen sind, sondern im privaten Sektor stattfanden. In diesem privatwirtschaftlichen Kontext seien auch die lokalen Praktiken des rain-gamblings zu verorten. Ursprünglich aus der Wüstenregion Rajasthan stammend, kann diese von Getreidehändlern praktizierte Form des Glücksspiels auch als eine vernacular market practice gelesen werden, um die Dauer und Menge des Monsunregens einzupreisen. Bhattacharyya strich hervor, dass die klimatischen Verhältnisse in den Tropen ein Zusammenwirken von Unsicherheit und Vorhersagbarkeit hervorbringen, die Risiken aber dadurch auch Profitmargen schaffen.
Das Referat von MARTIN LENGWILER (Basel) befasste sich zwar ebenfalls mit der Geschichte des Versicherungswesens, betrieb aber mit einem Blick auf die letzten 50 Jahre Zeitgeschichte. In drei Segmenten thematisierte Lengwiler den Umgang des Versicherungswesens mit den Klimaveränderungen seit den 1980er Jahren. Zunächst ging es um den Zusammenhang zwischen Versicherungen und der Wissensformation bezüglich Klimaveränderungen. Zeigten sich die Versicherer in den 1990er Jahren noch zurückhaltend, wenn es um die Frage der steigenden Wetterschäden aufgrund von langfristigen Klimaveränderungen ging, so seien sie in den letzten 20 Jahren aktiver geworden, auch aufgrund des Anwachsens von firmeneigenen Daten. Die Versicherer seien zudem aktiver in der Forschung geworden. Hier wies Lengwiler auf die Rolle der Geneva Association of Insurers hin, einem wenig bekannten internationalen Verband von Versicherern und Rückversicherern. Als zweites Thema wurde das Aufkommen neuer Versicherungsformen besprochen. Als wichtigste Entwicklung sei hier die Verbriefung oder securitization zu verzeichnen, also der Rückgriff auf die Kapitalmärkte durch die Emission von Wertpapieren als Sicherung gegen das Risiko von grossen Schäden bei extremen Wetterereignissen. Der Ursprung dieses Trends liegt in den 1980er Jahren in den USA mit dem Aufkommen sogenannter CAT Bonds oder Katastrophenanleihen. Zuletzt besprach Lengwiler die aktuelle Entwicklung der Versicherer in Richtung der Tolerierung und Normalisierung von Klimaschäden und Klimaveränderungen, um zu Lasten dieses nun sichtbar und berechenbar gemachten Risikos einen neuen Markt und neue Einnahmeströme zu erschliessen. Dies könne allerdings der Klimaprävention entgegenlaufen, betonte Lengwiler. Zu beobachten sei im Weiteren, wie die Versicherungen unter dem Stichwort «Resilienz» Projekte vorschlagen, die mehr im Einklang stehen mit dem Ziel des Klimaschutzes, beispielsweise den Einbezug der klimatischen Resilienz als Kategorie in Versicherungspolicen zur Siedlungsplanung und Gebäudereglementierung. Lengwiler schloss mit dem Hinweis, dass sich in der untersuchten Zeitspanne auch ein Trend der Verlagerung von staatlichen auf privatwirtschaftliche Akteure beobachten lässt, wobei auch hybride Modelle und Kooperationen zu verzeichnen sind.
Das dritte Referat richtete den Blick weg von der Geschichte des Versicherungswesens, aber wieder zurück nach Südasien. COREY ROSS (Basel) untersuchte das Thema der Unsichtbarkeit in der Geschichte des Hochwasserschutzes im Ganges-Brahmaputra-Delta mithilfe des aus der Fischereiwissenschaft entlehnten Begriffs der shifting baselines. Massnahmen zur Nutzung und Sicherung von Flusslandschaften veränderten die Umwelt auf eine Art, dass frühere Zustände der Landschaft – frühere baselines – allmählich in Vergessenheit geraten. Dabei reflektierten diese Massnahmen immer auch die zum gegebenen Zeitpunkt vorherrschenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesamtverhältnisse. In der vorkolonialen Periode, so Ross weiter, wurde die saisonale Überflutung von Agrargebieten toleriert, sie half der Bewässerung von Feldern und diente der Zufuhr von Nährstoffen. Nach der Neuordnung des Steuersystems und der damit einhergehenden Veränderung der Eigentumsverhältnisse im Rahmen des Permanent Settlements von 1793 wurde die saisonale Überflutung als Problem angesehen: Ernteausfälle führten zu unregelmässigen Steuerflüssen und die häufigen Verschiebungen der Flussläufe störten das neue Grundeigentumsregime. In Reaktion darauf begann die britische Administration Uferdämme zu bauen und das Delta dadurch zu segmentieren. Dies führte zu neuen Umweltproblemen wie aussergewöhnlichen Fluten in nicht beschützten und weiter flussabwärts gelegenen Gebieten, erhöhtem Krankheitsrisiko und dem Verlust der Bodenfruchtbarkeit sowie gesellschaftlichen Spannungen bei der Selektion von Dammbauprojekten. Die Infrastruktur und Denkart aus der Kolonialzeit beeinflusste als neue baseline auch Flutpräventionsprojekte im 20. Jahrhundert: Statt die Herangehensweise grundlegend zu überdenken bemühten sich die Projekte in Ostpakistan/Bangladesch nach der Unabhängigkeit, den als «ursprünglich» wahrgenommenen Zustand der Dämme aus der Kolonialzeit wiederherzustellen oder – derselben Philosophie folgend – massiv auszubauen.
In einem äusserst reichhaltigen Panel stachen alle drei Referate durch ihre theoretische Versiertheit heraus, gleichzeitig war es allen Referierenden ein Anliegen, aus anderen Disziplinen entlehnte Debatten und Ideen historisch zu unterlegen. Die drei Beiträge historisieren das Zusammenspiel zwischen Risiko, «Versicherheitlichung» (securitization) und Umwelt in bestimmten Kontexten innerhalb der Geschichte der Moderne. Die Rolle des Staates wurde teilweise zwar angeschnitten, die Grundbewegung der Referate ging jedoch dahin, die Dynamik der Sichtbarmachung, Risikoeinschätzung und Marktorientierung von atmosphärischen und hydrosphärischen Prozessen gezielt in ausserstaatlichen Bereichen zu situieren. Die Rolle der Gesetzgebung, sei es in der Festlegung von Eigentumsverhältnissen und Steuersystemen oder in der Regulierung von Versicherungsformen und -objekten, wurde teilweise angesprochen – eine weitere Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen diesen Prozessen und der Sphäre des Politischen bietet sich schliesslich an.
Panelübersicht:
Debjani Bhattacharyya: Cyclonic Turbulence as a Commodity Frontier
Martin Lengwiler: Insuring Climate Change: Insurance and the Perception of Climatic Transformations
Corey Ross: Shifting Baselines and the Hidden Long-term Flood Risks