Arbeitsmarkt und Herrschaftsapparat in Guatemala 1920-1940

Cognome dell'autore
Peter
Fleer
Tipo di ricerca
Dottorato
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Walther Bernecker
Bernecker
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
1997/1998
Abstract

Der Zeitraum vom Sturz der Estrada Cabrera-Diktatur (1920) bis zur Oktoberrevolution von ·1944 markiert eine wichtige Umbruchphase in der Geschichte Guatemalas. Die 20er Jahre waren geprägt von einer Lockerung des exekutiven Machtmonopols. Das Parlament und mit ihm die politischen Parteien verfügten über grössere Handlungsspielräume. Konflikte zwischen unterschiedlichen Interessen und Ideologien traten offen zu Tage. Der Machtverlust der Exekutivgewalt gab jedoch nicht den Auftakt zu einer Stärkung der zivilen Gesellschaft und einer Demokratisierung der Politik, sondern führte zu Ineffizienz und Korruption innerhalb der staatlichen Verwaltung und zur völligen Handlungsunfähigkeit des politischen Systems. Erst die Ubico-Diktatur vermochte, um den Preis allerdings der vollständigen Entmachtung von Parlament und ziviler Gesellschaft, wirkungsvolles staatliches Handeln wieder zu ermöglichen. Unter Ubico wurden längst geforderte Lösungsansätze für diese Probleme in die Tat umgesetzt. Die staatliche Verwaltung wurde gestrafft, die Kontrolle über die Bürger vertieft, das Strassenbauwesen reorganisiert und das Arbeitsrecht auf eine neue Grundlage gestellt. Der Bruch mit traditionellen schuldknechtschaftähnlichen Praktiken (habilitaciones-System) und die rechtliche Festschreibung der "freien Lohnarbeit" als einzige legale Form der Arbeitsbeziehungen waren Ausdruck langfristiger sozio-ökonomischer Prozesse und standen in Zusammenhang mit politischen und kulturellen Herrschaftsproblemen, die über den eigentlichen Arbeitsmarkt hinausgingen. Der Wandel in den Arbeitsbeziehungen betraf die Kaffeeplantagenbesitzer (finqueros, darunter auch ausländische Gesellschaften) als Arbeitgeber ebenso wie die Kleinbauern des Hochlandes, die sich zur saisonalen Arbeit auf den Plantagen verdingen mussten.

 

Methodisch unterscheide ich zwischen einer politisch-kulturellen und einer wirtschaftlich-sozialen Ebene. Erstere fragt unter dem Aspekt der Herrschaft nach den Voraussetzungen und Mechanismen der gesellschaftlichen Stabilisierung. Letztere befasst sich mit langfristigen Prozessen im guatemaltekischen Agrarsektor hinsichtlich der Rekrutierung und Allokation von Arbeitskräften für die Kaffeeproduktion. Zu diesem Zweck betrachte ich die Vorgänge im Rahmen eines einfachen neoklassischen Arbeitsmarktmodells. Auf der Angebotsseite geht es darum, das Verhalten der indianischen Bevölkerung auf dem Arbeitsmarkt abzuschätzen. Auf der Nachfrageseite stehen die Restriktionen im Vordergrund, denen die Grossgrundbesitzer unterworfen waren.

 

Auf der Ebene der politisch-kulturellen Systemerhaltung stellen sich zunächst Fragen nach dem Wertsystem der Indianer und den Kohäsions- bzw. Repulsionskräften innerhalb der indianischen municipios. Ferner ist die institutionelle Einbindung der indianischen Gemeinschaften in den Nationalstaat von grossem Interesse. Diese Problemkreise werden im Rahmen der weberianischen Tradition untersucht. Insbesondere bediene ich mich des IEMP-Modells von Michael Mann, wobei IEMP für die vier grundlegenden Machtquellen und deren Organisationsformen (ldeological, Economic, Military und Political power) steht. Mann untersucht Macht auf einer konkreten räumlich-organisatorischen Ebene und fasst die infrastrukturellen Voraussetzungen von Macht ins Auge.

 

Mit Hilfe dieses methodischen Instrumentariums lässt sich nachweisen, dass die Umstellung in der Arbeitsgesetzgebung Mitte der 30er Jahre ein Schritt in einem langfristigen Prozess der Durchkapitali- sierung war. Selbst unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise blieb die Kaffeeoligarchie in der Frage der Arbeitsgesetzgebung zerstritten. Die nationalen Eliten sahen zwar die ökonomischen Vorteile, die mit der Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen verbunden waren; viele schätzten jedoch die Risiken, die mit der Abschaffung des habilitaciones-Systems verbunden waren, als zu hoch ein. Dabei liessen sie sich nicht bloss von der Angst vor einem akuten Arbeitskräftemangel leiten. Zumindest ebenso wichtig war die Befürchtung, durch die Aufkündigung des patronalen Konsenses die Herrschaftsbeziehungen auf dem Land zu destabilisieren. Angesichts der Entscheidungsunfähigkeit der Eliten bedurfte es eines starken, autoritären Staates, um die erforderlichen Reformen durchzusetzen.

 

Mit der repressiven Diktatur Jorge Ubicos verschoben sich die Machtverhältnisse innerhalb der ladinischen Eliten. Kaffeeoligarchie und politisch-militärische Machtträger gewannen gegenüber lokalen und regionalen Eliten an Bedeutung. Die Einführung des lntendente-Systems, das die lokal gewählten Bürgermeister durch von der Regierung eingesetzte Beamte ersetzte, schmälerte nicht nur die Selbstbestimmungsrechte der indianischen Bevölkerung, sondern ebenso die Handlungsspielräume der lokalen ladinischen Eliten. Dadurch wurde der staatliche Herrschaftsbereich erweitert und die Voraussetzungen zur Umgestaltung der Arbeitsverhältnisse geschaffen. Gleichzeitig mit der Abschaffung der habilitaciones verschärfte Ubico die Vagabundengesetzgebung, um das Risiko eines Arbeitskräftemangels auszuschliessen. Die Rekrutierung der Arbeitskräfte beruhte nun nicht mehr auf einer schuldknechtschaftähnlichen Abhängigkeit der Indianer gegenüber einem patr6n, sondern auf einer allgemeinen Arbeitspflicht. Die Allokation des Faktors Arbeit vollzog sich auf der Basis eines "freien" Arbeitsmarktes. Dadurch wurde die Mobilität der Arbeitskräfte erhöht und das Arbeitsverhältnis flexibilisiert.

 

Brachten die Reformen der Ubico-Regierung für die finqueros unzweifelhaft bedeutende Vorteile, waren die Auswirkungen auf die indianische Bevölkerung nicht so eindeutig. Mit dem Verbot der habilitaciones wurden die Indianer einerseits aus der Abhängigkeit von einem patr6n befreit. Auf der anderen Seite verloren sie das wichtigste Argument, um ihren Anspruch auf patronale Subsistenzsicherung geltend zu machen. Angesichts der sich zuungunsten der Indianer verändernden Knappheitsverhältnisse war die "Freiheit" auf dem Arbeitsmarkt für die Indianer von zweifelhaftem Charakter. Das Vagabundengesetz zwang sie weiterhin zur Arbeit auf den fincas der boca costa und verhinderte selbst einen minimen Anstieg des Lohnniveaus.

 

Unter den neuen Arbeitsgesetzen stand die indianische Bevölkerung nicht besser, aber auch nicht schlechter da als vorher. Im Grunde zielten die ubiquistischen Reformen nicht auf die Anhebung des absoluten Ausbeutungsniveaus, sondern auf die Anpassung der Ausbeutungsform an veränderte Rahmenbedingungen. Die dadurch erzielte Effizienzsteigerung sicherte den finqueros ihre Gewinnmarge, ohne die Mehrwertabschöpfung aus der indianischen Arbeit zu steigern. Es kann daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die 30er Jahre und die Diktatur Ubicos für die Indianer eine besonders schlimme Zeit darstellten. Dennoch verschlechterte sich die Situation der indianischen Bevölkerung kontinuierlich. Die Ursache dafür war allerdings nicht die besonders gewalttätige und repressive Diktatur Jorge Ubicos; vielmehr zeigten sich darin die Folgen des liberalen Entwicklungsmodells guatemaltekischer Prägung, das den Indianern nie eine Chance gelassen hat, für eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu kämpfen.

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