Spanische Geschichtswissenschaft zwischen „Normalisierung“ und „Selbstzensur“. Eine Analyse des historiographischen Diskurses zur Transition

Cognome dell'autore
Andreas
Stucki
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Stig
Förster
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2002/2003
Abstract

Der Übergang Spaniens von der Diktatur zur Demokratie (Transition) wurde in der wissenschaftlichen Literatur oft als „Heldentat“ und als „vollkommenes Modell“ für andere Länder dargestellt. In der akademischen Debatte fehlten bis anhin kritische Stimmen. Es ist nur schwer nachvollziehbar, weshalb die negativen Seiten des spanischen Systemwechsels kaum diskutiert und die wenigen Kritiker ignoriert oder gar desavouiert wurden. Gewisse unliebsame Kapitel der spanischen Geschichte wurden kurzerhand ausgeblendet.

 

Die Arbeit konzentriert sich auf die Problematik der Konstruktion einer beispielhaften Transition in Spanien und behandelt Fragen nach der Entwicklung des historiographischen Diskurses zum Demokratisierungsprozess und dessen Hintergründe. Im Zentrum der Analyse stehen führende spanische Wissenschaftler, welche die herrschende Lehrmeinung bestimmen. Ihre Positionen und Motivationen werden anhand eines biographischen Ansatzes herausgearbeitet, da es die Erfahrung dieser Historiker-Generation mit der Zerrissenheit des Landes, mit ihrer Furcht vor einem erneuten Bürgerkrieg und das Erlebnis des scheinbar friedlichen Übergangs zu einer stabilen Demokratie waren, die ihre Einstellung zur Transition bestimmten. Sie nahmen die Transformation als eine Art „Wunder der Geschichte“ wahr und konstruierten einen Mythos, der jede Kritik tabuisierte.

 

Die Entstehungsgeschichte dieses Mythos ist Thema des ersten Teils. Im folgenden Abschnitt steht die Entwicklung der spanischen Historiographie nach dem Bürgerkrieg im Zentrum. Die Schwierigkeiten der Geschichtswissenschaft unter dem Franquismus werden aufgezeigt und sowohl auf die Bedeutung der ausländischen Spezialisten als auch auf den Einfluss spanischer Emigranten hingewiesen. Der Diskurs aus Frankreich, England und den USA wirkte seit den sechziger Jahren zunehmend auf Spanien zurück. Schon während der letzten Jahre der Franco-Diktatur entwickelte sich eine ansatzweise kritische und moderne Geschichtswissenschaft. Diese Entwicklung war schon bald mit einem Paradigmenwechsel verbunden. Noch in den siebziger Jahren dominierte in der Historiographie das Bild Spaniens als eine Geschichte der verpassten Möglichkeiten, die in der „Sonderwegsthese“ gebündelt wurde: Spanien sei anders. In den achtziger Jahren – vor dem Hintergrund der erfolgreichen Transition – wurde nach und nach versucht, das „Paradigma des Scheiterns“ umzustossen. Angesichts der europäischen Integration trat das Spanien des Scheiterns langsam in den Hintergrund. Die spanische Geschichte konnte neu interpretiert und gedeutet werden. Heute steht nicht mehr die Frage nach den Gründen des Scheiterns im Zentrum der spanischen Historiographie, sondern, da das Sonderwegsparadigma mittlerweile als Mythos entlarvt wird, die Auseinandersetzung mit dem „Warum“ des Erfolges der Transformation.

 

Wie sehr und warum der Mythos des Systemwechsels sowohl konservative als auch sozialistische Historiker vereinte, wird im zweiten Teil der Studie anhand der Biographien und Publikationen von vier führenden spanischen Wissenschaftlern exemplifiziert. Wissenschaft und Politik waren während der Transition eng miteinander verknüpft. Zugespitzt kann man die provokative These vertreten, dass alle „politischen Familien“ über ihre Historiker und Politologen ihre eigene Version des Regimewechsels hervorbrachten. Interessant ist auch der so genannte „Pakt des Schweigens“, welcher im Rahmen der „nationalen Versöhnung“ während des Systemwechsels von den politischen Parteien und von grossen Teilen der Bevölkerung akzeptiert wurde, um den gesellschaftlichen Konsens und damit die junge Demokratie nicht zu gefährden. Anhand der Themenwahl und durch das Ausblenden unliebsamer Fragen unterwarfen sich viele spanische Historiker einer Art Selbstzensur. Durch die Unterscheidung zwischen einer verantwortungsvollen und einer unverantwortlichen „Wahrheit“ hat die Geschichtswissenschaft wesentlich zur Konstruktion des Mythos’ vom Systemwechsel beigetragen. Die Idealisierung der Transition forderte allerdings ihren Preis. Die Demokratisierung erfolgte zu einem grossen Teil auf Kosten der Opfer des Bürgerkriegs und des Franquismus: Für Wiedergutmachung, Erinnern und Gedenken blieb kein Platz. Der Verlust des historischen Gedächtnisses gehörte gewissermassen zu den nicht deklarierten Kosten, welche die spanische Bevölkerung als Preis für die Demokratisierung bezahlen musste. Eine breite Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit ist in Spanien daher erst in den Anfängen begriffen.

 

Resultate dieser Arbeit werden als Aufsatz präsentiert: „La ciencia histórica española entre la ‚normalización’ y la ‚autocensura’. Un análisis del discurso historiográfico sobre la transición”, in: Hispanorama, 104 (2004), S. 28-34

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