Politische Flüchtlinge des Algerienkriegs und die Asylpolitik der Schweiz. Aufnahme oder Abweisung: Ungarn, Tschechoslowaken, Tibeter und Algerier in der Schweiz 1956–1968

Cognome dell'autore
Pascal
Stadler
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Marina
Cattaruzza
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2004/2005
Abstract

Die Lizentiatsarbeit behandelt die Flüchtlingspolitik der Schweiz 1956–1968. Während in der Literatur ausschliesslich von einer „weitherzigen“ Asylpolitik in dieser Zeit gesprochen wird, mit Bezug auf die 1957 formulierten Grundsätze für die Handhabung des Asylrechts, wonach dieses „nicht bloss Tradition, sondern staatspolitische Maxime“ und „Ausdruck der schweizerischen Auffassung von Freiheit und Unabhängigkeit“ sei, fokussiert die Arbeit erstmals auf die restriktive schweizerische Asylpolitik beim Umgang mit algerischen Flüchtlingen während des Befreiungskrieges.

 

Die Analyse wird in eine komparatistische Dimension eingebettet, in der die Asylpolitik gegenüber den Algeriern mit derjenigen gegenüber den Ungarn, Tschechen und Tibetern verglichen wird. Dabei steht die Frage nach den Praktiken sowie den handlungsanleitenden Motivationen und Beweggründen dieser Asylpolitiken bei den eidgenössischen Behörden im Vordergrund. Opportunität, wirtschaftliche Konjunktur, auch die Art und Weise, wie die verfolgten Ausländer von der einheimischen Bevölkerung wahrgenommen wurden, erwiesen sich dabei mindestens gleich wichtig wie die Grundsätze der Menschlichkeit und der Grad der Verfolgung der Asylsuchenden.

 

Die Flüchtlinge aus Ungarn, der Tschechoslowakei und Tibet stiessen auf grosse Akzeptanz sowohl bei den Behörden wie auch der Bevölkerung. Dabei spielten verschiedene Gründe eine Rolle: die Flüchtlinge wurden von einem kommunistischen Regime verfolgt, sie hatten sich für die „Freiheit“ entschieden, sie gehörten kleinen Völkern an, die von einem mächtigen Nachbarn bedroht wurden. Darüber hinaus wiesen sie oft einen hohen Bildungsstand auf, kamen mit Ehefrau und Kindern und schienen durchaus integrationswillig und -fähig zu sein.

 

Ganz anders verhielten sich die schweizerischen Asylbehörden gegenüber den Flüchtlingen aus Algerien, und dies obwohl ab 1959 erwiesen war, dass sowohl in Algerien wie in Frankreich auch Foltermethoden gegenüber FLN-Angehörigen angewendet wurden. Weder für die algerischen Flüchtlinge in Nordafrika noch für diejenigen aus Frankreich gab es eine aktive Flüchtlingspolitik im Sinne einer organisierten Aufnahme von Kontingenten, wie es bei Ungarn, Tschechen, Slowaken oder Tibetern der Fall war. Kantone und die Eidgenössische Polizeiabteilung waren gegen eine liberale Asylpraxis. Sie sprachen den Algeriern die Flüchtlingseigenschaft ab und wollten jeden Fall einzeln behandeln.

 

Ausschlaggebend für die restriktive Anwendung des Asylrechts war vor allem die Wahrnehmung der Algerier als wesensfremde, nicht assimilierbare, der schweizerischen Kultur gegenüber distanzierte Menschen, deren Aufenthalt die Überfremdungssituation verschärft hätte. Die Stereotypisierung des Algeriers als faul, aggressiv, gewaltbereit, gefährlich und in Verbindung mit dem FLN stehend, der als terroristische Rebellenorganisation wahrgenommen wurde und geächtet war, führte zu einer stark sicherheitspolitisch geprägten Asylpolitik. Ausserdem konnte der algerische Unabhängigkeitskrieg in der Zeit des Kalten Krieges nicht ohne ideologischen Hintergrund gedacht werden, und Anhängern der gegen Frankreich gerichteten algerischen Befreiungsbewegung begegnete die Bundesanwaltschaft mit Misstrauen.

 

Ab dem Herbst 1959 trat eine Lockerung der restriktiven Flüchtlingspolitik gegenüber den Algeriern ein, und punktuell wurden Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen erteilt. Grund für diese weniger harte Gangart waren der wieder erstarkte Antikolonialismus, die Folterskandale und Massenverhaftungen von Algeriern in Frankreich und Algerien sowie die steigende Solidarität mit der Befreiungsbewegung in linken, sozialdemokratischen und Gewerkschaftskreisen, ferner das absehbare Ende des Krieges. In diesem Zusammenhang musste die Schweiz ihre Glaubwürdigkeit als neutrale Vermittlerin bei den Friedensverhandlungen in Lugrin und Evian unter Beweis stellen und wollte daher das von der algerischen Exilregierung (GPRA) entgegengebrachte Vertrauen nicht verlieren.

 

Die Arbeit bestätigt die Tatsache, dass rechtlich und verfassungsmässig institutionalisierte Grundlagen, z. B. die Humanität und idealistische Vorsätze, von realistischen Kräften, bedingt durch politische, wirtschaftliche und wahrnehmungsbedingte Hintergründe, instrumentalisiert werden können. Insbesondere kommt der prägende Einfluss von Dispositionen, z. B. Sicherheitsdenken oder Hilfsbereitschaft, auf Politiken zum Vorschein, die in engster Verbindung mit den Wahrnehmungen von Ereignissen und Menschen stehen.

Accesso al lavoro

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