Die „gute Policey“ ist in der modernen Geschichtswissenschaft zu einem zentralen Forschungsbegriff geworden. Sie bezeichnet die Gesetzgebung und Verwaltung des frühneuzeitlichen Staatswesens und wird oft als Gegensatz zur mittelalterlichen Rechtsfindung interpretiert. Diese qualitativ neuartige Rechtsauffassung ist die Grundlage von vielen gesellschaftlichen Entwicklungen, die in dieser Zeit ihren Ursprung haben. Die Erforschung der „guten Policey“ steht erst an ihrem Anfang. Einige Aspekte wurden jedoch schon in anderem Zusammenhang untersucht, wie zum Beispiel der politische Hintergrund (Hans Maier) oder rechtshistorische Grundlagen (Gustav Klemens Schmelzeisen, Michael Stolleis). Erst neuere regionale Fallstudien (z.B. André Holenstein) versuchen, die historische Gesamtheit zu ergründen. Dazu fehlen insbesondere Untersuchungen zum Ursprung der Policeygesetzgebung. Die Lizentiatsarbeit analysiert die „gute Policey“ in dem für den Südwesten des Reiches typischen Kleinterritorium der Klosterherrschaft Ottobeuren. Sie hatte zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein im Wesentlichen geschlossenes Territorium im heutigen Bayerisch-Schwaben inne, in dem knapp 7’600 Personen lebten (1564). Ottobeuren zeichnet sich durch eine bis jetzt einmalige Überlieferung aus: die ersten erhaltenen Artikel im Sinn der „guten Policey“ sind in einem so genannten „Baudingbuch“ zusammengestellt und erhalten worden. Formal und inhaltlich handelt es sich dabei noch nicht um eine eigentliche Policeyordnung, sondern um eine Rechtsquelle am Übergang zwischen mittelalterlichem Recht und der frühneuzeitlichen Policey. Das Baudingbuch bietet daher die einmalige Möglichkeit, die Anfänge der Policeygesetzgebung zu erforschen, insbesondere auch ihre Verankerung im mittelalterlichen Recht.
Das Ottobeurer Baudingbuch datiert von 1551 und umfasst Ordnungen verschiedenster Art, unter anderem eine Gerichts- und Prozessordnung sowie eine Strafordnung, die einen besonders breiten Raum einnehmen. Die Lizentiatsarbeit weist detailliert nach, dass sich neben herkömmlichem, altem Rechtsgut (Eide, Umschreibung der Funktionen der Amtsträger, Beschreibung des Baudings) auch typisch policeyliche Materien finden (Bettler, gartende Knechte, Forst, Heirat).
Den institutionellen Rahmen für dieses Recht bildet in Ottobeuren das so genannte „Bauding“, bei dem es sich um eine jeweils jährliche Versammlung handelt, die sowohl im Markt als auch in den Klosterdörfern (mit eigenen Gerichten) in Anwesenheit des Abtes (oder dessen Vertreters) und aller Untertanen stattfand. Die Arbeit rekonstruiert die formellen Grundzüge des Baudings und stellt es damit in die Tradition des „Dings“, einer Institution der mittelalterlichen Rechtspflege und Verwaltung. Das Bauding diente einerseits dazu, das herkömmliche Recht in Erinnerung zu bringen oder es von den Untertanen zu erfragen (Weisung); andererseits wurden auch die klösterlichen Höfe neu vergeben oder den Inhabern die weitere Nutzung bestätigt. Das Bauding war folglich eine Veranstaltung, über die sich die Herrschaft ihre Legitimität jährlich neu bestätigen liess und – soweit man aus vergleichbaren Quellen weiss (für Ottobeuren selbst fehlen sie) – das geschriebene Recht weiter entwickelte, was wiederum ein typisch neuzeitlicher Vorgang ist. Indem in Ottobeuren die Policeyordnungen in das Bauding einbezogen wurden, sollte ihnen eine Dignität und eine aktive Konsentierung gesichert werden, die sie im Gegensatz zum älteren Recht nicht besassen.
Die Lizentiatsarbeit zeigt, dass die Gesetzgebung zwar im Wesentlichen vom Abt und seinen Amtleuten ihren Ausgang nahm, aber in Form eines Eides jährlich von allen Untertanen als Recht bestätigt und anerkannt wurde. Hierdurch war sie dem Verfahren nach der mittelalterlichen Rechtsweisung verpflichtet. In der Klosterherrschaft Ottobeuren tritt somit ein Procedere in Erscheinung, wie man es aus Städten in der Form des Bürgereides kennt. Liessen sich die Aussagen des Ottobeurer Baudingbuches von 1551 generalisieren, müsste der frühneuzeitliche Territorialstaat neu bewertet werden. Herrschaft würde sich viel stärker als bislang angenommen als konsensgestützt und in einer breiten mittelalterlichen Rechtstradition stehend erweisen.
Die Edition des Baudingbuches von 1551 der Klosterherrschaft Ottobeuren erschien in den „Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige“, Bd. 116 (2005), S. 333-435.