Der Hochwasserschutz an der Gürbe – eine Herausforderung für Generationen. Ein Beispiel für die Umsetzung von Hochwasserschutzkonzepten vor Ort (1855-2010)

Cognome dell'autore
Melanie
Salvisberg
Tipo di ricerca
Dottorato
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof. Dr.
Christian
Rohr
Istituzione
Historisches Institut, Universität Bern
Luogo
Bern
Anno
2015/2016
Abstract

Das im Süden der Stadt Bern liegende Gürbetal ist aufgrund der naturräumlichen Gegeben- heiten eine stark hochwassergefährdete Gegend. Immer wieder trägt die Gürbe grosse Was- sermengen und viel Geschiebe ins Tal und verursacht Überschwemmungen. Über viele Jahrhunderte konnten die Anwohner nur punktuelle Schutzmassnahmen vornehmen, wodurch der Talboden versumpft und nur extensiv nutzbar war. Um die Mitte des 19. Jahr- hunderts vollzog sich im Gürbetal wie in vielen weiteren Kantons- und Landesteilen ein tief- greifender Wandel im Umgang mit der Hochwassergefahr: Durch die Fortschritte in Wissen- schaft und Technik, die Veränderung des Naturverständnisses und die politischen Änderun- gen rückten die umfassenden Flusskorrektionen erstmals in den Bereich des Möglichen. Ei- ne Häufung von schweren Überschwemmungen und der Landhunger der wachsenden Be- völkerung verstärkten das Bedürfnis nach einer Bändigung des Flusses. Im Zuge der Gros- sen Gürbekorrektion (1855-1881) wurde das Gewässer schliesslich im Unterlauf kanalisiert und im Oberlauf durch Wildbachverbauungen gesichert. Obwohl sich die Situation durch die- se grossräumigen Eingriffe verbesserte, konnten die Hochwasserschäden nicht wie ge- wünscht verhindert werden. Die nach wie vor wiederkehrenden Murgänge, Überschwem- mungen und Erdrutsche lösten daher nicht nur Wiederherstellungsarbeiten, sondern auch grosse Ergänzungsmassnahmen aus. In zahlreichen Projekten wurde das Verbauungswerk so nach und nach erweitert. Ab 1882 übernahm neben dem Kanton und den lokalen Akteu- ren auch der Bund einen Teil der Kosten. Als Unterstützung für die wasserbaulichen Mass- nahmen kamen zwischen den 1890er Jahren und dem Zweiten Weltkrieg zusätzlich die grossen Aufforstungen im oberen Einzugsgebiet hinzu. Bis heute werden an der Gürbe um- fangreiche Hochwasserschutzprojekte umgesetzt.

 

Die Dissertation behandelt den Umgang verschiedener Akteure mit der Hochwassergefahr an der Gürbe im Zeitraum von 1855 bis 2010 unter dem Einfluss unterschiedlicher Hochwas- serschutzkonzepte. Die Längsschnittstudie beleuchtet das Thema aus breiter Perspektive und berücksichtigt verschiedene Forschungsrichtungen aus der Geschichtswissenschaft und der Geographie. Im Zuge der Analyse der an der Gürbe getroffenen Schutzmassnahmen werden folgende Fragen beantwortet: Inwieweit gaben Hochwasserereignisse, inwieweit neue Handlungsspielräume und Erkenntnisse den Anstoss zur Durchführung der Massnah- men? Welche Rolle spielten die verschiedenen Akteure, namentlich jene „vor Ort“, bei der Planung der Verbauungen und ihrer Umsetzung? Welche Hoffnungen und Erwartungen wa- ren jeweils mit den Massnahmen verbunden und wie sahen die erzielten Resultate aus? Wie wurden die jeweils vorherrschenden Schutzkonzepte auf der lokalen Ebene der Gürbe um- gesetzt? Welche Konflikte ergaben sich aus den Hochwasserschutzmassnahmen? Welche Auswirkungen hatten die Präventionsmassnahmen auf die Gürbe und ihr Tal? Für die Be- antwortung dieser Fragen stand ein aussergewöhnlich breites und umfangreiches Quellen- korpus zur Verfügung, was in grossem Masse an der Beteiligung und Unterstützung der Hochwasserschutzakteure liegt.

 

Die Untersuchung der Hochwasserschutzgeschichte der Gürbe liefert einerseits Erkenntnis- se über die Vorgänge und Entwicklungen an diesem kleinen Gewässer, andererseits aber auch wichtige Informationen für die Hochwasserschutzgeschichte der Schweiz. Da an der Gürbe aufgrund der stets wiederkehrenden schadenbringenden Überschwemmungen seit 1855 praktisch ununterbrochen grosse Präventionsprojekte umgesetzt werden, kann bei- spielhaft aufgezeigt werden, wie sich der Hochwasserschutz im Laufe der letzten eineinhalb Jahrhunderte veränderte. Hierbei sind nicht nur die technischen Entwicklungen, sondern vor allem auch der Philosophiewandel interessant.

 

Die Gürbekorrektion und ihre Nachfolgeprojekte hatten weitereichende Auswirkungen auf das Gewässer und sein Umland. Die Hochwasserschutz- und Entwässerungsmassnahmen ermöglichten eine Urbarisierung der Talebene. Mit grossen Entwässerungssystemen wurden die Böden drainiert und die Moore systematisch ausgetrocknet. Dies hatte für die regionalen hydrologischen Systeme, die lokalen Klimasysteme und die natürliche Flora und Fauna schwerwiegende Folgen. Die Landschaft veränderte sich so irreversibel. Der ehemalige Ge- wässerraum konnte nun aber intensiv landwirtschaftlich genutzt werden. Die Entsumpfungen ermöglichten auch den Bau von Strassen und der Eisenbahnlinie. Bald entstanden im Um- feld der Bahnhöfe auch neue Siedlungsgebiete. Der gesellschaftliche und ökonomische Druck auf die ehemaligen Gefahrengebiete nahm so im Laufe der Jahrzehnte stetig zu. Dar- aus entwickelte sich ein wechselseitiger Prozess: Je mehr Schutzbauten erstellt und je bes- ser die Flächen geschützt waren, desto unablässiger und rentabler wurde die Hochwasser- prävention. Erst ab dem Ende des 20. Jahrhunderts – im Zuge des Philosophiewandels, nach welchem den Gewässern wieder mehr Raum zur Verfügung gestellt werden muss – zeigte sich ein zögerliches Umdenken.

Accesso al lavoro

Biblioteca

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