„Unsere Muskeln, unsere Gefühle, unsere soziale Stellung beweisen uns, dass das, was wir machen ARBEIT IST! Wie lange gelingt es ihnen noch, unsere Arbeit als Natur zu qualifizieren?“ (1975, „Heidi streikt“, Gruppe Lohn für Hausarbeit der FBB Zürich).
Hausarbeit ist wichtige gesellschaftliche Arbeit und grundsätzlich für das Funktionieren der kapitalistischen Güterproduktion. Dies war eine der zentralen Erkenntnisse bewegter Frauen nach 1968. Diese Masterarbeit untersucht die feministischen Debatten zur Hausund Familienarbeit zwischen 1968 und 1989. Aus unterschiedlichen Perspektiven erkannten Feministinnen Zusammenhänge zwischen der Frauenunterdrückung und der gesellschaftlichen Organisation der Hausund Familienarbeit und entwickelten entsprechende Strategien für die Frauenbefreiung.
Anfänglich ging es den Aktivistinnen der Frauenbefreiungsbewegung (FBB) vor allem um die Sichtbarmachung der gesellschaftlichen Bedeutung der unbezahlten Hausund Familienarbeit. Eine umfassende Analyse der Funktion der Hausund Familienarbeit für die kapitalistische Produktionsweise lieferten im Jahr 1973 die Italienerin Maria Rosa Dalla Costa und die US-Amerikanerin Selma James. Diese war an die Forderung nach Lohn für Hausarbeit gekoppelt, der es den Frauen ermöglichen sollte, ihren politischen Kampf selbstbestimmt zu führen. In der Folge bildeten sich in verschiedenen Ländern feministische Gruppen, die diesen Ansatz aufnahmen. Auch in der Schweiz mobilisierten in der ersten Hälfte der 1970er Jahre Feministinnen für die Forderung „Lohn für Hausarbeit“. Ihre Position stiess in der Frauenbewegung aber auf Widerstand.
Gegnerinnen befürchteten eine weitere Zementierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung, falls Frauen für Hausarbeit Geld bekommen sollten. Ende der 1970er Jahre machte sich eine Wende in den feministischen Diskussionen zur Hausund Familienarbeit bemerkbar. Die „Arbeit an den Kindern“ rückte bei einigen Gruppen ins Zentrum ihres feministischen Programms. Nun waren nicht mehr selbstverständlich alle Frauen mitgemeint, weil alle Frauen von Hausund Familienarbeit betroffen sind, sondern Hauptadressatinnen waren neuerdings die Mütter. Diese Gruppen forderten einen Lohn für die „Arbeit an Kindern“, der Rest der Hausund Familienarbeit sei entweder abzuschaffen oder umzuverteilen.
In den 1980er Jahren erweiterten die Subsistenztheoretikerinnen Maria Mies, Veronika BennholdtThomsen und Claudia von Werlhof die Perspektive wieder, indem sie von sämtlichen auf die Schaffung und Erhaltung des Lebens ausgerichteten Arbeiten ausgingen. Zusätzlich verbanden die Theoretikerinnen die Frauenfrage mit einer umfassenden Analyse und Kritik der Ausbeutung der Naturressourcen und der Länder des Südens. Als politisches Programm forderten sie die grundsätzliche Rückweisung der Lohnarbeit und die Verallgemeinerung der Subsistenzarbeit. Feministinnen sollten nicht Lohn für die bisher gratis verrichtete Hausund Familienarbeit fordern, sondern das Prinzip umkehren, möglichst wenig für Lohn arbeiten und die unmittelbaren Bedürfnisse durch Netze der Subsistenzarbeit befriedigen.
Die Untersuchung der Hausund Familienarbeitsdebatte in der Neuen Frauenbewegung rekonstruiert eine heute in Vergessenheit geratene materialistisch-feministische Perspektive auf die Geschlechterproblematik. Feministinnen entwickelten in den 1970er und 1980er Jahren klare Vorstellungen einer Utopie jenseits der Lohnarbeitsgesellschaft, die den Menschen ein selbstbestimmtes, an den unmittelbaren Bedürfnissen orientiertes Dasein ermöglichen sollte. Ökonomische Unabhängigkeit und die Befreiung von Arbeit galten als Voraussetzungen für selbstbestimmte Gesellschaftsund Lebensentwürfe. Vor diesem Hintergrund kritisierten verschiedene Gruppen der Neuen Frauenbewegung die Mobilisierung der Frauen für den Erwerbsarbeitsmarkt. Bereits in den 1970er Jahren erkannten sie die geschlechterspezifischen Implikationen der auf die Erwerbsarbeit ausgerichteten Gleichstellungsbemühungen in Kombination mit wirtschaftlichen Umstrukturierungsmassnahmen im Zuge der fordistischen Krise.
Es scheint, als hätte sich heute die bereits in den 1970er Jahren vorhandene feministische Position, die sich die Emanzipation der Frauen nur über deren Erwerbstätigkeit vorstellen konnte, durchgesetzt. Aber auch die Befürchtungen der Gegnerinnen jener Strategie sind wahr geworden: An der ungleichen Verteilung der Hausund Familienarbeit hat sich statistisch fast nichts geändert. Angesichts der häufig prekären Arbeitsverhältnisse von Frauen bedeutet dies eine markant höhere Arbeitsbelastung, ohne dass sich die Hoffnung auf finanzielle Unabhängigkeit der Frauen erfüllt hätte. Zusätzlich entziehen sich diese Verhältnisse der Kritik, indem sie nicht mehr als strukturelles Merkmal kapitalistischer Gesellschaftsorganisation, sondern als individuell aushandelund lösbares Problem in Erscheinung treten. Die Masterarbeit bringt eine reiche, aber beinahe vergessene Geschichte feministischer Positionen zur Hausund Familienarbeit zum Vorschein und leistet damit einen Beitrag zu aktuellen Debatten und zu einer zukunftsträchtigen feministischen Politik.
Zwischen Arbeit und Befreiung. Zur Haus- und Familienarbeitsdebatte der Neuen Frauenbewegung in der Schweiz 1968 - 1989.
Tipo di ricerca
Tesi di master
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Brigitte
Studer
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2010/2011
Abstract