Durch die tiefsten Tiefen des Wellentals. Die äthiopische Revolution in den Politischen Berichten der Schweizerischen Botschaft in Addis Abeba, 1970-1975

Cognome dell'autore
Christian
Scherer
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Brigitte
Studer
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2008/2009
Abstract


Im Jahr 1974 fegte der afrikanische wind of change mit Orkanstärke durch die Strassen Addis Abebas. Während fast sechs Jahrzehnten hatte der äthiopische Kaiser Haile Sellassie autokratisch über sein multiethnisches Reich geherrscht. Am 12. September 1974 wurde er nach einem Volksaufstand von einem anonymen Militärkomitee, das in einem schleichenden Coup die Macht ergriffen hatte, abgesetzt und verhaftet. Das Militärkomitee rief im Dezember 1974 Äthiopien als sozialistische Volksrepublik aus. Für die schweizerischen Beziehungen zu Äthiopien bedeutete der Sturz des Kaisers und die politische Neuausrichtung des vormals prowestlichen Äthiopien einen tiefen Einschnitt. Dies zeigte sich vor allem im bilateralen Handel, welcher sich in den letzten Jahren unter Haile Sellassie auf sehr tiefem Niveau stark entwickelt hatte, und nun unter dem Eindruck der Nationalisierung der Privatwirtschaft einbrach. Die Lizentiatsarbeit beschäftigt sich eingehend mit der politischen Berichterstattung der Schweizerischen Botschaft in Addis Abeba während der Jahre 1970 bis 1975, welche von der übrigen Korrespondenz mit dem Eidgenössischen Politischen Departement getrennt in der vorgegebenen Form der Politischen Berichte und Politischen Briefe die Zentrale in Bern über die politischen Ereignisse und Prozesse in Äthiopien informierte.

Auf der Suche nach der individuellen Stimme ihres Autors werden die Politischen Berichte Botschafter Heinz Langenbachers, der zwischen Juli 1970 und April 1975 in Addis Abeba akkreditiert war, einerseits auf ihre Themenwahl untersucht und andererseits auf Bilder und Wahrnehmungsmuster überprüft, welche darin beiläufig über den Kaiser, über das Land und seine Bevölkerung, sowie über die Schweiz selbst transportiert worden sind.

Die thematische Untersuchung ergibt kaum Überraschungen. Die Berichterstattung ging ausgewogen auf jene Ereignisse und Entwicklungen ein, welche auch in der historischen Aufarbeitung der Revolution fast kanonisch genannt werden, ergänzt durch einen vorübergehend starken Fokus auf eine Schmähkampagne des Militärkomitees gegen den abgesetzten Kaiser im Herbst 1974. Dieser habe dem äthiopischen Volk über die Jahrzehnte ein Vermögen in Milliardenhöhe abgepresst, welches er auf Schweizer Bankkonten lagere und nicht herausgeben wolle. Gewissermassen als Kollateralschaden geriet in der aufgeheizten Stimmung in Addis Abeba die Schweiz als Verwalterin der angeblichen Kaisermilliarden ebenfalls in den Fokus des Volkszorns.

Die Untersuchung der Bilder und Vorstellungen, welche den Politischen Berichten Langenbachers über die äthiopische Revolution zugrunde lagen, lässt sich von der Annahme leiten, dass sich dieser anfangs noch stark auf traditionelle westliche Bilder eines aufgeklärten, seit Jahrtausenden unabhängigen und freien Verbündeten des Westens, einer christlichen Bergfestung, einer Insel im muslimischen Ozean, gestützt haben würde, welche während der Jahre seiner Akkreditierung in Addis Abeba aufgrund eigener Erfahrungen und vertieftem Wissen mehr und mehr verblassten. Die Portraitierung Haile Sellassies und die Darstellung Äthiopiens in den Berichten zeigen auf, dass die Bilder besonders zu Beginn der Berichterstattung tatsächlich präsent waren, aber die Beurteilung der politischen Lage nie entscheidend bestimmen konnten. Wenn Langenbacher auch in seinen Beschreibungen des Kaisers auf verklärende Vorbilder zurückgriff, blieb er gleichzeitig stets kritisch und relativierte die Verklärungen sogleich wieder. Ein ähnliches Resultat zeigt sich bei der Repräsentation Äthiopiens. Oft wurden die traditionellen Äthiopienbilder bemüht, aber ebenso oft wurden sie auch wieder relativiert. Eine Entwicklung, wie sie die Arbeitshypothese vermutet hat, kann anhand der Politischen Berichte Langenbachers nicht bestätigt werden.

Eine individuelle Stimme des Autors ist deshalb nur sehr schwach vernehmbar. Sie findet sich aber beispielsweise in den spärlichen persönlichen Kommentaren und Bewertungen des Botschafters zu den politischen Entwicklungen, und im Fall Äthiopiens auch zu einem kommunistischen Bedrohungsszenario. Botschafter Langenbacher war einem solchen gegenüber keinesfalls so kritisch eingestellt, wie seine Vorgänger. Auch während des Volksaufstands im Frühling 1974, welcher massgeblich von der radikalen urbanen Intelligentsia getragen wurde, blieb er stets optimistisch. Eine Veränderung der sozialen Misere in Äthiopien, auch wenn sie unter entsprechender politischer Beeinflussung stattfand, begrüsste er grundsätzlich und hoffte auf eine bessere Zukunft. Wie er im am 13. März 1974 festhielt, führe der Weg dorthin jedoch „durch die tiefsten Tiefen des Wellentals.“

Accesso al lavoro

Biblioteca

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