Das Beförderungsmittel des Wohls der Nation. Die interdependente Entwicklung von Postwesen und Nationalstaat im 19. Jahrhundert.

Cognome dell'autore
Roman
Widmer
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Christian
Pfister
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2008/2009
Abstract

Im Rahmen der vorliegenden Lizentiatsarbeit ging es darum, die Wurzeln der Nationalisierung des eidgenössischen Postwesens auf Bundesebene aufzuzeigen und die Erwartungsdimensionen an den durch Gemeinnutzanspruch und nationale Bundesstaatlichkeit aufgespannten Regelungsrahmen zu verorten. In einem zweiten Schritt sollten Antworten auf die Frage folgen, inwiefern und mit welchen Mitteln diese Erwartungen im Bundesstaat realisiert wurden. Dazu wurde exemplarisch der postalische Postsachen- und Personentransport im dichten Netz an Postkutschenverbindungen durchleuchtet und dessen Funktion im Verkehrssystem des sich stabilisierenden Bundesstaats thematisiert.

 

Der Abschied von einem durch fiskalische Logik geprägten Postbetrieb lässt sich nicht mit dessen Nationalisierung auf Bundesstaatsebene gleichsetzen. Vielmehr führte die Nationalisierung des Postwesens zur Prononcierung eines doppelten Anspruchs, der sich in den jeweils gegenläufigen Erwartungshaltungen in den Bereichen Fiskalpolitik, Gemeinnutzanspruch und Regionalpolitik abzeichnete. Einerseits fungierte der Bund bis 1874, als in der revidierten Bundesverfassung die Kantonsentschädigungen für das Postregal wegfielen, in erster Linie als Betreiber der Post auf Rechnung der Kantone. Für viele Stände waren Gewinne im nationalen Postwesen keine Option, sondern Bedarf. Andererseits sollte die nationale Post als Basismedium der Kommunikation in einem materiellen Sinn volkswirtschaftlichen Nutzen bringen, die Randregionen fördern und als Agent nationalen Gedankenguts bis in den hintersten Schweizer Winkel ausgreifen. Die Mitte 19. Jahrhundert expandierende Industrie und das ebenfalls wachsende Handelswesen waren stark an leistungsfähigen Kommunikations- und Transportnetzen interessiert. Entsprechend gross war das Interesse an leichtem, günstigem und gleichem Zugang zu Postdienstleistungen als Basismedien materieller Kommunikation (nach Wolfgang Behringer). Ein nationales Postwesen eröffnete weitergehende Innovationsspielräume, die kantonalen Posten nicht offen gestanden hatten, zum Beispiel ein effizient über Kantonsgrenzen hinweg koordiniertes Fahrplanwesen im Pferdepostbetrieb. Dessen massiver Ausbau kennzeichnete trotz grosser Defizite die Entwicklung des Postwesens im Bundesstaat. Die Pferdepost durchlief dabei einen fundamentalen Rollenwandel, wurde jedoch nicht, wie vielfach behauptet, von der Eisenbahn abgelöst. Die Posten behielten eine tragende Funktion in der Mobilitätskette bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein. Dabei stellten sie eine funktionale Flexibilität unter Beweis, welche entscheidend auf der Tradition organisatorischer Innovation im postalischen Transportwesen beruhte. Dadurch war es der Pferdepost möglich, bis zum Ersten Weltkrieg, als erst konjunkturbedingt die Passagierzahlen einbrachen und in der Folge die per Kutsche gefahrenen Kilometer zurückgingen, ein wichtiges Element im Verkehrsnetzwerk zu bleiben, – insbesondere im Zusammenhang mit dezentralen Industrieformen und dem aufkommenden Tourismus. Erst die Automobilisierung des öffentlichen Überlandverkehrs bedeutete das Ende der Postkutsche abseits touristischer Postkartenromantik. Zugleich wurde damit die Strasse vom Zubringer zur Konkurrenz der Bahnen. Entsprechend direkt ging der Bund von der Stützung der Fahrpost zur Stützung der Bahnen über.

 

Die vorliegenden Ergebnisse legen nahe, Postboten und Postkutschen, die in den Hauptorten entstehenden Postgebäude und die in der Peripherie platzierten Poststellen als Sendboten und Monumente einer neuen Schweiz zu sehen, als Verkörperung der Idee eines vereinigten Nationalstaates und der Stärke einer aufstrebenden Zentralgewalt. Verbindlichkeit und Regelroutinen fehlten 1848 nicht nur in der Beziehung zwischen dem jungen Bundesstaat und den Kantonen, sondern ebenso in der Beziehung des Bundesstaates zu seinen Bürgern. Bedienungsdichte und die im Rahmen der Bundespost ausgebaute Haftpflicht vermittelten Vertrauen, das für die nationale Integration als Lernprozess (nach Karl W. Deutsch) unabdingbar war. Der Dienstleistungsausbau intensivierte den Kontakt der Bürger mit der Post als „national agent“ (nach Eric Hobsbawm) und konnotierte Nationalstaatlichkeit mit Werten wie Zuverlässigkeit und Innovation. Die nationale Bundespost war deshalb ein ideales Integrationsvehikel, weil sie mit dezentraler Verwaltungsstruktur und gleichzeitig nationaler Konnotation ihres Dienstes regionale, konfessionelle, politische und gesellschaftliche Partikularitäten zu überbrücken vermochte. Damit war das nationale Postwesen ein nicht zu vernachlässigender Faktor für die Alltagspräsenz des Nationalstaats respektive für die Nation als tägliches Plebiszit (nach Ernest Renan) und war damit weit über die volkswirtschaftliche Bedeutung hinaus ein „Beförderungsmittel des Wohls der Nation.“

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