Es sind die Momente der Gratwanderung zwischen Leben und Tod, die in der Masterarbeit über die Nonnen des Klosters Visitation in Solothurn im Fokus stehen. Ausgehend von Nachrufen aus einem frühneuzeitlichen Frauenkonvent geht die Arbeit der Frage nach, inwiefern Krankheit und Tod im Zentrum eines weiblichen Klosterlebens zwischen dem 17. und dem frühen 19. Jh. standen. Drei Dimensionen dieser Phänomene interessierten dabei besonders: die Interpretationsansätze von Krankheit und Tod, deren kommunaler Charakter sowie deren narrative Einbettung.
Die Quellengrundlage für die Untersuchung der frühneuzeitlich-klösterlichen Dimension von Krankheit und Tod bildeten die Nekrologe bzw. Nachrufe aus der Ordensgemeinschaft der Visitandinnen in der eidgenössischen Stadt Solothurn. Diese Nachrufe, die nach dem Tod einer jeder Schwester von der Oberin des Konvents niedergeschrieben wurden, beschreiben das Leben, die Tugenden sowie die Aufgaben der Ordensschwestern, und gehen dabei vertieft auf deren Krankheitsgeschichte und Todesumstände ein. Die Nachrufe wurden in sogenannten Gelübdebüchern festgehalten, Büchern, die den Lebenszyklus der Nonnen in der Klostergemeinschaft widerspiegeln und die wichtigsten Meilensteine im Leben einer Klosterfrau dokumentieren. Gesamthaft wurden für die vorliegende Masterarbeit 163 Nekrologe aus dem Zeitraum zwischen den 1640er- und den 1850er-Jahren ausgewertet.
Die Konzentration auf ein einzelnes Frauenkloster erlaubte es der Verfasserin, sich intensiviert mit den in dieser Institution entstandenen Nekrologen zu beschäftigen und diese qualitativ auszuwerten. Das Solothurner Frauenkloster Visitation bot dank seiner hervorragenden Archivsituation ein optimales Forschungsobjekt. Neben einer historisch-hermeneutischen Vorgehensweise griff die Verfasserin insbesondere auf zwei Konzepte zurück, um die Quellen zu kontextualisieren und zu interpretieren – namentlich auf Überlegungen von Victor Turner zum von Arnold van Gennep entwickelten Riten-Konzept sowie auf Ansätze aus der Körpergeschichte. Durch die Körpergeschichte beeinflusste, jüngere Studien zum frühneuzeitlichen Verständnis von Krankheit waren zentral für die Einordnung des Krankheitsverständnisses der Nonnen aus dem Solothurner Kloster Visitation.
Den drei obgenannten Dimensionen von Krankheit und Tod in frühneuzeitlichen Frauenkonventen folgend zeigt die Arbeit erstens auf, dass die Nonnen des Klosters Visitation in Solothurn vornehmlich spirituelle Erklärungsstrategien wählten, um Krankheit und Tod zu erklären. Indem die Nonnen annahmen, dass diese Momente der Gratwanderung in einer unmittelbaren Beziehung zur göttlichen Sphäre standen, erscheint ihr Körper selbst als Kommunikationsmedium mit dem Transzendentalen – oder, als «Tor zum Sakralen». Durch das Selbstverständnis der Nonnen als Bräute Christi wurde diese Verbindung zwischen den Klosterfrauen und ihrem «himmlischen Bräutigam» zusätzlich geschlechtsspezifisch aufgeladen. Auf eine Verbindung von Krankheit mit Vorstellungen der menschlichen Sündhaftigkeit baute schliesslich die Betonung des lebenslangen Leidensprozesses auf, durch den die von Gott gesandte Krankheit zu einem integralen Bestandteil der Lebensgeschichte der Nonnen und des klösterlichen Wegs zur Selbstheil(ig)ung wurde. Damit unterschied sich das Krankheitsregime der Klosterfrauen stark von demjenigen der Laien, die – anders als die Nonnen – in erster Linie auf einen funktionstüchtigen Körper angewiesen waren.
Die Masterarbeit verweist weiter auf den kommunalen Charakter von Krankheit und Tod, indem sie aufzeigt, wie sich diese Phänomene auf das Zusammenleben in der Nonnengemeinschaft auswirkten. Dieser Zusammenhang manifestierte sich in erster Linie in Bezug zum Krankensaal der Gemeinschaft, die im Kloster Visitation als Schwellenraum in Erscheinung trat. Kranke Nonnen blieben zwar während ihrer Krankheit und auch während des Sterbeprozesses Teil der Gemeinschaft, waren jedoch gleichzeitig von ihr distanziert und nahmen einen gemeinschaftlichen Sonderstatus ein. Des Weiteren kann die Arbeit aufzeigen, dass sich die Nonnen zwar einem auf den Ordensregeln basierenden Normen- und Wertesystem unterwarfen, Individualität bzw. individuelle Krankheitsgeschichten für die soziale Verortung der Nonnen innerhalb der Gemeinschaft dennoch von Bedeutung waren.
Schliesslich legt die Masterarbeit auch dar, inwiefern die Nonnen des Klosters Visitation in Solothurn ein auf den Tod ausgerichtetes Leben führten. Die Voraussetzung für das «ewige Leben» war nach dem Verständnis der Klosterfrauen ein tugendhaftes, frommes Leben und Sterben. Die im Nachgang an den Tod einer Schwester verfassten Nachrufe spielten in diesem Narrativ eine zentrale Rolle, indem sie nicht nur das «gute Leben und Sterben» der Nonnen, sondern auch den Wert des Klosterlebens bezeugten. Dadurch dienten die Nachrufe als Mittel der Selbstlegitimation und -bestätigung, und möglicherweise auch als Medium, um allfällige zeitgenössische Kritik am Ordensleben abzuwehren.