Forschung von heute bedeutet Arbeit für morgen“. Die Institutionalisierung der staatlichen Forschungsförderung in der Schweiz 1934-1947.

Cognome dell'autore
André
Odermatt
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Brigitte
Studer
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2001/2002
Abstract

In allen westlichen Industriegesellschaften stiegen die Ausgaben für die Wissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg drastisch an. Es entstanden Forschungsförderungseinrichtungen, die sich primär auf die Grundlagenforschung konzentrierten und den Wissenschaften einen hohen Grad an Autonomie gegenüber dem Staat zugestanden. Mit der Gründung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) konnte sich 1952 auch in der Schweiz dieses liberale, auf dem Prinzip der wissenschaftlichen Selbstverwaltung basierende und als Teil der Kulturpolitik verstandene Konzept durchsetzen. Zuvor aber war die vom Bundesrat seit den 1930er Jahren verfolgte Arbeitsbeschaffungspolitik Grundlage für die Finanzierung staatlicher Forschungsförderung gewesen. Die Förderung anwendungsorientierter Forschung gehörte in der Schweiz zu den innovativen Gehalten einer sozialpolitisch motivierten Wirtschaftspolitik, die unter dem Spardruck und der Not der Krisen- und Kriegsjahre zustande kommen konnte.

 

Die Lizentiatsarbeit folgt Theorieansätzen der Wissenschaftsforschung, wie sie von Bruno Latour vertreten worden sind. Sie stellt den Netzwerkcharakter moderner wissenschaftlicher Systeme ins Zentrum und geht davon aus, dass Wissenschaft und Gesellschaft zu einer kaum mehr zu trennenden Einheit geworden sind und ihre Geschichte deshalb als „nahtloses Gewebe, das sich nicht in zwei Teile zerreissen lässt“ (Latour), dargestellt werden muss. Am Beispiel der Entstehungsbedingungen und der Genese der staatlichen Forschungsförderung in der Schweiz rekonstruiert die Arbeit jene Übersetzungsleistungen, die Behördenvertreter, Politiker, Forscher, Universitätsangehörige und Wirtschaftsrepräsentanten jeweils erbringen müssen, um ihre divergierenden Interessen aufeinander abzustimmen und gemeinsame Allianzen zu bilden. Im Falle der Schweiz kam dabei mit dem Begriff „Arbeitsbeschaffung“ ein Leitmotiv zum Vorschein, welches in der Lage war, die nötige Gleichschaltung der verschiedenen Motivlagen mindestens teilweise sicherzustellen und so eine Brücke zwischen Akteuren aus unterschiedlichen sozialen Feldern zu schlagen. Wissenschaftler, Beamte, Politiker und Industrielle fanden im Ausdruck „Arbeitsbeschaffung“ nicht zuletzt wegen dessen Deutungsoffenheit einen gemeinsamen Bezugspunkt, an dem ihre Verhandlungen ansetzen konnten und sich zu Projekten weiterentwickeln liessen.

 

Ein erstes Beispiel dafür ist die im Sommer 1935 von sozialdemokratischer Seite im Nachgang zur so genannten „Kriseninitiative“ erhobene Forderung, die Behörden müssten zusätzliche technisch-wissenschaftliche Forschungsinstitute errichten, um so die Einführung neuer Industrien und die langfristige Arbeitsbeschaffung zu sichern. Die Anregung zielte also auf den wirtschaftsseitigen und wohlfahrtspolitischen Nutzen technisch-naturwissenschaftlicher Forschung. Die in der Folge vom umtriebigen Schulratspräsidenten der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), Professor Arthur Rohn, entworfenen Pläne zur Förderung der ETH-Forschung fanden sowohl bei den Behörden des Bundes als auch bei den Behörden des Kantons und der Stadt Zürich sowie bei Vertretern der Schweizer Industrie Zuspruch. Wie in Kapitel 2 dargestellt wird, war es Rohn im März 1936 vorbehalten, mit der Gesellschaft zur Förderung der Forschung auf dem Gebiete der technischen Physik an der ETH (GTP) ein mit staatlichen und privatwirtschaftlichen Geldern finanziertes Innovationsnetzwerk auf die Beine zu stellen, das sich in den folgenden Jahren auf verschiedene Institute der ETH erstreckte. Rechtliche Grundlage waren die dringlichen Bundesbeschlüsse über Krisenbekämpfung und Arbeitsbeschaffung vom 21. Dezember 1934 respektive vom 23. Dezember 1936. 1940 stellten Bund, Kanton und Stadt Zürich der ETH einen Ein-Millionen-Franken-Forschungskredit zur Verfügung. Erneut griffen die Behörden auf Arbeitsbeschaffungskredite beziehungsweise auf die Kredite für die Verstärkung der Landesverteidigung zurück.

 

Der Krieg brachte in der Schweiz einen weiteren Ausbau der staatlichen Forschungsförderung. Den Anstoss dazu gab ein Bericht der im Sommer 1940 – dem vermeintlichen Kriegsende – zusammengestellten Eidgenössischen Arbeitsbeschaffungskommission. Kapitel 3 rekonstruiert die ersten Anstrengungen zur Errichtung eines „Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung zum Zwecke der Arbeitsbeschaffung“ in den Jahren 1940 bis 1942. Das von Schulratspräsident Rohn ausgearbeitete Projekt stand ganz im Zeichen der nationalen Selbstbehauptung: Die Stichworte dazu hiessen Wirtschaftliche und Geistige Landesverteidigung und wurden jeweils von den Vertretern der Natur- und Technikwissenschaften beziehungsweise von jenen der Geisteswissenschaften mobilisiert. Allerdings scheiterte der hektische und wenig durchdachte „Plan Rohn“ im Sommer 1942 am Widerstand der Universitäten, die ihre Interessen und generell diejenigen der Geisteswissenschaften zu wenig berücksichtigt sahen. Kapitel 4 beschreibt die neuen Pläne der Bundesverwaltung, die im Februar 1944 im Erlass eines „Reglements für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung durch Arbeitsbeschaffungskredite des Bundes“ und in der Einberufung der Kommission zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (KWF) gipfelten. Mit dem Argument, eine wirtschaftliche Nachkriegskrise vermeiden oder wenigstens entschärfen zu wollen, alimentierten die Bundesbehörden die KWF mit einem auf vier Jahre berechneten Forschungskredit von vier Million Franken. Die KWF unterstützte Forschungsprojekte sowohl an der ETH als auch an den Universitäten. Allerdings berücksichtigte die Kommission bei der Auswahl fast nur die natur-und technikwissenschaftlichen Fächer. In einem vom Staat nach wirtschafts- und industriepolitischen Gesichtspunkten regulierten Wettbewerb der Disziplinen hatten die Geisteswissenschaften gegenüber den anwendungsorientierten Naturund Technikwissenschaften keine grosse Aussicht auf Erfolg. Dies änderte sich erst 1952 mit der Errichtung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF). Als Epilog (Kapitel 5) wird der zweite, nun erfolgreiche Anlauf zur Gründung eines Na- tionalfonds nachgezeichnet.

 

Als zentrale Erkenntnis der Arbeit zeigt sich die enge Verzahnung der Anfänge der Schweizer Forschungsförderung mit den Arbeitsbeschaffungs- und Krisenbekämpfungsmassnahmen der Krisen- und Kriegszeit der 1930er und 1940er Jahre. Weiter wird deutlich, dass dieser Legitimationskontext der wirtschaftlichen Nützlichkeit einer staatlichen Forschungsförderung zu einem bis anhin in der Geschichtswissenschaft kaum beachteten frühen Konsensprojekt zwischen Freisinn und Sozialdemokraten, zwischen Industrie und Wissenschaft, zwischen Politik und Verwaltung führte und somit als Schauplatz für die Entstehung der schweizerischen Konkordanzpolitik diente. Es war bestimmt kein Zufall, dass die helvetische Arbeitsgesellschaft einen ersten Konsens in der von ihr zuvor tabuisierten Frage der staatlichen Forschungsförderung ausgerechnet im weitläufigen Feld der Arbeitsbeschaffungs- und Krisenbekämpfungsmassnahmen finden konnte.

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