Die Masterarbeit beschäftigt sich mit dem Bürgerlichen Waisenhaus Basel im Zeitraum von 1960 bis 1980 und rückt die bisher in der Forschung kaum analysierte Zusammenarbeit und Beziehung zwischen dem „Waisenvater“ (Zeitgenössischer Begriff für den Vorsteher des Bürgerlichen Waisenhauses Basel) und den Erzieher:innen in den Fokus. Diese wurde unter Berücksichtigung der Kinder, die im Untersuchungszeitraum im Bürgerlichen Waisenhaus lebten, untersucht. Als Grundlage für diese Untersuchung adressiert die Arbeit auch Erziehungsgrundsätze, das Erziehungsverständnis und die Erziehungsmethoden am Bürgerlichen Waisenhaus Basel.
Die Wahl des Untersuchungszeitraums ist doppelt begründet: Zum einen agierten in dieser Periode zwei „Waisenväter“ (Arnold Schneider 1946 – 1966 und Walter Asal 1966 – 1985), was einen Vergleich der Führungsstile und Beziehungen zu den Mitarbeitenden möglich macht. Zum andern wandelten sich in der Schweiz der 1960er Jahre die Erziehungsansätze, -methoden und -vorstellungen und die Missstände innerhalb der Heimerziehung wurden mit der sogenannten „Heimkampagne“ 1970 lautstark und öffentlichkeitswirksam kritisiert. Die 1970er Jahre können als zentrale Umbruchphase in der Schweizerischen Heim- und Anstaltserziehung angesehen werden, die unter anderem zur Forderung nach besser ausgebildeten Mitarbeiter:innen führte.
Als Quellenbasis dienen einerseits Archivalien des Bürgerlichen Waisenhauses. Dazu gehören ausgesuchte Falldossiers, in welchen die Gesprächsnotizen des „Waisenvaters“ mit den Erzieher:innen von besonderem Interesse sind, sowie Jahresberichte und Personalakten. Auch Dossiersüberdie„Waisenväter“werdeninderArbeit beigezogen. Nebst den archivalischen Quellen integriert die Arbeit Artikel aus dem Fachblatt für schweizerisches Heim- und Anstaltswesen sowie der Zeitschrift für öffentliche Fürsorge in den Korpus; diese sind mit Blick auf den Beruf und die Ausbildung zur Heimerziehung ebenso wie zu den Erziehungsansätzen und den Debatten rund um die „Heimkampagne“ und die Professionalisierung im Heimwesen von Bedeutung. Nachdem die Forschungsliteratur und die Quellen konsultiert wurden, liess sich folgende Fragestellung formulieren: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit zwischen dem „Waisenvater“ und den Erzieher:innen des Bürgerlichen Waisenhauses Basel hinsichtlich der sich wandelnden Anforderungen an das Erziehungspersonal im Zeitraum von 1960 bis 1980?
Aus den Notizeinträgen der beiden „Waisenväter“ wurde ersichtlich, dass die Beziehung zwischen Arnold Schneider und Walter Asal und den Erzieher:innen zu Beginn der 1960er Jahre noch auf Grundlage zweier unterschiedlicher Erziehungsvorstellungen aufgebaut war. Diese liessen sich angesichts mangelnder Ausbildungsangebote für Heimleitende nicht vereinen. So fehlte eine Basis, um den alltäglichen Schwierigkeiten in gemeinsamer Arbeit entgegenzutreten. Die Professionalisierung hatte zwar bereits begonnen, jedoch nur einseitig. Die Forderung nach besser ausgebildetem Personal war auf Seiten der Heimleitenden da, doch die Erzieher:innen hatten unter Umständen gar keine Chance, das in der Schule für Heimerziehung gelernte Wissen im Alltag mit den Kindern umzusetzen. Theorie und Praxis standen sich gegenüber und liefen in unterschiedliche Richtungen. Eine der Hauptaufgaben des „Waisenvaters“ war es, ebenfalls erzieherische Aufgaben zu übernehmen. Das Ziel war das gleiche, die Zusammenarbeit jedoch – vor allem mit Arnold Schneider – in der Umsetzung schwierig. Daraus resultierten Funktionsüberschneidungen und Unsicherheiten darüber, was die eigene Aufgabe im erzieherischen Bereich darstellte. Eine klare Abgrenzung der Kompetenzen war für die „Waisenväter“ festgehalten, doch ohne gemeinsame Gespräche darüber, was die Erzieher:innen in ihrem Alltag mit den Kindern erlebten, entstanden Bedenken. Eine konkrete Anleitung für Erzieher:innen fehlte im Bürgerlichen Waisenhaus Basel.
Dies änderte sich 1966 allmählich. Auf der Basis der nun häufiger aufzufindenden Notizen der Erzieher:innen lässt sich festhalten, dass mit Asal ein klarer Wechsel stattfand. Mit Blick auf das vermehrte Mitspracherecht und den Einbezug zusätzlicher Personen in die Gespräche mit den Erzieher:innen wurde die Kommunikation immer professioneller geführt. Hatten die Erzieher:innen zu Beginn der untersuchten Zeit kein Mitspracherecht, so wurde in den 1980er Jahren gewichtige Themen in der gemeinsamen Diskussion aufgenomen. Auffällig ist, dass es ab 1980 in den Gesprächen mit Walter Asal vermehrt auch um persönliche Grenzen und Fähigkeiten der Erzieher:innen in der Betreuung der Kinder ging und Ängste, Befürchtungen und Unsicherheiten direkt angesprochen wurden.