In der Lizentiatsarbeit wird die Unternehmensgeschichte der Berneralpen Milchgesellschaft (ab 1926 Ursina AG) aufgearbeitet, welche im Jahre 1892 ihren Anfang nahm und 1971 mit der Absorption des Konolfinger Unternehmens durch die Nestlé Alimentana endete. Diese Eckdaten markieren einerseits die wirtschaftliche Aufschwungphase des Kantons Bern in den 1890er Jahren und andererseits den Beginn einer schleichenden Wirtschaftskrise des Kantons gegen Ende der 1960er Jahre, die sich in einem sinkenden Steuersubstrat äusserte. Zudem weist die Geschichte der Berneralpen Milchgesellschaft erstaunliche Parallelen zu den Firmengeschichten von Wander und Chocolat Tobler auf, welche 1967 beziehungsweise 1970 ebenfalls ihre Eigenständigkeit verloren. Sie scheint deshalb den Aufstieg der Berner Wirtschaft um die Jahrhundertwende und deren Niedergang aus der Sicht der Milch- und Schokoladeindustrie widerzuspiegeln. Die Lizentiatsarbeit sucht nach den Gründen für den Erfolg und das Verschwinden der bekannten Berner Milch- und Schokoladeunternehmen, indem sie den strukturellen Wandel dieser Branche in einer Langzeitperspektive verfolgt und versucht, damit einen historischen Beitrag zur Erklärung der aktuellen wirtschaftlichen Strukturschwäche des Kantons Bern zu leisten. Mit Hilfe des Cluster-Ansatzes von Michael Porter und den ökonomischen Wellentheorien wird dabei die Geschichte der Schweizer Milch- und Schokoladeindustrie als „Milchwelle“ zu charakterisieren versucht. Diese „Milchwelle“ nahm im 19. Jahrhundert mit der Agrarmodernisierung ihren Anfang und erfuhr in den folgenden Jahrzehnten aufgrund günstiger Voraussetzungen einen steilen Anstieg: Einerseits schufen die Spezialisierung der Landwirtschaft auf die Milchproduktion und die Käseexportkrise das nötige Milchangebot, andererseits förderten der Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft ein neues Ernährungsbewusstsein sowie das Bild des Bürgertums von der heilen Natur in den Alpen den Milchkonsum. Ebenso wichtig waren Innovationen im Bereich der Kondensmilch- und Schokoladeproduktion, bei denen die Vernetzungen zwischen den Firmen eine wesentliche Rolle spielten und der Schweiz einen technischen Vorsprung verliehen, sowie die gegenseitige Konkurrenz in der Region, welche zu ständigen Verbesserungen der Produkte anregte. Diese Befunde weisen darauf hin, dass der Erfolg der Schweizer Milch- und Schokoladeindustrie auf so genannten Cluster-Effekten (Porter) basierte. Daraus gingen um die Jahrhundertwende im Kanton Bern Qualitätsprodukte mit starken Markennamen wie die Toblerone von Chocolat Tobler, die Ovomaltine der Firma Wander und die Bärenmarke der Berneralpen Milchgesellschaft hervor, welche sich durch einen hohen Nährwert und lange Haltbarkeit auszeichneten. Im Ersten Weltkrieg zerfiel dieses Cluster jedoch wegen der Milchknappheit und den hohen Milchpreisen in der Schweiz. In der Zeit zwischen 1914 und 1950, welche von den beiden Weltkriegen und der Weltwirtschaftskrise überschattet wurde, reagierten die Berner Unternehmen (Wander, Tobler, Ursina) mit erstaunlicher Flexibilität auf Krisen und Herausforderungen, wobei sie ihren Erfolgsprinzipien aus dem 19. Jahrhundert (Export einwandfreier Qualitätsprodukte und hervorragendes Marketing) treu blieben. Ausgelöst durch den zunehmenden Wohlstand in breiten Bevölkerungsschichten ver- zeichneten die Berner Milch- und Schokoladeunternehmen in den 1950er Jahren ein enormes Unternehmenswachstum; dieses beruhte bei der Berneralpen Milchgesellschaft auf der Bärenmarke-Milch und bei Wander und Tobler vermutlich auf den Marken Ovomaltine und Toblerone aus dem 19. Jahrhundert. Die Ursina präsentierte hervorragende Geschäftsergebnisse, während die unternehmerische Dynamik gering war. Die Konzentration des Unternehmenserfolges auf ein einziges Erfolgsprodukt rächte sich allerdings in den 1960er Jahren, als sich die Kundenbedürfnisse mit dem Wandel von der Industriezur Konsumgesellschaft änderten und die bisherigen Verkaufsargumente Haltbarkeit und Nährwert ihre Bedeutung verloren. Zudem gerieten die Unternehmen durch die zunehmende Konkurrenz aus den USA unter Druck. Die Gewinne auf dem Milch- und Schokolademarkt stagnierten, was schliesslich zur Absorption der drei Traditionsunternehmen Wander, Tobler und Ursina führte. Die „Milchwelle“ lässt vermuten, dass die Wirtschaftskraft der Berner Milch- und Schokoladeindustrie im Wesentlichen aus der Zeit zwischen 1890 und 1914 stammte. Die damals entwickelten Produkte konnten sich den veränderten Konsumbedürfnissen in den 1960er Jahren nur bedingt anpassen, während neue, erfolgversprechende Produkte fehlten, was schliesslich zu einer schleichenden Krise führte.
Die Milchwelle. Aufstieg und Niedergang der Berneralpen Milchgesellschaft
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Christian
Pfister
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2004/2005
Abstract
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