Das Dissertationsprojekt befasst sich mit der Rezeptionsgeschichte molekulargenetischen Wissens im philosophischen Diskurs Frankreichs zwischen 1965 und 1975. Die geplante Arbeit versucht aufzuzeigen, inwiefern sich die poststrukturalistischen Referenzautoren Michel Foucault, Gilles Deleuze, Michel Serres und Georges Canguilhem an Denkmodelle angelehnt haben, die im Bereich der Molekulargenetik entwickelt wurden. Damit will sie einen Beitrag zur Geschichte der wirkungsmächtigen philosophischen Theorieströmung des Poststrukturalismus leisten. Die Bedeutung, die die epistemologische Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Wissensformen für die Theoriebildung der französischen Philosophie der Nachkriegszeit hatte, wurde bisher geschichtswissenschaftlich und philosophiegeschichtlich kaum gewürdigt. Unter Bezugnahme auf die methodologischen Diskussionen einer Geschichte des Wissens, wonach Erneuerungen des Wissens aus Grenzüberschreitungen und epistemischen Transfers hervorgehen, konzentriert sich die Arbeit auf diese Forschungslücke und fragt nach der historischen Bedeutung molekulargenetischen Wissens für die französische Philosophie des Poststrukturalismus.
Das Forschungsprojekt will am Beispiel einer historischen Fallstudie den epistemischen Transferprozessen von der Biologie hin zur Philosophie nachgehen. Im Zentrum der Fallstudie stehen die beiden Biologen François Jacob und Jacques Monod, die 1965 den Nobelpreis für Medizin erhielten. Beide galten aufgrund ihrer Forscherkarrieren am Institut Pasteur und den Lehrstuhlverpflichtungen am Collège de France als die genuinen Repräsentanten der damals aufkommenden molekulargenetischen Wissenschaftsrevolution. Vor allem mit ihren Buchpublikationen – Monod schrieb Le hasard et la nécessité, Jacob La logique du vivant – aus dem Jahr 1970 lösten sie breite Resonanzen bei zahlreichen französischen Philosophen und Sozialwissenschaftlern aus, deren letzte Spuren bis ins Jahr 1975 reichen und deren präzise quellenkritische Aufarbeitung bislang noch aussteht. Als Quellenbasis dienen somit zum einen die umfangreichen Nachlässe der beiden Biologen Monod und Jacob. Zum anderen werden bislang noch unerforschtes Quellenmaterial und zentrale Texte aus den Nachlässen bzw. Werken der vier genannten Philosophen herangezogen, die auf eine direkte Auseinandersetzung mit den beiden Biologen verweisen bzw. auf dem Feld bio-epistemologischer Diskurse verortet werden können.
Aufbauend auf dieser Fallstudie fokussiert die Arbeit darauf, den Rezeptionsvorgang in seinen unterschiedlichen Facetten zu beschreiben, nach den Hintergründen bzw. Intentionen des Aneignungsprozesses zu fragen und vor allem die Reichweite und Aussagekraft dieses biologischen Wissens zu bestimmen. So soll z.B. ausgehend von einer Beschreibung der Rezeptionslinie François Jacob – Michel Foucault die These erhärtet werden, dass man Foucaults Aussagen zur „Genealogie“, zum „Zufall“, zum „Leben“ oder zum „Tod des Menschen“ im Lichte der Molekulargenetik lesen kann. Vor diesem Hintergrund eines Konzepttransfers stellt sich auch die Frage nach den historischen Bedingungen, unter denen Wissen sich in einem symbiotischen Verhältnis ausbreiten kann. Daher gilt es neben der Beschreibung der konkreten Transferprozesse, die Rezeptionsgeschichte in Beziehung zu setzen zu der in Frankreich wichtigen wissenschaftsphilosophischen Tradition der Épistémologie, einer Tradition, in die sich alle hier behandelten Protagonisten für eine bestimmte Zeit eingeschrieben hatten. Ausgehend von dem Umstand, dass Epistemologie seit Gaston Bachelard als eine Theorietechnik gilt, bei der das wissenschaftliche Denken selbst zum zentralen und konstitutiven Gegenstand philosophischer Reflexion wird, fragt die geplante Arbeit, welche historische Rolle die biologische Revolution der Molekulargenetik als ein genuin epistemologisches Ereignis innerhalb der Theoriebildung des Poststrukturalismus spielte.
Die epistemologischen Jahre. Französische Philosophie und moderne Biologie, 1965-1975
Tipo di ricerca
Dottorato
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Philipp
Sarasin
Istituzione
Neuzeit
Luogo
Zürich
Anno
2015/2016
Abstract