Der entthronte „Panzerpabst“ und die Legende vom politischen Unschuldslamm. Heinz Wilhelm Guderians entmythologisierte Rolle in der Entwicklung der deutschen Panzerwaffe in der Zwischenkriegszeit und seine damalige politische Einstellung

Cognome dell'autore
Dominik
Rothenbühler
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Stig
Förster
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2001/2002
Abstract

Offensichtlich war die Geschichtswissenschaft bezüglich der historischen Figur Heinz Wilhelm Guderians während Jahrzehnten nicht in der Lage gewesen, ein objektives und unverzerrtes Bild des berühmten Panzerstrategen und Panzerführers wiedergeben zu können. Dies vielleicht deshalb, weil Guderian wegen seiner fachlichen Kompetenz, seinen enormen militärischen Erfolgen bis zur Kriegswende, seinem Temperament und seinem Charisma bereits während seiner militärischen Karriere von zahlreichen Zeitgenossen mehr Verehrung erhielt als ihm tatsächlich zugestanden hätte.

 

Die Geschichtsforschung hinterfragte die nach dem Krieg noch immer vorherrschende unkritische Meinung gegenüber Guderian zu wenig kritisch und lieferte dieser sogar das wissenschaftliche Einverständnis. Dass ihr Guderian mit seinen sehr selbstgefälligen und zum Teil wohl unwahren Memoiren „Erinnerungen eines Soldaten“ und seinem zweiten grossen, durch Generalmajor Oskar Munkel eindeutig zu Ehren Guderians vollendeten Nachkriegswerk „Panzer-Marsch“ 1951 und 1954 gleich zweimal die dazu benötigten Argumente lieferte, um ihn in einer übertriebenen Art und Weise als „Held“ darstellen zu können, zementierte leider die Missverständnisse um seine Person.

 

Die Zielsetzung einer möglichst objektiven Beurteilung der tatsächlichen militärischen und politischen Rolle Guderians während der Zwischenkriegszeit hatte deshalb zur Folge, dass die Arbeit zwei lange Zeit vorherrschende Ansichten über Guderian mehr oder weniger unabsichtlich als Mythen entlarvt und damit die Resultate der jüngsten Guderianforschung bestätigt.

 

Die Argumentation zum ersten GuderianMythos schält im ersten Hauptteil der Arbeit genügend Angaben heraus, damit der fälschlicherweise als „Panzerpapst“ bezeichnete Guderian nachträglich definitiv von seinem Thron gestossen werden kann oder sogar muss: Guderian war während der Zwischenkriegszeit beim Aufbau der deutschen Panzerwaffe erst in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch die entscheidende Figur gewesen und hatte diesbezüglich zuvor mehrheitlich zwar in wichtigen, nie aber in entscheidenden Funktionen gedient. Er war als taktischer Mitdenker und einer der energischsten Baumeister der neuen Panzerwaffe bis zu seinem rasanten Aufstieg ab dem Jahr 1938 stets von Vorgesetzten abhängig gewesen, die seine Arbeit billigten und förderten. Zudem mussten die hohen Entscheidungsträger jeweils die Vorteile der neuen Waffe und deren neuartige Verwendung erkennen, bevor sie neue Schritte planten oder in Auftrag gaben. 

 

Mit seinen taktischen und operativen Ansichten bezüglich der Verwendung der Panzer war Guderian nie ein führender Pionier, sondern bloss ein energischer Verfechter von Ideen, die nicht nur ausserhalb Deutschlands, sondern auch innerhalb der Weimarer Republik und dem Dritten Reich bereits von anderen Militärexperten vorgedacht und niedergeschrieben worden waren.

 

Die Argumentationslinie zu Guderians politischen Einstellungen zeigt im zweiten Hauptteil der Arbeit deutlich auf, dass nicht nur die technokratische, sondern auch die politische Seite Guderians während der Zwischenkriegszeit lange Zeit falsch eingeschätzt wurde: Guderian galt zu Unrecht als apolitischer Panzerfanatiker und deshalb als politisches „Unschuldslamm“.

 

Fakt ist, dass Guderian die Politik der Nationalsozialisten mehr unterstützte, als dies der Mythos des unschuldigen Berufssoldaten Guderian lange Zeit behauptete. Guderian war zwar kein Politiker, dafür ein stolzer Staatsbürger Deutschlands. Er war auch kein politischer Revolutionär und kein bekennender Nationalsozialist, dafür aber ein militärischer Revolutionär. Seine Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten war hingegen zu intensiv, seine Mitarbeit bei Kriegsverbrechen zu offensichtlich, seine politischen Vorstellungen vor allem bezüglich der sowjetischen Bevölkerung zu rassistisch und seine Kenntnis über den Holocaust zu klar, um weiterhin als politisches „Unschuldslamm“ gelten zu können.

 

Zwar hatte Guderian das nationalsozialistische Verbrecherregime zu spät erkannt. Zu lange liess er sich von denjenigen Auswirkungen des Nationalsozialismus blenden, die seiner Panzertruppe und ihm persönlich nutzten. Doch deshalb kann Guderian politisch noch längst nicht entlastet werden. Die zunehmende Verquickung von Wehrmacht und Nationalsozialismus hätte ihn stutzig machen müssen.

 

Guderian ist diesbezüglich beileibe kein Einzelschicksal: Die deutsche Bevölkerung wollte auch nach dem Krieg lange nicht glauben, dass die Verbrechen nicht nur von der politischen Kaste, sondern auch von der Wehrmacht, das heisst von Männern sämtlicher Gesellschaftsschichten, verübt worden waren. Als die Geschichtsforschung diese Wissenslücke endlich geschlossen hatte, mussten sich viele deutsche Männer aufgrund der Beweislage jedoch allmählich von ihrer „Lebenslüge“ trennen und ihre Mitarbeit bei den Kriegsverbrechen gestehen. Guderian erlebte diese aufwühlenden Jahre nicht mehr. Er nahm die Wahrheit 1954 mit ins Grab.

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