Im Zeitalter des Nationalismus ereignete sich am nördlichen Rand Europas eine friedliche Sezession. Die Union zwischen Norwegen und Schweden, welche 1814 durch militärische Mittel von Schweden erzwungen worden und von politischen Konflikten geprägt war, wurde 1905 friedlich aufgelöst. Die neueste europäische Geschichte schenkt weder der Union, noch deren unblutigem Ende, gross Beachtung. In Skandinavien selbst ist dieses Thema allerdings gut erforscht. Diese Lizenziatsarbeit macht diese Forschung nun auch einer deutschsprachigen Leserschaft zugänglich. Dabei steht die Frage im Zentrum, warum es 1905 zwischen Norwegen und Schweden zu keinem Krieg kam. Da auch eine friedliche Sezession von Zerrüttung und Unsicherheit geprägt ist, werden die Gründe untersucht, welche die friedliche Trennung zweier Brudervölker ermöglichten.
In einem ersten Teil befasst sich die Lizenziatsarbeit mit den Umständen des Zustandekommens der Union, ihrem Aufbau und ihrer Geschichte. In einem zweiten widmet sie sich der Kernfrage, warum es zu keinem Krieg kam. Norwegen wurde durch die Wirren der napoleonischen Kriege von Dänemark abgetrennt und konstituierte sich am 17. Mai 1814 als unabhängiger Staat. Nach der französischen Niederlage in der Völkerschlacht von Leipzig griff Schweden Dänemark an und erhielt im Frieden von Kiel Norwegen zugesprochen. Unterstützung erhielten die Schweden dabei von Russland, welches Norwegen als Kompensation für die Abtretung Finnlands an das Zarenreich im Jahr 1908 ansah. Die Bindung Norwegens an Schweden war allerdings wesentlich loser als diejenige, welche zu Dänemark bestanden hatte, da der schwedische König die am 17. Mai 1814 verabschiedete Verfassung Norwegens ohne grosse Veränderungen akzeptierte. Norwegen erhielt dadurch ein selbständiges Parlament, welches mehr Rechte als sein schwedisches Gegenstück besass und durch ein breiteres Wahlrecht gewählt wurde. Zusammengehalten wurden Norwegen und Schweden nur durch die persönliche Union der Krone und die gemeinsame Aussenpolitik. Während den etwa 90 Jahren des Bestehens der Union fand keine nennenswerte Integration statt. Norwegen konnte nicht nur seine eigenständigen Institutionen behalten, sondern erreichte auch die Abschaffung des Statthalteramts. Die beiden Wirtschaftssysteme blieben ebenfalls voneinander getrennt und in Norwegen entwickelte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts ein eigener kultureller Nationalismus. Norwegen widerstand demnach allen schwedischen Integrationsversuchen und die Union wurde als Vorstufe zur Unabhängigkeit gedeutet. Deshalb war die Union immer wieder von Konflikten geprägt. Diese entstanden um den Gebrauch der norwegischen Flagge durch die norwegische Handelmarine, welche 1880 die viertgrösste der Welt war, um die aussenpolitischen Befugnisse der einzelnen Institutionen und um das Recht Norwegens auf ein selbständiges Konsularwesen.
Als 1905 zum wiederholten Mal Verhandlungen zum Konsularwesen scheiterten, führte die norwegische Regierung eine künstliche Regierungskrise herbei. Die Autorität des schwedischen Königs wurde nicht länger anerkannt und die Union deshalb für beendet erklärt. Dieses unilaterale Vorgehen Norwegens führte in Schweden zu spontanen Protesten. Es gab aber in Schweden keine Mehrheit, welche sich auf einen Krieg gegen Norwegen einlassen wollte, obwohl ein Teil der politischen Kräfte aus Prestige- und machtpolitischen Gründen gegen die Auflösung der Union waren.
Neben der mangelnden Kriegsbereitschaft der schwedischen Elite und des Königshauses waren noch weitere Faktoren dafür verantwortlich, dass es 1905 in Skandinavien zu keinem Krieg kam. Dabei muss besondere Aufmerksamkeit auf die internationale Lage gelegt werden. Die europäischen Grossmächte waren 1905 entweder selber in schwerwiegende Krisen involviert (russisch-japanischer Krieg, erste Marokkokrise) oder wollten die angespannte internationale Lage nicht mehr verschärfen. Aus den diplomatischen Akten wird zudem deutlich, dass das Ende der norwegischschwedischen Union für die Grossmächte nicht im Zentrum ihrer Interessen stand und sie keinen weiteren europäischen Krisenherd riskieren wollten. Was Schweden betrifft, so war der Nutzen, den es aus der Union zog, eher gering. Allerdings hatte die norwegische Sezession den schwedischen Stolz verletzt und so entschied man sich in Schweden, Norwegen einige Bedingungen zur Auflösung der Union zu stellen. Es kam folglich zu den Verhandlungen in Karlstad, und in Norwegen wurde ein Referendum abgehalten, in welchem die norwegische Bevölkerung mit überwiegender Mehrheit der Sezession zustimmte.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Norwegen während der gesamten Unionszeit die Grenzen der Selbständigkeit ausgetestet und im Jahr 1905 die internationale Gunst der Stunde genützt hat. Zudem haben die beteiligten norwegischen und schwedischen Akteure Vernunft walten lassen und sich nicht zu militärischen Aktionen hinreissen lassen.