Conception vitale ou idée moribonde: Ukrainische Nationalbestrebung in der Schweiz vom Errsten Weltkrieg bis 1992

Cognome dell'autore
Marina
Häusermann
Tipo di ricerca
Tesi di master
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Julia
Richers
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2015/2016
Abstract
Am 28. Januar 1918 proklamierte die Ukrainische Volksrepublik ihre Unabhängigkeit, und die Ukraine wurde zu einer, wenn auch kurzlebigen, Realität. Ermöglicht hatten dies die veränderten Machtkonstellationen im Ersten Weltkrieg, die bestehende Orientierungsmuster und politische Modelle ebenso ins Wanken brachten, wie dies die Russischen Revolutionen von 1917 taten. Gleichzeitig verdeutlichten die zu Beginn vor allem kulturellen ukrainischen Nationalbewegungen in Österreich-Ungarn und im Zarenreich seit Mitte des 19. Jahrhunderts den V ersuch, ein ukrainisches Kollektiv zu definieren und Kontinuitäten zu suggerieren. Auf verschiedenen Wegen führte der Erste Weltkrieg eine Gruppe ukrainischer Publizisten mit ursprünglich sozialdemokratischem Hintergrund in die Schweiz. Seit 1915 nutzten sie die Eidgenossenschaft als Kommunikationsund Aushandlungsraum ihrer in Form von Zeitschriften materialisierten nationalen Bestrebungen. Diese Zeitschriften sowie Broschüren und Flugschriften, die in den Jahren zwischen 1915 und 1921 herausgegeben wurden und sich mit der Nationskonstruktion der ukrainischen, wie auch anderer ost(mittel)europäischer Bevölkerungsgruppen befassten, dienten als Quellen dieser Masterarbeit. Es wurde untersucht, wie in sprachlichen Bildern und Landkarten eine „Ukraine“ konstruiert und definiert, auf welche Charakteristika und Merkmale zurückgegriffen wurde und inwiefern zirkulierende Ideen ihrer Zeit die Akteure prägten. Dabei eröffneten sich diesen neben den Zeitschriften weitere Handlungsräume: Die „Union des Nationalités“ verlegte 1915 ihr Büro von Lausanne nach Paris und organisierte im Sommer 1916 in Lausanne eine Nationalitätenkonferenz, die den ukrainischen Emigranten sowie Vertretern einer Vielzahl anderer „Nationalitäten“ als Forum diente, um ihre nationalen Bestrebungen und Zielsetzungen zu präsentieren und zu diskutieren. Zudem pflegten mehrere der ukrainischen Publizisten enge Kontakte zur deutschen Gesandtschaft in der Schweiz, die massgeblich an der Gründung einer „Liga der Fremdvölker Russlands“ beteiligt war, deren Periodikum ebenfalls in ukrainischen Händen lag. Die Russischen Revolutionen verschoben 1917 sowohl die Loyalitäten als auch die Zielsetzungen und politischen Visionen der ukrainischen Akteure: Es offenbarten sich neue Möglichkeiten, und neue Zukunftsmodelle wurden denkbar. Sowohl die Internationalisierung der Ukrainefrage als auch die Aneignung der eigenen Zukunft konnte bis zu einem gewissen Grade erreicht werden. Die ukrainischen Publizisten in der Schweiz trugen durch ihre Zeitschriften, Broschüren, Drucke historischer Dokumente und alternativer Landkarten einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu, der – angesichts des letztendlichen Scheiterns des ukrainischen Staatsprojekts – nichtvergessen werden darf. Sprache und Religion und eine gemeinsame Vergangenheit wurden in Abgrenzung zu polnischen und russischen Ansprüchen auf Land und Bevölkerung als Parameter einer ukrainischen Identität herauskristallisiert. Die diskutierten Zukunftsvisionen spiegelten dabei die Ereignisse ihrer Zeit: Die im 19. Jahrhundert entstandene Idee einer austro-ukrainischen Lösung verlor mit der Februarrevolution an Gültigkeit, während die Vision einer Autonomie innerhalb einer russ(länd)ischen Föderation erst mit Ausbruch des russischen Bürgerkriegs an Popularität einbüsste und der Maxime der Unabhängigkeit weichen musste. Als Manifestation derselben entstand im Herbst des Jahres 1918 eine offiziöse ukrainische Mission in Bern, die auch weiterbestand, als sich die Westukrainische Volksrepublik mit der ukrainischen vereinte, und ein Zusammenschluss der ukrainischen Bevölkerung in einem eigenen Staatsgebiet real zu werden schien. Doch trotz der stetigen Konstruktion von Staatlichkeit fehlte es an politischer Macht zu deren Durchsetzung, die eingeforderten Territorien konnten nicht kontrolliert und die Entente nicht zur Unterstützung des ukrainischen Nationalstaats gewonnen werden. Die Friedenskonferenz in Paris war eine Enttäuschung, das Selbstbestimmungsrecht der Völker fand keine Anwendung und die ukrainischen Territorien wurden erneut auf verschiedene Staaten verteilt. Dennoch gelang es den ukrainischen Publizisten in der Schweiz, der Ukraine einen Platz in der mentalen Geographie ihrer westeuropäischen Leserschaft einzuräumen und ein ukrainisches Kollektiv zu konstruieren, auf das in Krisenzeiten – wie seit der Annexion der Krim 2014 – zurückgegriffen werden kann. Daran zeigt sich, dass die Konstruktion des nationalen Kollektivs sich zwar auf die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesetzten Grundpfeiler stützt, doch in den Jahren des Ersten Weltkriegs ebenso wie heute einer steten Aushandlung bedarf.

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