Call for papers
Wie begegnen Historikerinnen und Historiker heute, früher und in Zukunft ihren Quellen? Call for Papers für die Jubiläumstagung des Historischen Seminars Zürich am 6. und 7. Oktober 2022.
Quellen sind das Kerngeschäft der Historikerin. Bereits die Gründung des Historischen Seminars der Universität Zürich in den 1870er Jahren fusste auf der Etablierung einer ausgeprägten Quellenfokussierung in Forschung und Lehre. Die Anfangszeit der Geschichtswissenschaft in Zürich war geprägt durch die Erschliessung von Quellen in zahlreichen Editionsprojekten und durch die intensive Quellenarbeit mit Studierenden.
Zürich steht damit keinesfalls alleine: Seminare als neue partizipative Unterrichtsformen wie als Institutionen entwickelten sich vielerorts direkt aus der Faszination des Historismus für die Quellen und deren Interpretation. Doch auch die weiteren Stationen der Geschichtswissenschaft lassen sich an ihren jeweiligen Quellen-Interessen festmachen – ob man auf den griffigen Slogan „von der Quelle zur Tabelle“ der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der 1970er und 1980er blickt, auf die zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen quellennahen Empirikern und quellenkritischeren Theoretikerinnen oder auf die Verschiebungen der Quellengattungen etwa im Zuge der Geschichte von unten, der Geschlechtergeschichte oder der Historischen Anthropologie. Die Frage danach, was eine Quelle überhaupt ist und wie man sich ihr zu nähern hat, teilt sich die Geschichtswissenschaft dabei längst mit einer ganzen Reihe von Nachbardisziplinen – genauso wie das Material selbst inzwischen ganz selbstverständlich auch Bildquellen, Objekte und die audio-visuellen Medien umfasst.
Digitales Forschen prägt zunehmend den Alltag der Geschichtsforschenden. Neben den Chancen und Herausforderungen in der Praxis der zahlreichen digitalen Editionsprojekte stellt sich immer mehr die Frage danach, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die einzelnen Forschenden, ihre Projekte und die Geschichtswissenschaft der Zukunft hat. Bedeuten die immer unerschöpflicher scheinenden digitalen Archive der Gegenwart immer grössere Verfügbarkeiten und somit Forschungsfreiheiten über geographische Grenzen hinweg? Oder strukturieren digitale Formate, Plattformen und Algorithmen die Quellenkorpora von Forschungsprojekten auch bereits vor? Welche Rolle spielt die traditionell auf Selektion, Kategorisierung und Erschliessung beruhende „Macht des Archivs“ (Achim Landwehr) und dessen „tacit narratives“ (Eric Ketelaar) im digitalen Kontext? Und was bedeutet die Digitalisierung wiederum für die Erforschung nicht-digitaler Bestände etwa in Privat- oder Firmenarchiven, deren Zugänglichkeit und Erforschung häufig Probleme bereithält? Welche methodischen Anpassungen im Sinne einer digitalen Quellenkritik sind letztlich vorzunehmen?
Der grosse Stellenwert der Quellenarbeit für die historische Ausbildung setzt sich bis in die Gegenwart fort. Wie lassen sich Quellenkritik und Quelleninterpretation an Schule und Universität noch stärker miteinander verzahnen? Grossangelegte Transkriptionsmarathons, das Bloggen über neue Quellenfunde, kollektive Editionsprojekte und eine zunehmende Demokratisierung des Quellenzugangs stehen beispielhaft für die zunehmende Bedeutung der Quellen auch an der Schnittstelle zwischen akademischer Geschichtsforschung und Public History.
Die epochenübergreifende Tagung, die das Historische Seminar Zürich im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten zu seinem 150-jährigen Bestehen veranstaltet, widmet sich den variantenreichen Quellenbegegnungen des Historikers aus drei Perspektiven:
1. historisch – Diese Sequenz wirft neue Blicke auf die Zusammenhänge zwischen der Geschichte der Disziplin und ihrem Verständnis von Quellen und Quellenpraktiken seit den 1870er Jahren in Zürich, der Schweiz und an anderen Orten. Veränderten neue Ansätze die Begegnungen mit den Quellen oder warfen neue Quellen aktualisierte Fragen und Herangehensweisen auf? Welche historischen Ansätze der Quellenpraxis verdienen eine Neubeachtung heute?
2. zugänglich – Die in der historistischen Quellenpraxis des späten 19. Jahrhunderts zentrale Herausforderung des Quellenzugangs gestaltet sich im 21. Jahrhundert ganz anders – und hat dennoch nicht an Relevanz verloren: Inwieweit macht die zunehmende digitale Verfügbarkeit von Quellen historisches Forschen globaler, unvermittelter und demokratischer? Und wo liegen gerade die Herausforderungen im Umgang mit den zunehmend (vermeintlich) dislozierten Datenmengen? Welche neuen Formen der Unzugänglichkeit – systematische Lücken, die Überbetonung des Englischen oder die Absenz ohnehin bereits unterpräsentierter Gruppen beispielsweise – verstecken sich beispielsweise dahinter und wie kann man ihnen begegnen?
3. materiell – Die Begegnung mit der Quelle evoziert unmittelbar den „Effekt des Wirklichen“ (Arlette Farge). Die materielle Existenz und Präsenz der Quelle vermittelt eine Wahrheit bezüglich ihres Inhalts – ein Problem, dem sich die Quelleninterpretation immer wieder neu zu stellen hat. Wie lassen sich alte Fragen nach der Quellenkritik mit neuen Zugängen der materiellen Kulturforschung neu diskutieren? In welchem Zusammenhang stehen Materialität, Medialität, Quellenkritik und individuelle Archiverfahrungen? Und wie ordnen sich hier wiederum die Transformationen des Materials durch die verschiedenen Stufen der Digitalisierung sowie die enorme Dynamik von „digital born data“ ein?
Die Tagung findet zweisprachig (deutsch/englisch) statt. Vorschläge für Vorträge (20 Minuten, Abstracts max. 300 Wörter, kurzer CV) senden Sie bitte bis 1. November 2021 an sarah.schober@uzh.ch.
Reise- und Übernachtungskosten in Zürich werden bei Bedarf im üblichen Rahmen übernommen.
Organizzato da
Historisches Seminar, Universität Zürich
Veranstaltungsort
Contatto
Lingua/e della manifestazione
Tedesco
Inglese