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Tagung: Ökonomien der Wohlfahrt, 26.01.2017 - 27.01.2017, Basel
In modernen kapitalistischen Gesellschaften sind Wohlfahrtsstaat und Wirtschaft auf widersprüchliche Weise aufeinander verwiesen. Mit Claus Offe gesprochen kann der Kapitalismus zwar nicht mit dem Wohlfahrtsstaat koexistieren, aber auch nicht ohne ihn existieren. Historisch lässt sich die Entstehung des Wohlfahrtsstaats als dialektische Gegenbewegung zur und Korrektiv der zerstörerischen Folgen der Entbettung von Märkten beschreiben. Indem der Wohlfahrtsstaat als „Unsicherheitsdämpfer und Ungleichheitsmoderator“ (Berthold Vogel) fungiert, zivilisiert er gleichsam den Kapitalismus und entschärft soziale Konflikte. Allerdings war und ist die Entgegensetzung von Wohlfahrt und Wirtschaft nie absolut: Der Markt ist neben Staat, Familie und Zivilgesellschaft ein wichtiger Akteur der Wohlfahrtsproduktion und sozialstaatliche Sicherung und Umverteilung basierten seit jeher auf einer prosperierenden Wirtschaft. Diesem klassischen Arrangement des Wohlfahrtsstaats brechen seit den späten 1970er Jahren sowohl die materielle Basis wie der ideelle Überbau weg. Die resultierenden Finanzierungs-, Steuerungs- und Legitimationskrisen führten zu einer tiefgreifenden Rekonfiguration des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft, die im einschlägigen wissenschaftlichen Diskurs als neoliberale Ökonomisierung beschrieben wird. Staatliches Handeln wird von Marktmechanismen durchdrungen, Aufgaben der Wohlfahrtsproduktion vermarktlicht und privatisiert, und, so die Kritik, Sozialpolitik − etwa im Paradigma der Sozialinvestitionen − vollends der Wirtschaftspolitik untergeordnet. Gleichzeitig wird jedoch in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt von Wirtschaftsakteuren selbst die soziale Verantwortung der Wirtschaft angemahnt. So erlebt heute etwa das in den 1950er Jahren geprägte Konzept der „Corporate Social Responsibility“ eine Renaissance.
Gegenstand der Tagung
Den Wohlfahrtsstaat und die Wirtschaft gibt es bekanntlich nicht, vielmehr ist mit einer Pluralität von Wohlfahrtsregimes und Kapitalismen zu rechnen, in denen Staat und Wirtschaft auf unterschiedliche Weise miteinander verwoben sind. Die interdisziplinäre Tagung beleuchtet diese Ökonomien der Wohlfahrt aus historischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive. Implementierung, Entwicklung, Wandel und Ausprägungen von Formen der Wohlfahrtsproduktion in unterschiedlichen Feldern seit den 1960ern werden zur Diskussion gestellt. Die thematische Auseinandersetzung kann analytisch auf der Ebene der Akteure und der angewandten Regulierungsmechanismen, von Diskursen oder Praktiken erfolgen:
Akteure und Regulierungen: Bezogen auf einzelne sozialpolitische Felder oder Themen bzw. auf gesamtgesellschaftlicher Ebene drängt sich die Frage auf, welche Akteure, unter welchen Umständen und mithilfe welcher Mittel wohlfahrtsstaatliche Arrangements (mit-) gestalten bzw. (mit-) bestimmen und umsetzen oder umgekehrt diese bekämpfen. Neben Staat und Wirtschaft können die Wissenschaft oder zivilgesellschaftliche Akteure wie Gewerkschaften, NGOs u.ä. in den Blick kommen.
Diskurse: Hier interessieren die Konzeptualisierungen und Legitimierungen sozialstaatlicher wie unternehmerischer Formen der Wohlfahrtsproduktion, die sich z.B. an Konzepten wie Unternehmenskultur, Unternehmensethik oder Corporate Social Responsibility festmachen lassen. Auf makrosozialer Ebene können etwa die sozialpolitischen Diskurse analysiert werden, welche die Rekonfiguration des Wohlfahrtsstaats anleiten und legitimieren oder die Verschiebung von Verantwortlichkeiten durch die Akzentuierung der „Eigenverantwortung“ von Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen im Sinne eines neoliberalen Paradigmas.
Praktiken: Aus einer praxeologischen Perspektive interessieren schliesslich die konkreten Formen der Wohlfahrtsproduktion in sozialstaatlichen Institutionen, Unternehmen und weiteren Organisationen und Einrichtungen. Es kann die Interaktion an den Schnittstellen unterschiedlicher Akteure, Funktionsbestimmungen innerhalb einer Organisation, aber auch die Situation Betroffener, die sich innerhalb wohlfahrtsstaatlicher Arrangements bewegen und verschiedenen sozialen Risiken ausgesetzt sind (Arbeitslosigkeit, Armut, Alter, Behinderung etc.) thematisiert werden.
Erwünscht sind theoretische, empirische sowie methodologische Beiträge zu diesen Schwerpunkten und weiteren Aspekten der Wechselwirkungen von Wohlfahrtsstaat und Wirtschaft. Willkommen sind sowohl international vergleichende Perspektiven wie Beiträge zu einem nationalen/lokalen Kontext. Eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge in einem Sammelband ist vorgesehen. Beiträge können in Deutsch, Französisch oder Englisch eingereicht werden. Bitte senden Sie ein Abstract von maximal 1-2 Seiten im PDF-Format bis 31. März 2016 an: alan.canonica@unibas.ch
Organizzato da
Prof. Dr. Martin Lengwiler, Departement Geschichte Universität Basel; Prof. Dr. Eva Nadai, Fachhochschule Nordwestschweiz Hochschule für Soziale Arbeit; PD Dr. Peter Streckeisen, Seminar für Soziologie Universität Basel
Veranstaltungsort
Basel
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4000
Basel
Informazioni sui costi
CHF 0.00