Der Alpentransit ist in Tirol bis heute eine umstrittene Angelegenheit. In der Nachkriegszeit setzte sich im politischen Diskurs die Parole „Verkehr ist Leben“ durch. Aus Angst vor einer Umfahrung Tirols durch die Schweiz und den damit verbundenen Verlust des Transitverkehrs lancierten Tiroler Politiker Infrastrukturprojekte zur Förderung des alpenquerenden Verkehrs. Im Zuge eines sich wandelnden Umweltbewusstseins formierte sich in den 1970er Jahren ein breiter Widerstand gegen den LKW-Transit unter den Anwohnern entlang der Hauptverkehrstrassen, der Inntal- und Brennerautobahn. Es kam zur Gründung von Bürgerinitiativen, die sich zunächst vor allem gegen den Lärm zur Wehr setzten, später gegen die Abgasbelastung und die daraus resultierenden Gesundheits- und Umweltschäden protestierten. Eine neue Dynamik erhielt die Transit-Debatte während der Diskussion um einen möglichen EU-Beitritt Österreichs und durch den Abschluss des Transitabkommens mit der EU im Jahr 1992. Der Beitritt 1995 führte zu einer Europäisierung und Liberalisierung der österreichischen Verkehrspolitik. So wurde die EU einerseits verstärkt als Ansprechpartner der Transitgegner greifbar, andererseits symbolisierte sie gleichzeitig deren Gegner im Transitstreit. Neben dieser (verkehrs-)politischen Dimension ist zu beobachten, dass die Transitpolitik ein zentrales Thema österreichischer bzw. Tiroler Umweltschutzorganisationen war. Transit stand dabei im Widerspruch zum Alpenschutz, woraufhin sich Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen für eine Ökologisierung des alpenquerenden Verkehrs einsetzten. Auf politischer Ebene gewannen diese Bemühungen Unterstützung durch die Unterzeichnung der Alpenkonvention 1991, in der die Alpenanrainerstaaten und die EU erstmals eine Kooperation zum Schutz der Alpen erklärten. In Tirol kam es so zu zwei kontrastierende Positionen zwischen Transitbefürwortern und Alpenschützern, die zu einem fortwährenden Konflikt führten. Die Dissertation1 widmet sich den komplexen Aushandlungsprozessen in der Verkehrs- und Umweltpolitik im Kontext der Europäischen Integration am Beispiel des Alpentransits. Anhand netzwerkanalytischer Ansätze sollen die unterschiedlichen Akteure aus Bürgerinitiativen und Politik sowie Umwelt- und Alpenschutz, die sich auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene mit dem Problem des Transitverkehrs und Alpenschutzes in Tirol auseinandersetzten, im Mittelpunkt stehen. Der Arbeit sei die These vorangestellt, dass die verschiedenen Akteure über ihre jeweiligen Netzwerke im Sinne der Multi- Governance-Theorie innerhalb des Mehrebenensystems der Europäischen Union zu agieren versuchten, um ihre Interessen auf regionaler, nationaler oder europäischen Ebene durchzusetzen. Ziel der Dissertation ist es, die politischen und zivilgesellschaftlichen Netzwerke auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene nachzuzeichnen. Des Weiteren soll der zweiteilige Prozess von Europäisierung und Ökologisierung in der Diskussion um den Alpentransit am Brenner vor dem Hintergrund der Europäischen Integration nachgezeichnet werden.
„Für eine neue politische Kultur in den Alpen“ Transitwiderstand und Alpenschutz in Tirol (1975-2005)
Tipo di ricerca
Dottorato
Stato
laufend/en cours
Cognome del docente
Prof.
Patrick
Kupper
Istituzione
Departement Geschichte
Luogo
Basel
Anno
2023/2024
Abstract
External ID
86663