Tipo di ricerca
Tesi di master
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Kristina
Schulz
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2018/2019
Abstract
Der Zweite Weltkrieg entwurzelte schätzungs- weise zwischen 30 – 40 Millionen Menschen, andere Studien gehen sogar von deutlich höheren Zahlen aus. Am Ende des Krieges waren in Europa noch etwa 17 Millionen dieser «Displaced Persons» vorhanden. Nachdem die Alliierten einen Grossteil davon bereits in den ersten Kriegsmonaten repatriierte, wurde immer deutlicher, dass ein beträchtlicher Teil dieser Flüchtlinge nicht gewillt war, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Für diese sogenannte «letzte Million» wurde 1946 die International Refugee Organization (IRO) als Sonderorganisation der Vereinten Nationen ins Leben gerufen. Sie sollte in erster Linie nicht mit der Repatriierung, sondern der Umsiedlung von Flüchtlingen arbeiten. Die Schweiz trat erst 1949 im Rahmen der neuen aussenpolitischen Maxime der «Neutralität und Solidarität» der IRO bei.
Die Schweizer Perspektive in diesem Kapitel der europäischen Flüchtlingsgeschichte ist, abgesehen von einigen politischen und diplomatischen Beiträgen, weitgehend unerforscht geblieben. Die Masterarbeit befasst sich deshalb mit der Frage, inwiefern die offizielle Schweiz an den Umsiedlungsprogrammen der IRO teilgenommen hat und wie sich diese Zusammenarbeit auf der Ebene der individuellen Flüchtlinge konkret ausbuchstabierte.
Da das Flüchtlingswesen trotz des Beitritts der Schweiz in die IRO weiterhin Sache der Behörden und privaten Hilfswerke war, wird die institutionelle Ebene einerseits anhand der offiziellen Dokumentation der Polizeiabteilung im Bundesarchiv rekonstruiert und andererseits durch die Quellen der Schweizerischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe im Archiv für Zeitgeschichte ergänzt. Die Erfahrungsebene der Flüchtlinge wird darüber hinaus anhand von drei Fallgeschichten verdeutlicht. Die Fallgeschichten stützen sich dabei auf die digitalisierten Bestände des International Tracing Service in den Arolsen Archives und die darin enthaltenen Personendossiers der betrachteten Flüchtlinge.
Die Untersuchung hat gezeigt, dass zwischen 1947 und 1952 zahlreiche Einzelausreisen und insgesamt drei grössere Kollektivtransporte nach Australien mithilfe der IRO und den Schweizer Behörden und Hilfswerke durchgeführt wurden. Insgesamt siedelten so knapp 4'000 Flüchtlinge aus der Schweiz in andere Länder um. Die Durchführung der Kollektivtransporte lief in erster Linie über die Polizeiabteilung und die Schweizer IRO-Delegation, während die Hilfswerke eine unterstützende Rolle einnahmen. Die Bedeutung der IRO für das schweizerische Flüchtlingswesen wurde von den Akteuren allerdings gegensätzlich bewertet.Während die Hilfswerke gerade die Massenumsiedlungen als wichtige Alternative zu den Einzelausreisen verstanden, verwiesen die Behörden auf die Selbstständigkeit des schweizerischen Flüchtlingswesens und betonten stattdessen den symbolischen Wert der Schweizer Mitgliedschaft. Indem die offizielle Schweiz die Bedeutung der IRO auf diese Weise herunterspielte, vermochte sie die aussenpolitische Maxime der «Neutralität und Solidarität» zu untermauern.
Die Fallgeschichten haben dagegen die Situation der Flüchtlinge in der Schweiz jenseits der Flüchtlingspolitik veranschaulicht. Den wenigsten wurde die dauernde Niederlassung in der Schweiz gestattet. Für alle anderen galt nach wie vor das Transitprinzip, unter welchem die Flüchtlinge dazu gedrängt wurden, die Gelegenheit der Umsiedlungsprogramme wahrzunehmen. Die hohen Anforderungen der IRO bzw. der australischen Einwanderungsbehörden erschwerten allerdings die Teilnahme an den Kollektivtransporten. Damit verbunden wurden in den individuellen Lebensgeschichten verschiedenste Überlebensstrategien deutlich, anhand welcher die Flüchtlinge das strukturelle Spannungsfeld zwischen den schweizerischen Behörden und der IRO zu manövrieren versuchten.
Die Resultate decken sich weitgehend mit bisherigen Erkenntnissen der internationalen Forschung und zeigen, wie Flüchtlinge gezielt Aussagen trafen und/oder biographische Informationen betonten bzw. unterliessen, um unter das Mandat der IRO zu fallen. Dabei sahen sich die Akteure zu teils drastischen Entscheidungen gezwungen, wenn sie beispielsweise Verwandte oder LebenspartnerInnen zurücklassen mussten. Insofern vermögen es die Fallgeschichten, die von der IRO und den Behörden als lineare Erfolgsgeschichten dargestellten Umsiedlungsprogramme kritisch zu hinterfragen und zu differenzieren.