Rechte Strömungen im Umweltschutz: Verborgen, verdrängt, wiederentdeckt?

Autor / Autorin des Berichts
Jeannine
Michel
Universität Zürich
Zitierweise: Michel, Jeannine: Rechte Strömungen im Umweltschutz: Verborgen, verdrängt, wiederentdeckt?, infoclio.ch Tagungsberichte, 08.08.2025. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0351>, Stand: 10.08.2025

Verantwortung: Stefan Rindlisbacher

Referierende: Katharina Scharf / Stefan Rindlisbacher

 

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STEFAN RINDLISBACHER (Fribourg) eröffnete das Panel mit der Beobachtung, dass Natur- und Um­weltschutz in der öffentlichen Wahrnehmung sowie dem Selbstbild dieser Bewegungen seit den 1970er Jahren als ein typisch linkes Anliegen gelte. Vor diesem Hintergrund gingen die Vorträge den Fragen nach, weshalb der Einfluss rechtskonservativer Strömungen auf Natur- und Umweltbewe­gungen in Europa bislang kaum erforscht wurde und wie dieses Forschungsdefizit geschlossen wer­den könne.

KATHARINA SCHARF (Graz) ging in ihrem Vortrag auf Geschlechterdiskurse in Natur- und Umwelt­schutzbewegungen ein, konkret in aktivistischen Handlungen von Frauen im 20. Jahrhundert. Um dem Forschungsdefizit rechter Strömungen in Umwelt- und Naturschutzbewegungen entgegenzu­wirken, forderte Scharf, synchrone und diachrone Verknüpfungen auf diskursiver und personeller Ebene zu untersuchen, insbesondere auch unter einer Geschlechterkomponente. So sei an bisheri­gen Forschungen zu Umwelt- und Naturschutzbewegungen problematisch, dass sie rechte Strömun­gen ausser Acht liessen und somit historische Kontinuitäten seit der Zeit des Nationalsozialismus ignorierten. Ausgehend von einem breiten Spektrum an Quellen, darunter Werken von (rechten) Um­weltschützenden, aber auch Bildquellen wie Fotomaterial und Karikaturen arbeitete Scharf heraus, dass es zwar gemeinsame Forderungen zum Naturschutz aus linken und rechten politischen Lagern gebe, denen aber unterschiedliche Diskursmuster zu Grunde lägen, darunter insbesondere in Bezug auf die Intersektionalität von «Rasse, Klasse und Gender» sowie die Beziehung zwischen Menschen und ihrer Umwelt. Dabei identifizierte Scharf verschiedene Diskursstränge, darunter die Natur-Kul­tur-Dichotomie sowie die Themen Gesundheit, Lebensschutz und Schwangerschaft. So würden an­hand der Natur-Kultur-Dichotomie Geschlechterrollen, konkret die weibliche Unterordnung und die männliche Dominanz, naturalisiert und legitimiert. Das Thema Gesundheit, so Scharf, sei in der öko­logischen Rechten grundsätzlich an die Volksgesundheit gekoppelt. Frauen gelten demzufolge als Hüterinnen des Erbguts, womit in rechten Umweltdiskursen Antimodernität, Antisemitismus und Eu­genik sowie die (geschürte) Angst vor Überbevölkerung eng miteinander verbunden sind. Die weibli­che Fruchtbarkeit wiederum werde zum zentralen Kontrollinstrument. Dies schliesst unmittelbar an die Themen Lebensschutz und Schwangerschaft, insbesondere die Debatte um Abtreibungsrechte, an, bei denen es sowohl in linken als auch rechten politischen Lagern Pro- und Kontra-Positionen gab. Insgesamt kam Scharf zum Schluss, dass der Natur- und Umweltschutz für das rechte Lager unter anderem ein Mittel sei, um rechtsideologische Ideen in die Gesellschaft zu tragen.

Stefan Rindlisbacher (Fribourg) ging in seinem Vortrag auf die Akteursnetzwerke ein, die sich in der Nachkriegszeit bildeten und Kontinuitäten zu den ersten Umweltschutzbewegungen im 19. Jahr­hundert aufweisen. Namentlich wurden der Schweizer Naturforscher Paul Sarasin, Ernst Rudorff, ein deutscher Komponist, und der österreichische Naturwissenschaftler Günther Schlesinger genannt, deren antidemokratische und antimoderne Vorstellungen die Umweltschutzbewegungen prägten. Zentral für diese Bewegungen war der Begriff des Schutzraums bzw. Lebensschutz, mit dem neuar­tige Umweltschutzanliegen mit der aus der NS-Zeit übernommenen Biopolitik verbunden wurden. Dass diese Ideen in der Nachkriegszeit weiterentwickelt wurden, sei auch daran gelegen, dass lei­tende Personen im staatlichen Naturschutz ihre Arbeit für den Staat nach dem Zweiten Weltkrieg nahtlos weiterführen und ihre konservativen Naturvorstellungen und Degenerationsängste in die breite Gesellschaft tragen konnten. Rindlisbacher verwies insbesondere auf den Heimatfilm Der Förster vom Silberwald von 1954, das Lebensschutz Manifest von 1958 und Günther Schwabs Der Tanz mit dem Teufel, ebenfalls von 1958, durch die krude Ideologien verbreitet wurden. Laut rechten Um­weltschützenden ist die vergiftete Umwelt und die gefährliche Radioaktivität eine Bedrohung für die «weisse Rasse»; gleichzeitig sei die Welt überbevölkert und bedürfe einer Reinigung, etwa durch eine «Bevölkerungsbombe» – eine Atombombe, die die Welt von der Überbevölkerung reinige und ein «gesundes, weisses Volk» zurücklasse. Zum Schluss betonte Rindlisbacher, dass gerade zur Gründungsgeschichte der Grünen Parteien, oftmals durch rechte Akteure, die dann in den 1980er Jahren von linken Akteuren aus den Parteien verdrängt wurden, wenig Forschung vorhanden sei. Das Thema sei allerdings brandaktuell: Obwohl der Klimaschutz als linkes, intellektuelles Projekt ge­framed würde, versuchen nun rechte Strömungen erneut, sich den Umweltschutz anzueignen. Diese politischen Ansprüche an das Thema würden durch exzessive Selbsthistorisierung legitimiert, wobei auch die historische Forschung zu rechten Strömungen in Umweltschutzbewegungen gezielt dafür genutzt werde, um die eigene Agenda voranzutreiben.

In beiden Vorträgen wurde aufgezeigt, wie wichtig eine differenzierte Analyse der Quellen zur Ge­schichte des Umwelt- und Naturschutzes ist. Sowohl Scharf als auch Rindlisbacher arbeiteten das «diffuse Potpourri» an linken und rechten Akteuren in Natur- und Umweltschutzbewegungen her­aus, die sich Seite an Seite für den Umweltschutz einsetzten. Damit verdeutlichten sie, dass es keine homogene Umweltschutzbewegung, sondern vielmehr ein Netz verschiedener Akteure mit unter­schiedlichen politischen Hintergründen und Motivationen gab.

In der anschliessenden Diskussionsrunde wurde aus dem Publikum insbesondere der Naturbegriff kritisch hinterfragt, der historisiert und genauer eingeordnet werden müsse. Dies nahmen beide Re­ferierenden erneut zum Anlass um zu betonen, dass gerade unterschiedliche Konzepte von «Natur» in rechten und linken Natur- und Umweltschutzbewegungen in Europa zeigen, dass diese zwar ge­meinsame Forderungen verbinde, die aber aufgrund unterschiedlicher Ideologien verfolgt werden.

 

Panelübersicht:

Katharina Scharf: Blinde Flecken der Umweltgeschichte? Rechte vergeschlechtlichte Diskurs- und Handlungswelten im Natur- und Umweltschutz (19./20. Jahrhundert)

Stefan Rindlisbacher: Auf den Spuren der Lebensschutzbewegung: Kontinuitäten, Forschungslücken, Fallstricke

 

 
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 7. Schweizerischen Geschichtstagen.
Veranstaltung
Siebte Schweizerische Geschichtstage
Organisiert von
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte
Veranstaltungsdatum
-
Ort
Luzern
Sprache
Deutsch
Art des Berichts
Conference