Die historische Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg hat in jüngster Zeit neue Impulse erfahren, ebenso die Frage nach dem Gedenken an den Krieg und seine Opfer. Die infoclio.ch-Tagung 2024 beschäftigt sich mit dem Wandel der Erinnerungskultur und den aktuellen schweizerischen Gedenkinitiativen. Sie blickt zudem auf die Eigenheiten im Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg in verschiedenen europäischen Ländern und geht auf die gegenwärtigen Instrumentalisierungen des Gedenkens ein.
Deutschland, Italien, Frankreich und die Schweiz haben je eigene Wege in der Etablierung des öffentlichen Gedenkens an den Zweiten Weltkrieg beschritten. In der ersten Session beleuchten Historikerinnen und Historiker diese verschiedenen nationalen Prozesse und kontextualisieren das gegenwärtige Spannungsfeld: Die Ära der Zeitzeugen geht zu Ende, revisionistische Narrative der extremen Rechte werden wiederbelebt und postkoloniale Perspektiven zielen auf eine Neugestaltung der Erinnerungskultur. Die anschliessende Podiumsdiskussion stellt die präsentierten Länderstudien in eine transnationale Perspektive und fokussiert auf die aktuellen Herausforderungen.
Die zweite Session thematisiert das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in zwei verschiedenen sozialen Räumen. Forschende der Medienwissenschaften analysieren, wie die künstliche Intelligenz diese Erinnerungen in den digitalen Medien neu konstruiert. Ein Politologe referiert anschliessend über die Bedeutung historischer Fragen in den politischen Arenen Europas.
In der dritten Session geht es um die Schweiz, wo in den letzten Jahren mehrere Gedenkinitiativen initiiert oder bereits umgesetzt wurden, darunter das neue Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus. Nach der Präsentation einiger aktueller Projekte erläutern deren Trägerinnen und Träger in der Schlussdiskussion, was sie zu einer sich schnell verändernden Erinnerungslandschaft beitragen wollen.
Während der Tagung wird eine Simultanübersetzung Deutsch – Französisch und Italienisch – Englisch angeboten.
Die Veranstaltung ist ausgebucht. Es werden keine Anmeldungen mehr entgegengenommen.
Programm
8h30 Empfang und Kaffee
9h00 Begrüssung – François Vallotton (Université de Lausanne) und Enrico Natale (infoclio.ch)
Session 1: Den Zweiten Weltkrieg erinnern: nationale Entwicklungen
9h15 Volkhard Knigge (Friedrich-Schiller-Universität Jena) – Rolle rückwärts? Zu Renationalisierung, Reheroisierung und neuem Partikularismus in der deutschen Erinnerungskultur
9h45 Denis Peschanski (Centre national de la recherche CNRS) – Mémoire collective de la Seconde Guerre mondiale en France
10h15 Christina Späti (Universität Freiburg) – Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die NS-Zeit in der Schweiz: Kontinuitäten und Brüche
10h45-11h15 Kaffeepause
11h15 Luciano Canfora (Università degli studi di Bari Aldo Moro) – Quando incominciò e quando finì la Seconda guerra mondiale (via Zoom)
11h45 Podiumsdiskussion: Transnationale Herausforderungen und aktuelle Debatten
Mit Luciano Canfora, Volkhard Knigge, Denis Peschanski und Christina Späti
Moderation: Regula Ludi (Universität Freiburg)
12h30-13h30 Mittagspause
Session 2: Das Gedenken zwischen digitalen Netzwerken und politischer Arena
13h30 Mykola Makhortykh und Victoria Vziatysheva (Universität Bern) – Instrumentalisation of the Past in the Age of Android Historians. How AI (Re)writes the History of the Holocaust
14h00 Luca Manucci (Universidade de Lisboa) – Authoritarian Legacies and the Populist Radical Right
Session 3: Neue Gedenkinitiativen in der Schweiz
15h00: Kurzpräsentationen
Fabienne Meyer (Universität Freiburg) – Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus: Erinnerungsort Bern
Barbara Thimm (Jüdisches Museum Hohenems) – Schweizer Memorial für die Opfer des Nationalsozialismus: Vermittlungsort Rheintal und Vernetzung
François Vallotton (Université de Lausanne) – Gérer un passé sensible : le Doctorat honoris causa attribué à Mussolini par l’Université de Lausanne
Jakob Tanner (Universität Zürich) – Stolpersteine als Erinnerungskatalysatoren
15h45 Podiumsdiskussion: Das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in der Schweiz: Immer ein Schritt zu spät?
Mit Hanno Loewy (Jüdisches Museum Hohenems), Carmen Scheide (Universität Bern), Gregor Spuhler (Archiv für Zeitgeschichte), Jakob Tanner und François Vallotton
Moderation: Peter Hallama (Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne)
16h45 Ende der Veranstaltung