Symposium-Bericht: 50 Jahre digitale Transformation in der Schweiz. Visionen und Wirklichkeit von 1967 bis 2017

Author of the report
Nicolas Scheurer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter PTT-Archiv
Zitierweise: Scheurer, Nicolas: Symposium-Bericht: 50 Jahre digitale Transformation in der Schweiz. Visionen und Wirklichkeit von 1967 bis 2017, infoclio.ch Tagungsberichte, 2017. Online: infoclio.ch, <http://dx.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0155>, Stand:



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Die Geschichte der digitalen Telefonie ist älter, als manch einer vielleicht meinen mag – dies wurde an einem vom PTT-Archiv und der Senior Telecom Group organisierten Symposium zur digitalen Transformation in der Schweiz deutlich. Nachdem an der ETH Zürich schon in den 1950er-Jahren erste Arbeiten zur Digitalisierung der Telekommunikation erfolgt waren, zeichnete sich mit den Fortschritten der Elektronik in den 1960er-Jahren ab, dass der Digitaltechnik bei der Übermittlung und Verarbeitung von Information die Zukunft gehört. Im Jahr 1967 wurden die Grundlagen geschaffen, die den Entwicklungspfad der Digitalisierung in der Schweiz für die nachfolgenden Jahrzehnte prägten: Zwischen Bern und Münsingen ging eine erste Pulse-Code-Modulation-Übertragungsstrecke (PCM) für Telefonie in Betrieb, an der International Conference on Communication (Minneapolis) stellte die PTT, bis 1998 die schweizerische Behörde für den Post-, Telefon- und Telegrafenbetrieb, ihre Vision eines „Digital Telephone Network“ vor und im November desselben Jahres begann die Arbeitsgemeinschaft PCM – bestehend aus der PTT und ihren drei grössten Lieferfirmen – mit der Eigenentwicklung des „Integrierten Fernmeldesystems“ (IFS). Trotz des aufsehenerregenden Abbruchs dieses langjährigen Projekts 1983, wurde in der Folge der Umbau zu einem Integrated Services Digital Network (ISDN) durchgeführt. Ende 2017 findet mit der Abschaltung vom ISDN durch die PTT-Nachfolgerin Swisscom der nächste Technologiewechsel im Telekommunikationsbereich seinen Abschluss.

Der Moderator CHRISTOPH CAVIEZEL (Baar) führte durch das halbtägige Symposium, das als Brückenschlag zwischen frühen Visionen und Forschungsarbeiten der beteiligten Akteurinnen und Akteure und gegenwärtigen Spannungsfeldern einer von der Digitalisierung durchdrungenen Lebenswelt konzipiert war. Der Einstieg bildete ein Videobeitrag zur „Zukunft der vernetzten Gesellschaft“2, der die Aktualität der Thematik verdeutlichte. Die spätere Plenumsdiskussion zeigte, dass sowohl eine wissenschaftliche als auch gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Ursachen und Folgen der Digitalisierung notwendig ist und bereits intensiv geführt wird. HEIKE BAZAK (Köniz), Leiterin des PTT-Archivs, zeigte in ihrer Begrüssung anhand eines Zitates aus dem PTT-Kommunikationsleitbild von 1982 Parallelen zwischen den historischen und aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen auf, die mit der Digitalisierung zusammenhängen.

In einer Rückschau auf 50 Jahre Digitalisierung der Telekommunikation umriss ALBERT KÜNDIG (Prof. em. ETH) die Entwicklung der digitalen Übertragungs- und Vermittlungstechnik, für die sich junge Forschende an der ETH schon in den 1950er-Jahren interessierten. Er stellte die Hauptakteure des ISDN von der Vision bis zur Umsetzung vor und legte ihre Beweggründe dar. Hierbei lag der Fokus auf Vertreterinnen und Vertretern der Fernmeldeindustrie und der PTT-Forschungsabteilung. Als Zeitzeuge, Ingenieur in der PTT-Forschungsabteilung und späterer IFS-Projektleiter unterstrich Albert Kündig seine fachlichen und systemischen Ausführungen mit Anekdoten und Erinnerungen, die von den zahlreich anwesenden Zeitzeugeninnen und Zeitzeugen wohlwollend aufgenommen wurden. Im zweiten Teil äusserte sich der Referent aus einer Anwenderperspektive durchaus kritisch gegenüber laufenden Entwicklungen. Erwähnt sei hier das inzwischen veränderte Beziehungsgeflecht zwischen dem technisch Machbaren, den wirtschaftlich attraktiven Möglichkeiten und dem normativ Wünschenswerten. Was heute technisch machbar und wirtschaftlich attraktiv sei, müsse nicht zwangsläufig wünschenswert sein, resümierte Kündig.

Die enorme Ausweitung der technischen Grenzen stellt Unternehmen vor zukunftsweisende Herausforderungen. Daher beschäftigt Swisscom eine grosse Abteilung zur Digitalisierung von Unternehmen und zum Einsatz von künstlicher Intelligenz. FELIX VON REISCHACH (Zürich/Lausanne) sprach in seinem Vortrag über die digitale Zukunft aus der Sicht von Swisscom, die heute nicht mehr nur Telekommunikations-, sondern auch IT-Unternehmen ist. Eingebunden in globale Entwicklungen, greife die Digitalisierung in Kernprozesse ganzer Industrien ein und führe zu Veränderungen des Nutzerverhaltens (Customer Behaviour), schilderte Felix von Reischach. Im Bereich der künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence, AI) verbindet Swisscom AI-Anwendungen bereits heute mit konkreten Dienstleistungen und Produkten. Technisch revolutionär ist, dass diese Systeme eigenständig lernen, wie aus den vorhandenen Inputdaten ein gewünschtes Output erreicht werden kann. Die Weiterentwicklung der Digitalisierung wird durch immer kurzlebigere Wellen von Innovationsschüben bestimmt, die Unternehmen einem hohen Innovationsdruck aussetzen.

Im Anschluss an die Vorträge eröffnete Christoph Caviezel ein Podiumsgespräch mit den beiden Referenten sowie mit DANIELA ZETTI(Zürich) und ANDREAS DUDLER (Zürich). Daniela Zetti, Forscherin an der Professur für Technikgeschichte der ETH, verknüpfte die vorangegangenen Beiträge, indem sie den Infrastrukturwandel von den 1960er- und 1970er-Jahren bis zur heutigen digitalen Welt in Beziehung zur gesellschaftlichen Diskussion über einen Wertewandel setzte. Lag der Fokus in der Anfangszeit der Digitalisierung auf Netzwerken und Systemen, stehen neuerdings Produkte und Dienstleistungen im Vordergrund. Eine neue sozio-technische Infrastruktur entstand. Dazu gehören ein neues Raumverständnis und eine neuartige visuelle Kultur. Um zusätzliche Einsichten in die Geschichte der Digitalisierung gewinnen zu können, seien die Historikerinnen und Historiker auf Kooperationen angewiesen, wie sie nun vom PTT-Archiv angestossen wurden. Des Weiteren wurden infrastrukturbedingte und technische Sicherheitsaspekte der Vernetzung diskutiert, wobei insbesondere Andreas Dudler und Albert Kündig auf die Komplexität und Wichtigkeit des Datenschutzes hinwiesen. Felix von Reischach betonte, dass der gesellschaftliche Umgang mit einer Technologie – und nicht die Technologie an sich – mit Wertvorstellungen und Normen verbunden ist. Die Voten liessen allerdings erkennen, dass zwischen der persönlichen Nutzung, geäusserten Normvorstellungen und Sicherheitserwartungen sowie der wirtschaftlichen Verwertung der digitalen Vernetzung potenzielle Ziel- und Interessenskonflikte bestehen.

Die Beiträge am Symposium spiegelten die Aktualität und die grosse Bandbreite der Digitalisierung wider. Um zu verstehen, wie die Technik eingesetzt wird, wie sie Werte verändert, wer an solchen Prozessen teilnimmt und unter welchen Voraussetzungen dies geschieht, wurde verschiedentlich die Notwendigkeit fruchtbarer Kooperationen zwischen Geschichtswissenschaft und Archivwelt und die Konzipierung neuer Forschungsprojekte angesprochen. Die bestehenden Netzwerke der direktbeteiligten Akteure und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, wie sie beispielsweise bei der Senior Telecom Group vorhanden sind, würden mögliche Forschungsvorhaben begünstigen. Um im Zuge der Liberalisierung der PTT die Überlieferung der Geschichte der Digitalisierung nicht abbrechen zu lassen, wurde der Wunsch geäussert, dass auch grosse Player wie etwa die Swisscom ihre Unterlagen für die Nachwelt nach geltenden archivischen Standards erhalten. Die zukünftige historische Forschung wird auf solche Quellen angewiesen sein. Eine weitere Herausforderung stellt die Langzeitarchivierung von Unterlagen digitalen Ursprungs dar. Das Symposium hat Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Disziplinen zusammengeführt, die neue Denkanstösse gegeben und die Notwendigkeit einer multiperspektivischen Beschäftigung mit der Entwicklung und dem Umgang digitaler Technologien und Medien betont haben. Die Digitalisierung wird die aktuellen Debatten genauso wie die historische Forschung noch lange Zeit beschäftigen.


Program:

Moderation: Christoph Caviezel (Caviezel Communications)
Heike Bazak (Leiterin PTT-Archiv): Begrüssung
Albert Kündig (Prof. em. ETH): Rückschau auf 50 Jahre Digitalisierung der Telekommunikation
Felix von Reischach (Head of Artificial Intelligence & Machine Learning Group Swisscom): Die digitale Zukunft aus Sicht Swisscom
Podiumsgespräch: Albert Kündig, Felix von Reischach, Daniela Zetti (Professur für Technikgeschichte der ETH) und Andreas Dudler (Geschäftsführer Stiftung SWITCH)


1 Der Autor hat den Bericht im Auftrag der Organisierenden verfasst. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des PTT-Archivs und dokumentiert im Rahmen des Oral History-Projekts die Aussagen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zur digitalen Transformation.

2 Karin Frick, Bettina Höchli: Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft. Neue Spielregeln, neue Spielmacher, Rüschlikon, GDI Gottlieb Duttweiler Institute, 2014, <http://gdi.ch/de/Think-Tank/Studien/Die-Zukunft-der-vernetzten-Gesellschaft/611, (20.06.2017)>.

Manifestazione
50 Jahre digitale Transformation in der Schweiz. Visionen und Wirklichkeit von 1967 bis 2017
Organizzato da
PTT-Archiv in Zusammenarbeit mit der Senior Telecom Group
Data della manifestazione
Luogo

Bern

Lingua
Tedesco
Report type
Conference