Repensar la ‚Revolución del Poncho‘: Activismo católico y políticas de representación en el espacio andino del Ecuador (1955 – 1988)

Cognome dell'autore
Andrea Heidy
Müller
Tipo di ricerca
Dottorato
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Christian
Büschges
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2020/2021
Abstract
Die Dissertationsschrift (verfasst auf Spanisch) untersucht die Verflechtungen eines befreiungstheologisch motivierten katholischen Aktivismus mit der Entstehung der Indigenenbewegung im Hochland Ecuadors in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Unter dem Leitgedanken des aggiornamento markierte das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965) die ideologische Öffnung innerhalb der katholischen Kirche hin zu sozialen Fragen. Die Aufmerksamkeit der Kirche für konkrete Herausforderungen der modernen Welt verlangte in Lateinamerika nach einer Auseinandersetzung mit markanten sozialen Ungleichheiten sowie mit politischen Bewegungen, die insbesondere seit der Kubanischen Revolution (1959) für einen grundlegenden strukturellen Wandel auf dem Subkontinent kämpften. Als Antwort auf das Konzil und die sozialen und politischen Gegebenheiten proklamierten die versammelten lateinamerikanischen Bischöfe 1968 die ‚Option für die Armen‘ und schufen damit eine wichtige Grundlage für den Aufstieg der Befreiungstheologie. Basierend auf der Interpretation der Bibel aus Sicht benachteiligter Bevölkerungsteilen, suchte diese theologische Strömung die ‚Befreiung der Unterdrückten‘ durch die aktive Teilnahme katholischer Kleriker und Laienorganisationen an der Bekämpfung sozialer Ungleichheiten. In den Andenprovinzen Ecuadors engagierten sich Priester, Ordensschwestern und Laien primär in der Bildungsarbeit und setzten sich für bessere Lebensbedingungen von Bauerngemeinschaften ein, die mehrheitlich der indigenen Bevölkerung angehörten. Die Unterstützung im Kampf um Landtitel sowie die Stärkung der Akzeptanz und der Rechte der indigenen Bevölkerung innerhalb der mestizisch dominierten Gesellschaft bildeten die Hauptaktionslinien der befreiungstheologisch motivierten Pastoralarbeit. Eine Leitfigur dieses katholischen Aktivismus war Bischof Leonidas Proaño von Riobamba, der zwischen 1954 und 1985 Oberhaupt der katholischen Kirche in der Andenprovinz Chimborazo war. Mit der ‚Revolution des Poncho‘ bezeichneten dem Bischof nahestehende Kirchenvertreter das Engagement Proaños für die indigene Bevölkerung, die dank seiner Pastoralarbeit begonnen hätte, durch Organisation und Wertschätzung ihrer Kultur einen Ausweg aus ihrem Dasein als Unterdrückte zu suchen. Die seit den 1970er Jahren verstärkt sichtbaren sozialen Bewegungen und vor allem die neue Indigenenbewegung gelten im Narrativ der ‚Revolution des Poncho‘ als Höhepunkt eines von der Kirche angestossenen Prozesses der Bewusstseinswerdung. Die öffentliche Wahrnehmung und die wissenschaftliche Aufarbeitung des ecuadorianischen katholischen Aktivismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konzentrierte sich bislang auf Leonidas Proaño, der auch als ‚roter Bischof‘ oder ‚Befreier der Indios‘ internationale Bekanntheit erlangte. Eine eingehende und systematische Analyse befreiungstheologischer Akteure, Diskurse und Praktiken in den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Transformationsprozessen der 1960er bis 1980er Jahre fehlte hingegen. Vor diesem Hintergrund zielt die Dissertationsschrift auf eine Überarbeitung der ‚Revolution des Poncho‘ und untersucht das heterogene Akteursspektrum des katholischen Aktivismus, seine Verflechtungen mit zeitgenössischen sozialen Bewegungen sowie mit transnationalen Netzwerken und Institutionen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Dabei geht es nicht lediglich um eine Dezentrierung der Perspektive in Bezug auf den Bischof, sondern im Allgemeinen hinsichtlich des Paradigmas der Befreiungstheologie. Beiträge zur Rolle der katholischen Kirche in den politischen und sozialen Umbrüchen Lateinamerikas wurden bisher hauptsächlich durch Befreiungstheologen selbst, oder mit einer starken Konzentration auf spezifische berühmte Akteure veröffentlicht. Um dieser in der Historiographie dominierenden Personifizierung zu entkommen, geht diese Arbeit von der Befreiungstheologie als Zusammenschluss verwobener Ideen und global zirkulierender Konzepte aus, und analysiert das Phänomen als Antwort auf spezifische Ereignisse und politische Prozesse. Theoretisch stützt sich die Arbeit, in Anlehnung an Stuart Hall, auf das Konzept der Repräsentationspolitik und verbindet dieses mit einem verflechtungsgeschichtlichen Zugriff. Im ersten Teil der Dissertation wird nachgewiesen, dass das Interesse der katholischen Kirche für die indigene Bevölkerung nicht als Resultat der Befreiungstheologie zu deuten ist, sondern vielmehr in die Tradition des Indigenismus der 1950er Jahre eingeordnet werden muss. Dabei lieferte der katholische Indigenismus in erster Linie eine Antwort auf die Krise der Kirche in Hinblick auf drohende Einflussmöglichkeiten kommunistischer Gruppierungen. Der zweite Teil der Arbeit schildert den Aufstieg der Befreiungstheologie in Ecuador und die zunehmende Spaltung innerhalb der Kirche in Reformer und Konservative. Das Kapitel bildet das weite Feld der Akteure ab und rekonstruiert die Polarisierungen – auch innerhalb befreiungstheologisch inspirierter Gruppen in Bezug auf die Radikalisierung – mittels Aussagen von ZeitzeugInnen. Der dritte Teil der Arbeit widmet sich schliesslich den konkreten Verbindungen des katholischen Aktivismus mit der Entstehung der Indigenenbewegung seit den 1970er Jahren. Dabei werden Mobilisierungsbestrebungen innerhalb des Landes mit transnationalen Prozessen und Bewegungen – z. B. Solidarisierung mit Chile nach dem Putsch, Befreiungsbewegungen in Zentralamerika, Menschenrechtsaktivismus – in Beziehung gesetzt. Zudem wird gezeigt, dass kirchliche Akteure auf eine ‚indigene Kultur‘ beharrten, die mit dem christlichen Gemeinschaftsideal harmonisierte, und als ideologisches Gerüst für die Indigenenbewegung dienen sollte. Diese Ethnisierung des Diskurses wurde zwar von bestimmten indigenen Akteuren mitgestaltet und angeeignet, war aber für eine breit abgestützte Mobilisierung in konkreten Konflikten nicht förderlich. Zudem konnte diese Tendenz die paternalistischen Züge des Indigenismus nicht überwinden und vermochte somit auch der Heterogenität der andinen Lebenswelten nicht gerecht zu werden. Das Fazit der Arbeit, welches eine neue Lektüre der ‚Revolution des Poncho‘ vorschlägt, wird ergänzt durch ein aktualitätsbezogenes Kapitel, das sich mit der Erinnerungsarbeit rund um den Bischof Proaño auseinandersetzt. Die Dissertation basiert auf Archivarbeit sowie einem Oral History Projekt. Nebst Archiven und Bibliotheken in der Hauptstadt Quito, konnten zahlreiche Lokalarchive in den Hochlandprovinzen Ecuadors ausfindig gemacht und erschlossen werden. Das bisher nicht katalogisierte Archiv der Diözese Riobamba bildete dabei eine wesentliche Anlaufstelle für das Vorhaben. Für das Thema der Entwicklungszusammenarbeit erwiesen sich ausserdem Quellenbestände aus dem Schweizerischen Bundesarchiv sowie den Staatsarchiven der Kantone Luzern und Waadt als relevant. Für das Oral History Projekt konnten ZeitzeugInnen in Ecuador als auch in der Schweiz und Frankreich ausfindig gemacht werden. Ihre Erinnerungen sind nicht nur als Ergänzung zu den schriftlichen Quellen interessant, sondern insbesondere, weil sie die Vielschichtigkeit des katholischen Aktivismus, mitsamt seinen inhärenten Widersprüchen und Konfliktlinien, abzubilden vermögen. Die Arbeit wird in Form einer Monographie im Herbst 2021 beim transcript Verlag in Open Access erscheinen.

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