History and the Public. Jahrestagung der Basel Graduate School of History

Autore del rapporto
Tim
Buser
Departement Geschichte, Universität Basel
Citation: Buser Tim: « History and the Public. Jahrestagung der Basel Graduate School of History », infoclio.ch Tagungsberichte, 11.12.2025. En ligne: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0404>, consulté le 12.12.2025
Dieser Tagungsbericht erschien zuerst auf HSozKult: Tim Buser, Tagungsbericht: History and the Public. Jahrestagung der Basel Graduate School of History, in: H-Soz-Kult, 11.12.2025, <https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-159147>.

 

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Geschichtsforschung nicht als isoliertes Fachgebiet, sondern in breiten gesellschaftlichen Zusammenhängen zu verstehen – dazu forderte die Jahrestagung der Basel Graduate School of History auf. Die Organisatorinnen SOPHIE FÄS (Basel), SANDRA FLEISCHMANN (Basel), LISA JENKEL (Basel) und MICHÈLE STEINER (Basel) bekundeten in ihren Eröffnungsworten die Absicht, mit dem thematischen Schwerpunkt auf Public History einen Beitrag dazu leisten zu wollen, «den Elfenbeinturm aufzubrechen» und öffentliche Kommunikation als wichtigen Bestandteil der Geschichtsforschung zu verstehen. In ihrer Einführung formulierte LAURA RISCHBIETER (Basel), Leiterin der Kommission der Basel Graduate School of History, die Notwendigkeit, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht als Einbahnstraße zu verstehen, sondern die unterschiedlichen, komplexen Beziehungen zwischen den beiden in den Blick zunehmen. Ganz im Sinne dieses Vorhabens luden die Organisatorinnen neben Geschichtsforschenden Expert:innen aus dem Berufsfeld der Public History ein und integrierten nebst klassischen Panels auch eine Podiumsdiskussion und praxisnahe Workshops ins Programm. Dadurch entstand ein Austausch, der über inhaltliche Fragen hinaus ging und die unterschiedlichen Ansprüche an Historiker:innen jenseits des Wissenschaftsbetriebs thematisierte.

In der ersten Expert:innenrunde interviewten die Organisatorinnen Sophie Fäs und Sandra Fleischmann Personen aus dem Berufsfeld der Geschichtsvermittlung und der Wissenschaftskommunikation. ANDREJ ABPLANALP (Zürich) berichtete als Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums insbesondere über seine Tätigkeit als Redaktor des Blogs. JOACHIM TELGENBÜSCHER (Hamburg) brachte seine Perspektive als Geschichtspodcaster bei „Was bisher geschah“ und Journalist ein. LISA GNIRSS (Lenzburg) vertrat als Kuratorin und Projektleiterin des Stapferhauses die Geschichtsvermittlung in einem Ausstellungshaus, das in großen Themenausstellungen Fragen mit starkem Gegenwartsbezug verhandelt und sich selbst als Ort des Dialogs versteht. Was die drei Expert:innen gemein haben, ist ein Studium der Geschichte sowie journalistische Erfahrung. Gefragt nach den notwendigen Skills für ihre jeweiligen Berufsfelder, antworteten auch alle mit Kompetenzen, die sich aus den beiden Bereichen herleiten: Präzision und die Kunst des Weglassens aus der Wissenschaft; ein Gespür für publikumsorientierte Themenwahl und Vermittlung aus dem Journalismus. Denn trotz der unterschiedlichen Medien, über die die Expert:innen Geschichte vermitteln, wenden sich alle an ein breites Publikum jenseits der Wissenschaft. Wichtig sei daher, die Relevanz des Themas aufzuzeigen, in dem man der Leserin, dem Hörer und den Ausstellungsbesuchenden vermittelt, was ein bestimmtes Thema mit ihnen persönlich zu tun hat. Dafür beschrieben die Expert:innen unterschiedliche Methoden, die sie in ihrem Bereich nutzten: Seien es mehrere Erzählebenen im Museum, die zugängliche Sprache in Blogbeiträgen oder leichte Unterhaltungselemente beim Podcast, zwischen die die harten Fakten eingebettet werden. Die Expert:innenrunde regte Geschichtsforschende zur Reflexion an, welche dieser Methoden auch auf wissenschaftliche Texte anwendbar sein könnten. Es folgten zwei Workshops, in denen die Podcastproduktion und das Schreiben von Blogbeiträgen praxisnah vertieft wurden.

Während in der ersten Expert:innenrunde politische Fragen eine untergeordnete Rolle spielten, nahmen solche in der darauffolgenden Podiumsdiskussion viel Raum ein. Moderiert von ERIK PETRY (Basel) diskutierte das Podium die verschiedenen Rollen der Geschichtswissenschaft im Verhältnis zur Öffentlichkeit anhand aktueller politischer Debatten. So wurden in der Schweiz die Schulstunden des Fachs Geschichte in den obligatorischen Schulen gekürzt. FLAVIO EICHMANN (Bern), Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte, betonte in diesem Kontext seine Funktion als Gewerkschafter für alle, die im Bereich Geschichte arbeiten sowie als Lobbyist für ein starkes Schulfach Geschichte. Einen gesetzlichen Bildungsauftrag hätten auch die Basler Museen, wie NATALIA HUSER (Basel) aus der Abteilung Kultur Kanton Basel-Stadt erklärte. Diese trügen aber auch darüber hinaus eine große Verantwortung, da Museen als besonders vertrauenswürdige Orte gelten. Eine andere aktuelle politische Debatte ist das «Entlastungspaket 2027», das vom Bundesrat verabschiedet wurde und derzeit im Parlament diskutiert wird. Es sieht Sparmaßnahmen vor, die auch das Budget des Schweizerischen Nationalfonds kürzen wollen. REGINE MARITZ (Bern) vom Schweizerischen Nationalfonds betonte aber, dass trotz der schwerwiegenden Kürzungen nach wie vor der größte Teil der Mittel des Nationalfonds in die Grundlagenforschung investiert würde und dass die Geschichtswissenschaft dabei nicht systematisch vernachlässigt würde. Potenzial sah sie für die Geschichte allerdings bei der Interdisziplinarität, insbesondere aus finanzierungspolitischen Gründen: Die Geschichtswissenschaften täten gut daran, mit anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen zusammenzuspannen – ähnlich wie dies die unterschiedlichen Disziplinen der Life Sciences schon erfolgreich praktizierten. Die Wichtigkeit des Zusammenspannens betonte auch CHRISTINE SZKIET (Luzern), die sich mit dem Schweizer Netzwerk Public History für die Vermittlung von Geschichte an eine breite Öffentlichkeit sowie auch für Sichtbarkeit von Geschichte im öffentlichen Raum einsetzt. Die reichhaltige Podiumsdiskussion thematisierte zudem weitere Aspekte im Verhältnis von Geschichte und Öffentlichkeit wie Mehrsprachigkeit und Demokratieförderung. Sie zeigte auf, dass Geschichtswissenschaft nie jenseits des öffentlichen Interesses und öffentlicher Gelder fungiert – und daher auch eine spezifische Öffentlichkeit, nämlich das Feld der Politik, ebenso bespielen muss.

Beiträge aus der Geschichtswissenschaft, die sich mit dem Verhältnis von Geschichte, Aktivismus und Öffentlichkeit auseinandersetzen, kamen im ersten Panel zu Wort, moderiert von PETER-PAUL BÄNZIGER (Basel). MURIEL JANKE (Konstanz) reflektierte spontane Begegnungen in ihrer Forschung, beispielsweise wenn sie für ihre Untersuchung des DDR-Städtebaus mit Bewohnenden bestimmter forschungsrelevanter Quartiere ins Gespräch kommt. Aber auch interessierte Nachfragen in Archiven oder misstrauische Fragen von Sitznachbar:innen auf Zugreisen versteht sie als Momente, in denen es zum Austausch zwischen Geschichte und Öffentlichkeit kommt. Konfrontiert mit unterschiedlichen Haltungen gegenüber ihrer Forschung nahm Janke solche sonst kaum systematisch reflektierte Momente zum Anlass, um über ihre eigene Position im Forschungsfeld, über Nähe und Distanz zum Forschungsgegenstand und über ihren Objektivitätsanspruch nachzudenken. In queeren, aktivistischen Kontexten sei die Bezugnahme auf die Geschichte eine hilfreiche Identifikations- und Legitimationsstrategie, beschrieb TOBIAS URECH (Basel). Dabei sei eine imaginierte Gleichheit die zentrale Kategorie, die queere Aktivist:innen zwischen ihnen und «queeren» Menschen in der Vergangenheit benutzten. In der Wissenschaft sei jedoch Alterität die zentrale Kategorie, da sie eine ahistorische Gleichheit zwischen Menschen heute und damals vermeiden will. Trotz der fehlenden Gleichheit zwischen den Menschen der Gegenwart und historischen Akteur:innen ließen sich die Perspektiven der Wissenschaft und des Aktivismus zumindest durch eine angenommene Gleichwertigkeit annähern. Die Verwendung von Geschichtskenntnissen zur Legitimierung der eigenen Position stellte auch LAURA ALT (Basel) in Online-Kommentarspalten fest. Sie berichtete aus ihrer Nebentätigkeit im Antisemitismus-Monitoring für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund. Gefiltert nach Begriffen wie «Geschichte» und «Historiker:in» begegneten ihr in Online-Kommentaren die unterschiedlichsten Auffassungen der Funktionen, die Geschichte und Historiker:innen zugeschrieben werden und sich zum Teil gänzlich widersprechen. Insbesondere bei Themen wie dem Nahostkonflikt, die im Zusammenhang mit jüdischer Geschichte stehen, spielte in vielen Kommentaren die (jüdische) Identität von Historiker:innen eine große Rolle, entweder um ihre Position zu legitimieren oder um sie umgekehrt zu delegitimieren. Geschichte würde aber auch als Notwendigkeit für Allgemeinbildung und Demokratie verstanden und ähnlich wie in den von Tobias Urech beschriebenen queeren Bewegungen zogen viele Personen in ihren Kommentaren direkte Lehren und Parallelen aus der Geschichte. Die drei Beiträge zeigten auf, wie die Ansprüche an und Funktionen von Geschichte je nach «Öffentlichkeit» differieren und Historiker:innen je nach Kontext als Experten, Therapeutinnen oder Korrumpierte angerufen werden können.

Die Frage, welche Geschichte durch wen für wen sichtbar gemacht wird, verbindet die Beiträge des zweiten Panels, das von JAN-FRIEDRICH MISSFELDER (Basel) moderiert wurde. SIBYLLE ZAMBON (Frauenfeld) berichtete für MUSE.TG & thurgaukultur vom Vermittlungsprojekt «Das Ding», das als Kooperation zwischen dem Verein der Museen Thurgau und der Online-Kulturplattform thurgaukultur.ch während der Corona-Pandemie entstand. Aus der Not des Lockdowns heraus entstand eine Webseite, auf der jeweils ein historisches Objekt abgebildet und in wenigen, einfachen Worten beschrieben wird. Das Publikum wurde animiert, zu rätseln, um was es sich bei dem jeweiligen Ding handelte. Das Konzept bewähre sich laut Zambon bis heute und die Online-Version wurde weiterentwickelt: Es folgte eine gedruckte Publikation, ein unterhaltsames Bühnenformat und bald soll daraus auch ein Film entstehen. «Das Ding» ist ein niederschwelliges Vermittlungsformat, das ein breites Publikum jenseits der üblichen Museumsbesucher:innen anspricht. Ebenso niederschwellig ist das Vermittlungsformat, das SOPHIE POLEK (Basel) vorstellte. Zusammen mit anderen Engagierten kuratierte sie Schaufensterausstellungen, die marginalisierten Personen zu Wort kommen ließen. Das Ausstellen von Plakaten in Schaufenstern, auf denen die Geschichten von Asylsuchenden und Sans-Papiers abgedruckt waren, sahen sie als Möglichkeit, diesen marginalisierten Stimmen Gehör zu verschaffen. Denn auf diese Weise wurden ihre Geschichten rund um die Uhr, ohne Eintrittspreise und ohne Betriebskosten sichtbar gemacht. Durch gemeinsame Spaziergänge von Schaufenster zu Schaufenster, an denen die Zitate der Betroffenen laut vorgelesen wurden, konnte eine weitere Vermittlungsebene angeboten werden. Marginalisiert war auch der Manumea, dem HANNA WÜSTE (Basel) in ihrer Forschung begegnete. Sie zeigte anhand dieses taubenähnlichen Vogels aus Samoa, der 1870 lebend nach Hamburg gebracht wurde, die Verbindungen von Menschen, Tieren, Wissenschaft und der imperialen Geschichte Europas auf. Das Verhältnis von Geschichte und Öffentlichkeit thematisierte sie anhand des dem Hamburger Zoo übergebenen Vogels im späten 19. Jahrhundert. Zoos waren öffentliche Orte, an denen paradiesische Naturzustände von imaginierter Authentizität gezeigt und zugleich die Besuchenden zivilisiert wurden. Doch das Beispiel des Manumeas eignete sich nach Wüste auch für die Frage nach kolonialen Machtstrukturen und für die Frage danach, wer entscheidet, ob eine Art aussterben darf. Nicht zuletzt bot sie durch die Rekonstruktion des Schicksals eines einzelnen Vogels ein Gegennarrativ zur Forschung, die Millionen von Objekten in wissenschaftliche Sammlungen mit kolonialen Verbindungen bisher nur seriell untersuchte.

Die Beiträge dieses Panels legten das Potenzial der Frage nach der Öffentlichkeit dar, sowohl inhaltlich in der historischen Forschung als auch in deren Vermittlung. Oftmals – so zeigten es diverse Beiträge der Tagung auf – ist zu präzisieren, wer unter Öffentlichkeit gemeint ist und wer wen unter welchen Umständen anzusprechen versucht. So handelt es sich nie um eine Dichotomie zwischen Geschichte und Öffentlichkeit, sondern um sich je nach Kontext verändernde Konfigurationen von Wissensströmen, die letztlich nie gänzlich kontrolliert werden können. Die Tagung regte Historiker:innen dazu an, darüber nachzudenken, wen sie mit ihrer Arbeit erreichen, und rief in Erinnerung, dass Geschichtswissenschaft niemals jenseits von Politik und Öffentlichkeit(en) stattfindet. Insofern ist es den Organisatorinnen gelungen, mit der Tagung zum Abbau des Elfenbeinturms beizutragen.

 

Konferenzübersicht:

Eröffnungsworte: Sophie Fäs / Sandra Fleischmann / Lisa Jenkel / Laura Rischbieter / Michèle Steiner (Basel)

 

Expert:innenrunde mit Expert:innen aus Geschichtsvermittlung und Wissenschaftskommunikation

Andrej Abplanalp (Schweizerisches Nationalmuseum); Lisa Gnirss (Kuration und Projektleitung Stapferhaus); Joachim Telgenbüscher (Journalist und Podcaster „Was bisher geschah“)

 

Workshops

Joachim Telgenbüscher, Simone Terbrack (Podcast „Was bisher geschah“): „Podcastsproduktion“ mit dem Team von „Was bisher geschah“

Andrej Abplanalp / Géraldine Lysser (Schweizerisches Landesmuseum) : „Blogbeiträge schreiben“ mit dem Team vom Landesmuseum-Blog

 

Podiumsdiskussion «History and the Public»

Moderation: Erik Petry (Basel)

Regine Maritz (Schweizerischer Nationalfonds); Flavio Eichmann (Schweizerische Gesellschaft für Geschichte); Natalia Huser (Abteilung Kultur Kanton Basel-Stadt); Christine Szkiet (Schweizer Netzwerk Public History)

 

Panel 1: Aufarbeitung, Aktivismus und die Öffentlichkeit

Moderation: Peter-Paul Bänziger (Basel)

Muriel Janke (Konstaz): Spontane Begegnungen in der Feldforschung

Tobias Urech (Basel): „Uns gab es schon ‘immer’...?“ Die Geschichte der Homosexualität(en) zwischen Bewegung und Wissenschaft

Laura Alt (Basel) „…dass Sie von Nahost Geschichte [sic!] definitiv weniger Ahnung haben als ich haben wir doch schon festgestellt, oder?“ Zur Funktion von Geschichte und Rezeption von HistorikerInnen in Online-Kommentarspalten

 

Panel 2: Das historische Objekt, neue Formate der Geschichtsvermittlung und die Öffentlichkeit

Moderation: Jan-Friedrich Missfelder (Basel)

Sibylle Zambon (MUSE.TG & Thurgaukultur): DAS DING – Was Dinge Erzählen. Historisches Storytelling on- und offline

Hanna Wüste (Basel): Memories of a Manumea – Narrating History in the Age of Extinction

Sophia Polek (Basel): Zugänglich, mobil, wiederverwendbar: Die Schaufensterausstellung

Manifestazione
History and the Public. Jahrestagung der Basel Graduate School of History
Organizzato da
Basel Graduate School of History (BGSH): Sophie Fäs, Sandra Fleischmann, Lisa Jenkel, Michèle Steiner
Data della manifestazione
-
Luogo
Basel
Lingua
Tedesco
Report type
Conference