Nationalismus unter dem Roten Stern. Vorgeschichte, Durchführung und Auswirkungen der Namenänderungskampagne 1984–1989 gegenüber der türkischen Minderheit in Bulgarien

Cognome dell'autore
Vassil
Vassilev
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Stig
Förster
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2006/2007
Abstract

1878 löste sich aus dem zerfallenden Osmanenreich der souveräne bulgarische Staat. Gleichzeitig sah sich Bulgarien mit Minderheitenfragen konfrontiert, denn die muslimische Bevölkerung des Landes machte anfänglich rund 1/5 der Gesamtbevölkerung aus. In den nächsten 60 Jahren verfolgten die bulgarischen Regierungen eine Politik des Erhalts der politischen und wirtschaftlichen Überhand der ethnischen bulgarischen Mehrheit, mit dem Ziel, die muslimische Minderheit in ihrer Randposition zu belassen. Türkischer Sprachunterricht wurde toleriert, erhielt jedoch keine staatliche Unterstützung, denn ein niedriges Bildungsniveau garantierte die Vormachtstellung des dominierenden bulgarischen Volkselements. Langfristig wurde die Zukunft der türkischen Minderheit in Bulgarien ausschliesslich mit Aussiedlungen in Verbindung gebracht, was die steten Auswanderungswellen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestätigten. Daran änderte auch die kommunistische Machtübernahme 1944 in Bulgarien letzten Endes nichts. Einem Grossteil der Türken wurde zwar kulturelle Autonomie und staatliche Förderung im Schulwesen gewährt – als logische Folge des kommunistischen Internationalismuskonzepts. Jedoch war dieses Streben durch die bulgarischen Kommunisten nicht verinnerlicht worden und funktionierte in Folge nur so lange, wie das sowjetische Vorbildmodell selbst unanfechtbar war. Der Prozess der Destalinisierung, der mit Stalins Tod einsetzte, gewährte den einzelnen kommunistischen Führungen im sowjetischen Block grössere Handlungsfreiheit. Dies führte dazu, dass in Bulgarien von der dualen Politik der Aussiedlungen und der Kulturautonomie Abstand genommen und ein restriktiver Kurs eingeschlagen wurde. In den nächsten 25 Jahren versuchte die kommunistische Regierung Bulgariens die Türken nicht mehr in eine gestaltlose kommunistische Weltgemeinschaft zu integrieren, sondern in einen Nationalstaat, der zwar kommunistisch war, aber bulgarisch bleibenmusste. Im Rahmen dieser veränderten Situation konnte nicht mehr von einer Integration gesprochen werden – es handelte sich fortan vielmehr um eine Assimilation, welche bezweckte, die türkische Minderheit Bulgariens innerhalb des bulgarischen Volkes aufgehen zu lassen und mit diesem zu vermischen. Diese „Volksfusion“ sollte durch Vereinheitlichungen auf dem Gebiet der Kulturpolitik und der Wirtschaft staatlich gefördert werden. Konsequent wurde die türkische Sprache aus den staatlichen Schulplänen verdrängt, wobei die kommunistische Regierung Bulgariens zwischen zwei restriktiven Massnahmen immer wieder einige Jahre verstreichen liess, die eigentlich als eine Art „Gewöhnungsphase“ bezeichnet werden könnten. 30 Jahre Assimilation erfüllten die Vorstellungen der Regierung in Sofia nur unzureichend. Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts waren aber die bulgarischen Türken für das Land fast unverzichtbar geworden. In wirtschaftlicher Hinsicht waren sie ausschlaggebend für die bulgarische Landwirtschaft. Die Bedeutung der türkischen Bevölkerung für Bulgarien wurde verstärkt durch eine veränderte historische Sichtweise in Bezug auf eben diese Bevölkerung innerhalb des wissenschaftlichen Kommunismus. Das Regime hatte beschlossen, der „Freiwilligkeit“ und der natürlichen Vermischung beider Ethnien mittels eines in der gesamten bulgarischen Geschichte einzigartigen Gewaltaktes auf die Sprünge zu helfen. Dabei spielten natürlich nicht nur wirtschaftliche und parteiideologische Entwicklungen eine vorbereitende Rolle. Die internationale Lage, insbesondere aber die Zypernkrise liess tiefverwurzelte Ängste vor dem türkischen (und ehemaligen osmanischen) Aggressor wieder aufleben. Sezessionsparanoia kam auf und die Furcht vor einer möglichen Aufspaltung des bulgarischen Territoriums hielt bis in die obersten Chefetagen der Regierung Einzug.

 

Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, welche Überlegungen für die Lösung der „Türkenfrage“ in der kommunistischen Führungsspitze gemacht wurden, wer die unmittelbaren Entscheidungsträger waren, wie der Beschluss zur Namenänderung im Winter 1984/1985 ausgeführt wurde, welche staatlichen Organe beteiligt waren, welche Rolle die Presse spielte und wie die Reaktionen im Ausland ausfielen.

 

Der Entschluss zur Durchführung der Namenänderungskampagne war allein Živkovs Entscheidung. Hatte die fehlgeschlagene restriktive Minderheitenpolitik der BKP und die daraus resultierende mangelnde Einbindung der türkischen Minderheit an der Entwicklung des sozialistischen Bulgarien Živkov das Motiv für seine aggressive Assimilation geliefert, so lieferte die Türkei selbst die Möglichkeit für das geplante Vorgehen. Die Schwäche der Türkei Mitte der 1980er Jahre war einerseits auf den Konflikt mit Griechenland um Zypern zurückzuführen und beruhte andererseits auf inneren Spannungen in Folge der türkischen Kurdenpolitik. Die zentralisierte Struktur des kommunistischen Machtapparates erlaubte es der Partei, sämtliche von ihr kontrollierten Organe der Ausführung des Beschlusses zuzuweisen. Ministerien und Ämter übernahmen die Logistik, lokale Parteistrukturen, die Volksfront und die Gewerkschaften regelten die Durchführung vor Ort und die Sicherheitskräfte und die Polizei sorgten für die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung. Im Anschluss an die Aktion betrieb die zentrale staatliche Presse keinerlei Aufklärung und überliess die Propagandaarbeit den verschiedenen lokalen Medien in den betroffenen Gebieten. Die Sicherheitsorgane leiteten und führten den Kampf gegen den entbrannten Widerstand und den islamistischen Terror, während das Aussenministerium internationale Schadensbegrenzung übte. Man hatte einen schnellen Schlag geplant und hatte in Wahrheit den politischen und wirtschaftlichen Niedergang des Kommunismus in Bulgarien eingeleitet. Selbstverständlich war die Namenänderungskampagne nicht der alleinige Grund hierfür. Die generelle Lage im sowjetischen Block und vor allem der Niedergang der Sowjetunion bildeten den dazugehörenden aussenpolitischen Rahmen. Die Entwicklungen von 1989 und die „Grosse Exkursion“ verschärften die Lage im Landesinnern noch erheblich und führten geradewegs zu Živkovs Entmachtung im November 1989. Bereits einen Monat später, im Dezember, erklärte die BKP die assimilatorische Namenänderungskampagne für eine verfassungswidrige „Abweichung vom Leninismus“ und gestattete mit einem Beschluss des ZK der türkischen Minderheit ihre früheren Namen wiederherzustellen. Die demokratischen Regierungen Bulgariens nach 1989 haben ihrerseits die juristischen Auswirkungen der Namenänderungskampagne durch eine Reihe von Gesetzen rückgängig gemacht. Und obwohl sich zwischenzeitlich die Wogen geglättet haben, belastet die kommunistische Vergangenheit zeitweise noch immer den minderheitspolitischen Dialog in Bulgarien.

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