„Ohne besondere Schutzmassnahmen droht die Entvölkerung ganzer Talschaften“. Die Lawinenschutzbautätigkeit in Anbruchgebieten im Lauf des 20. Jh. in der Schweiz – mit besonderer Betrachtung St. Antöniens und Andermatts

Cognome dell'autore
Riccardo
Umberg
Tipo di ricerca
Tesi di master
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Christian
Rohr
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2018/2019
Abstract


Auch wenn Lawinenverbauungen in letzter Zeit häufiger medial oder sogar künstlerisch abgehandelt wurden, beschäftigten sich bis zum heutigen Tag fast ausnahmslos die Forst- und Ingenieurwissenschaften sowie die Schnee- und Lawinenforschung mit der Thematik.
Ziel der Masterarbeit war es, die Geschichte der Lawinenschutzbautätigkeit in den Anbruchgebieten in der Schweiz aufzuarbeiten und neue Erkenntnisse für diesen von der Geschichtswissenschaft bisher weitgehend unbeachteten Gegenstand zu liefern. Der Fokus der Arbeit ist auf die allgemeine Entwicklung des Lawinenverbaus in Anbruchgebieten und auf die lokale Ebene bei der Diskussion und Durchführung von Lawinenverbauungsprojekten in den Schweizer Alpen gerichtet; dabei soll insbesondere die Verknüpfung staatlicher Institutionen und ihrer untergeordneten Gebietskörperschaften veranschaulicht werden. Die Untersuchung erfolgte daher zum einen anhand eines allgemeinen Teils, der die gesamtschweizerische Entwicklung des Lawinenverbaus im Anbruchgebiet betrachtet. Er liefert somit einen universellen, grossräumigen Aussagehorizont. Zum anderen beleuchtet die Studie die Lawinenverbauungstätigkeit in den „traditionellen“ Lawinengebieten Andermatt und St. Antönien. Gerade mittels der zwei prominenten Fallbeispiele konnten die politischen Debatten auch auf der lokalen Ebene beleuchtet sowie die technischen Herausforderungen hinsichtlich dieser Infrastrukturprojekte herausgearbeitet werden. Die Betrachtung der lokalen Ebene ermöglichte es, sehr spezifische Aussagehorizonte zu formulieren, die ihrerseits raumübergreifend gelten können.
Als Quellengrundlage dienten sowohl ältere technische Fachliteratur von Forst-, Schnee- und Lawinenexperten als auch Bestände zum Forstwesen und Lawinenverbau der jeweiligen Staatsarchive. Darüber hinaus lieferten vornehmlich das Gemeindearchiv St. Antönien und das Talarchiv Ursern, aber auch das Gemeindearchiv Andermatt sowie das Schweizerische Bundesarchiv und Alpine Museum der Schweiz wichtige Quellenbestände. Sie tragen zu einem heterogenen Quellenkorpus bei, das eine historisch-hermeneutische, teilweise aber auch diskursanalytische Auswertung ermöglichte.
Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Verbauung der Lawinenanbruchgebiete keine Idee ist, die aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammt. Durch die Ausdehnung der Siedlungsgebiete in immer höhere Lagen und die damit verbundene Zerstörung grosser Schutzwaldbestände setzten sich die Menschen zunehmend den Naturgefahren aus, die es zu kontrollieren galt. Die Bergbevölkerung schützte sich im Alpengebiet schon früh gegen Lawinen, und hier wurde zur Verteidigung des Raums erneut in die Natur bzw. Landschaft eingegriffen. Dabei kamen frühe Lawinenschutzmassnahmen wie Mauern, Galerien oder Lawinengruften zum Einsatz. Bereits ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und in zunehmender Intensität nach dem Lawinenwinter 1887/88 wurden Lawinenhänge mit Verpfählungen und vorrangig mit Erd- und Mauerterrassen sowie ab ungefähr 1900 in seltenen Fällen mit Schneerechen und -brücken gesichert. Gerade schwere Lawinenwinter – insbesondere die Ereignisse des Winters 1950/51 – führten zu Anpassungen in der forstlichen Gesetzgebung, eröffneten den Akteuren neue Handlungsspielräume und setzten einen Entwicklungsschub im gesamten Lawinenverbau in Gang. Im Verlauf der 1950er-Jahre wurden neue Stützwerktypen aus verschiedensten modernen Baustoffen wie Aluminium, Beton oder Stahl sowie aus Drahtseilnetzen entwickelt.
Das Verhalten der Schneedecke auf die Stützwerke konnte in den vom SLF lancierten Versuchsverbauungen untersucht werden. Aus solchen Versuchen konnten verbindliche Richtlinien für den Lawinenverbau erarbeiten werden, die sogar internationale Ausstrahlung erlangten. Gerade ab der zweiten Hälfte der 1950-er Jahre wurden schliesslich unzählige neue Verbauungsprojekte in den Anbruchgebieten der Lawinen verwirklicht. Je nach zu schützenden Siedlungsstrukturen, Verkehrswegen oder sonstigen Infrastrukturen divergierte das Ausmass der Massnahmen zum Lawinenschutz; die jeweils involvierten Akteure bedingten eine ganz unterschiedliche Intensität politischer Debatten.
Die Entwicklung bzw. die Intensivierung in der Lawinenschutzbautätigkeit ist jedoch nicht nur den Bundesbehörden oder der Schnee- und Lawinenforschung zu verdanken. Gerade lokale Akteure, die fähig waren, in Kontakt mit den höchsten Behörden zu treten, hatten grossen Anteil an der Verwirklichung regionsspezifischer Verbauungsprojekte. Die Erstellung von Lawinenverbauungen und Aufforstungen tangierte aber nicht selten die Wirtschaftsweise der Bergbevölkerung, indem sie genossenschaftliche und private Weidegründe gegen finanzielle Entschädigungen abtreten, ihre Viehhaltung anpassen und Wildheugebiete aufgeben musste. Die Dringlichkeit von Lawinenschutzmassnahmen wog jedoch schwerer als solche Einschränkungen. Schlussendlich dienten die Lawinenverbauungen auch dazu, die Entvölkerung der von Lawinen stark betroffenen Gebirgstäler zu verhindern, eine Aufgabe, der sich die Bundesbehörden gerade nach dem Zweiten Weltkrieg verpflichtet fühlten.

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