Das nützliche Wissen. Akteure, Tätigkeiten, Kommunikationspraxis und Themen der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 1746 - ca. 1830

Cognome dell'autore
Sarah
Baumgartner
Tipo di ricerca
Dottorato
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Simona
Boscani Leoni
Co-direttore
Prof. André Holenstein
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2017/2018
Abstract

Die sogenannten «Sozietäten», wie diese gesellschaftlichen Vereinigungen in der historischen Forschung heute üblicherweise bezeichnet werden, gelten als ein herausragendes Charakteristikum des 18. Jahrhunderts. Eine der bedeutendsten Sozietäten der damaligen Eidgenossenschaft war die 1746 gegründete Naturforschende Gesellschaft Zürich. Sie ist Gegenstand dieser Dissertation, die im Rahmen des SNF-Projekts «Kulturen der Naturforschung» erarbeitet wurde.

 

In der näheren Vergangenheit hatte vor allem die Tätigkeit ihrer einflussreichen, 1759 eingerichteten «Ökonomischen Kommission» – sie kümmerte sich während einiger Jahrzehnte eifrig um die Planung und Umsetzung von Agrarreformen – die Aufmerksamkeit der HistorikerInnen gefunden. Hier sollte dagegen wieder die gesamte Gesellschaft betrachtet werden. Der zeitliche Rahmen wurde einerseits durch das Jahr der Gesellschaftsgründung und andererseits durch die Eröffnung der Universität im Jahre 1833 abgesteckt; diese Hochschule löste die Gesellschaft als Zürichs zentralen Ort «naturwissenschaftlicher» Aktivitäten ab.

 

Das grundlegende Erkenntnisinteresse der Untersuchung bestand darin, zu rekonstruieren, wie die Gesellschaft dazu beitrug, neue naturkundliche Wissensbestände in der Limmatstadt breiteren Kreisen von Interessierten leichter – oder überhaupt erst – zugänglich zu machen.

 

Im Anschluss an Postulate der neueren Wissenschaftsgeschichte erstreckt sich der Fokus dieser Arbeit über die ideengeschichtliche Ebene hinaus, um auch die Praxis der Wissensarbeit in den Blick zu nehmen. Für die Naturforschende Gesellschaft, in deren Kontext wenig eigene Forschung betrieben wurde, ging es dabei in erster Linie um Kommunikationspraktiken. Der Einbezug von institutionellen und materiellen Rahmenbedingungen, wie Medien und Netzwerke, durch die wissenschaftlicher Austausch erst möglich wurde, ist hierbei ein wichtiger Aspekt. Primäre Quellenbasis ist das umfangreiche Gesellschaftsarchiv und zudem wurden punktuell weitere Unterlagen konsultiert, insbesondere die Briefkorrespondenz von Mitgliedern.

 

Die in drei Hauptkapitel gegliederte Arbeit nähert sich ihrem Untersuchungsgegenstand aus drei inhaltlich und methodisch unterschiedlich orientierten Perspektiven, wobei jeweils die Akteure, die Gesellschaft selbst und schliesslich die Bearbeitung bestimmter Themen im Zentrum stehen.

 

Im ersten Kapitel wird, gestützt auf einen prosopographischen Ansatz, danach gefragt, wie sich bei den Personen, die im Kontext der Sozietät als Handelnde auftraten, biographische Faktoren – etwa Ausbildung und Beruf – auf die (Wissens-) Ressourcen auswirkten, die sie jeweils in das Forum der Sozietät einbringen konnten. Gemeint sind damit nicht nur die Mitglieder, sondern ebenso Besucher sowie insbesondere auch die von der Ökonomischen Kommission einbezogenen Landpfarrer und Bauern.

 

Da in der Frühen Neuzeit keine andere Ausbildung ein ähnliches Ausmass an naturkundlichem Wissen vermittelte wie das Medizinstudium, verwundert es nicht, dass die Mediziner unter den Aktivmitgliedern mit einem Anteil von einem Drittel die grösste Berufsgruppe ausmachten; neben den akademischen Ärzten finden sich auch wenige Handwerkschirurgen. Nicht nur Gebildete, sondern auch «Praktiker» wirkten in der Sozietät mit; unter den Aktivmitgliedern figurieren auch einige Handwerker und Ingenieure, wobei sich bei Letzteren die beginnende Professionalisierung erkennen lässt. In Bezug auf die Anzahl der Referate waren aber dennoch die wenigen «Professoren» am bedeutendsten, also die Lehrer naturkundlich-mathematischer Fächer an der städtischen Hohen Schule, dem «Carolinum», oder den im 18. Jahrhundert neu gegründeten spezialisierten Bildungseinrichtungen. Dabei trat insbesondere der Gründungspräsident Johannes Gessner hervor. Für die Hälfte der sich aktiv beteiligenden Mitglieder war die Naturkunde eine Beschäftigung für die Mussestunden – was aber nicht hiess, dass nicht auch aus dieser Gruppe bemerkenswerte Beiträge überliefert wären.

 

Ab den 1760er Jahren nahm die Gesellschaft auch korrespondierende Mitglieder auf. Dass viele von ihnen langjährige Briefwechsel mit Zürcher Mitgliedern unterhielten, zeigt, dass die Sozietät auf der überlokalen Ebene nicht eigentlich als «Kontaktgenerator» fungierte, sondern sich in bestehende «private» Netzwerke einschaltete.

 

Der zweite Hauptteil ist der Gesellschaft als Institution gewidmet. Die von ihr etablierten Einrichtungen, also die regelmässigen Sitzungen, die Bibliothek und die Sammlungen, der Briefwechsel ihrer Sekretariate, ihr Periodikum, die – allerdings nur in drei Jahrgängen erschienenen – «Abhandlungen» sowie die von der ökonomischen Kommission zur Kontaktaufnahme mit der Landbevölkerung veranstalteten «Preisfragen» und «Bauerngespräche» wurden daraufhin untersucht, inwieweit sie von den Akteuren als Ort der Wissensvermittlung und -generierung genutzt werden konnten.

 

Die wöchentlichen Versammlungen, die über die ganze untersuchte Zeit hinweg mit bemerkenswert wenigen Ausfällen stattfanden, waren ein Forum, in welchem die Mitglieder ihren naturkundlichen Interessen grössere Sichtbarkeit verschaffen konnten. Es finden sich zahlreiche explizit didaktisch aufbereitete Beiträge und Wissensvermittlung scheint insgesamt wichtiger gewesen zu sein, als Diskussion und Klärung. So ist denn auch in den Sitzungsprotokollen von den bekannten Kontroversen unter Mitgliedern fast nichts zu vernehmen.

 

Der Aufbau einer Büchersammlung, wofür ein grosser Teil der sozietären Geldmittel – diese ergaben sich aus den Mitgliederbeiträgen und den Zinsen eines Kapitals – aufgewendet wurde, geschah sehr zielgerichtet. Mit den Jahren entstand so eine spezialisierte Fachbibliothek, mit der den Mitgliedern primär kostspielige Publikationen wie lange Zeitschriftenreihen und umfangreiche Tafelwerke verfügbar gemacht wurden.

 

Im umfangreichsten dritten Hauptteil wird, teils unter Rückgriff auf Ergebnisse der beiden vorangegangenen Abschnitte, versucht, die Wissensarbeit der Gesellschaft anhand von Fallbeispielen konkret nachzuvollziehen. Gewählt wurden zu diesem Zweck die Themen Chemie – hier interessierte neben der Reaktion auf die in den Untersuchungszeitraum fallende «chemischen Revolution» unter anderem auch, inwieweit gewerbliche Anwendungen dieser Wissenschaft im Kontext der Gesellschaft relevant waren –, die Meteorologie – die wie kaum ein anderes Wissensfeld so unterschiedliche Aspekte wie theoretische Erörterungen mit teils in die Antike zurückreichender Tradition, die neuere epistemische Praxis des Beobachtens und nicht zuletzt eine eminente praktische Relevanz für Medizin und Landwirtschaft in sich vereinigte –, die Elektrizität – wo untersucht werden sollte, wie die Sozietät diese grosse Innovation rezipierte – und zudem, als Problem aus dem angewandten agronomischen Bereich, die von der Ökonomischen Kommission untersuchte Frage der Getreidekonservierung durch das Dörren.

 

In den im Rahmen der sozietären Aktivitäten behandelten Gegenständen lassen sich die Themenkonjunkturen der zeitgenössischen Wissenschaftspublizistik gut identifizieren, wenn auch vielfach gebrochen durch Faktoren wie individuelle Interessen von Mitgliedern, der variierenden Aktivität der Gesellschaft oder dem teils schwierigen Zugang zu aktuellen Publikationen. Dies erstaunt nicht, denn schliesslich bezogen die Referenten ihre Inhalte primär aus der Literatur, und zwar insbesondere aus den aufkommenden Rezensionszeitschriften und Fachperiodika.

 

Es zeigen sich darüber hinaus zahlreiche für die «Naturwissenschaft» der «Sattelzeit» charakteristische Erscheinungen – die Expansion des Wissens ebenso wie erste Ansätze disziplinärer Ausdifferenzierung, die Verbreiterung der involvierten Personengruppen ebenso wie die beginnende Professionalisierung und auch das aus heutiger Sicht nicht selten eigenartig wirkende Nebeneinander von traditionellen und in die Zukunft weisenden Deutungen von Naturphänomenen.

 

Eine gedruckte Publikation der Arbeit ist geplant.

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