Tipo di ricerca
Tesi di master
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
André
Holenstein
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2013/2014
Abstract
Im Mittelpunkt der Arbeit steht die naturgeschichtliche Zeitschrift Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands des Zürcher Gelehrten und Naturforschers Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733), die zwischen 1705 und 1707 unter wechselnden Titeln erschien und als erste wissenschaftliche Zeitschrift der Schweiz gilt. Trotz des in den letzten Jahren stark gestiegenen Forschungsinteresses an der Figur Scheuchzer wurde dessen Zeitschriftenprojekt noch nicht eigens untersucht. Die Arbeit beabsichtigt diese Lücke zu schliessen. Sie analysiert, wie und unter Einbezug welcher Akteure und Medien mittels der Zeitschrift und der sie hervorbringenden und durch sie hervorgebrachten kommunikativen Vorgänge Wissen generiert wurde. Gegenstand der Untersuchung sind daher neben dem Periodikum selbst einerseits auch dessen soziokultureller Entstehungszusammenhang, die ökonomischen und technischen Voraussetzungen – überhaupt die ihm zugrundeliegenden wissenschaftlichen Praktiken – sowie anderer- seits die Resonanz der Leser und die Rezeption. Das Quellenkorpus umfasst nebst den 151 Ausgaben der Zeitschrift entsprechend auch die Briefwechsel, die Scheuchzer zwischen 1699 und 1708 mit 179 Korrespondenten in der Eidgenossenschaft und den zugewandten Orten unterhielt. Bemüht um eine vielschichtige Analyse in medien- und wissensgeschichtlicher Perspektive, wird das heuristische Potential der neueren Kulturgeschichte der Wissenschaft möglichst breit genutzt.
Schon vor dem Erscheinen der Wochenschrift hatte Scheuchzer 1699 mit der Versendung eines Fragenkatalogs an Pfarrer, Ärzte und andere „curiose Gemüther“ in allen Landesteilen der Schweiz und mit der Pflege eines dichten Korrespondentennetzes im In- und Ausland Verfahren der gelehrten Kommunikation und der kooperativen Generierung neuen naturgeschichtlichen Wissens erprobt. Sein engmaschiges Netz an Briefpartnern war denn auch wichtige Voraussetzung für die Initiierung des Projekts einer naturgeschichtlichen Wochenschrift. Ermöglicht wurde die Publikation schliesslich durch die Gunst einflussreicher und zahlungskräftiger Patrons aus der Bündner Aristokratie, die Scheuchzer mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstatteten.
In sachlicher Hinsicht wollte die Zeitschrift „seltsame“ Naturerscheinungen ohne Rückgriff auf vergeltungstheologische Kategorien erklären. Räumlich beschränkte sie sich dabei auf die Schweiz. Mit dieser doppelten Gegenstandsbestimmung fügte sich Scheuchzers Projekt in grosse kulturelle Bewegungen in Europa ein: es spiegelte das aufkommende naturwissenschaftliche Interesse wider und war zugleich Ausdruck des komparatistischen Bemühens um die Bestimmung der Nationalcharaktere der Völker und Länder. Scheuchzer fasste Naturgeschichte als eine Methode der empirischen Naturbeobachtung auf, die sowohl – in physikotheologischer Absicht – die Erkenntnis von Gottes Schöpfung, als auch – in utilitaristischer Hinsicht – die Vermehrung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzens für den Menschen bezweckte.
Die Zeitschrift sollte sowohl der Popularisierung naturbezogenen Wissens, als auch der Vertiefung und Ausweitung einer kooperativen Form der Wissensproduktion dienen. Die Analyse der kommunikativen Praktiken zeigt auf, dass es Scheuchzer tatsächlich gelungen ist, einen Prozess der Zirkulation naturgeschichtlichen Wissens in Gang zu setzen. Dieser erlaubte es ihm, seine eigenen Beobachtungen zu veröffentlichen und zugleich neue Korrespondenten zu gewinnen, die ihm ihre eigenen Naturbeobachtungen zukommen liessen. Die epistemische Validität der mitgeteilten Naturphänomene beruhte auf der Glaubwürdigkeit der Zeugen und Informanten und dabei primär auf ständischen Kategorien wie Ehrbarkeit und Vertrauenswürdigkeit. Einfachere Bevölkerungskreise verfügten folglich nur über beschränkte Möglichkeiten einer meist indirekten Mitwirkung an der Generierung gelehrten Wissens, obwohl Scheuchzer Bauern, Sennen und Jägern ein hohes Mass an empirischer Beobachtungsgabe zuschrieb.
Während die Zeitschrift bei den involvierten Kreisen einer lokalen kulturellen Elite auf grosse Zustimmung stiess, warfen Professoren der Basler Universität Scheuchzer vor, er verletze mit der deutschsprachigen, sich potentiell an ein breiteres Publikum richtenden Zeitschrift die Grenze zwischen populärem und gelehrtem Wissen und gefährde damit auch seinen Ruf. Längerfristig beeinflussten die „Natur-Geschichten“ die Wahrnehmung der Alpen und der Alpenbewohner nachhaltig. Neben einzelnen Geschichten und Figuren waren dafür insbesondere auch die Illustrationen entscheidend, die nicht nur einem sachlich-illustrierenden Zweck dienten, sondern auch die alpine Bergwelt ästhetisierten.