Die Prävention von Überschwemmungen durch das politische System der Schweiz von 1848 bis 1991

Cognome dell'autore
Stephanie
Summermatter
Tipo di ricerca
Dottorato
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Christian
Pfister
Co-direttore
Prof. Christian Rohr
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2011/2012
Abstract
Naturgewalten bündeln kurzfristig die öffentliche Aufmerksamkeit, erzeugen einen auf Prävention gerichteten Handlungsdruck und damit als geschichtsmächtige Kräfte in Erscheinung treten. Die Dissertation fragt am Beispiel der Prävention von Überschwemmungen im Schweizer Bundesstaat von 1848–1991, inweit Reaktionen auf solche Ereignisse als Lernprozess betrachtet werden können, indem Erfahrungswerte gegenwärtiges und künftiges Handeln beeinflussen. Sie löst sich von der rein katastrophen- und korrektionsorientierten Betrachtungsweise und blickt auch auf die katastrophenarmen Zwischenräume. Als Akteure stehen Parlament, Bundesrat, Verwaltung und Experten im Fokus. Anhand von Bern und dem Wallis werden zudem die Umsetzung der Bundesgesetze und legislative Innovationen in den Kantonen untersucht. Die Arbeit bewegt sich im Schnittpunkt von Umwelt, Wasserbau-, Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte. Für das 19. Jh. bietet die Dissertation eine umfassende Überblicksdarstellung: Sie beleuchtet die Anfänge des Schweizer Hochwasserschutzes unter den Stichworten Ausbau der Infrastruktur, Neugestaltung der Umwelt, Stärkung der Solidarität zwischen Peripherie und Zentrum, Bildung eines Nationalbewusstseins und Integration der Kantone im jungen Bundesstaat. Bereits vor der Bundesstaatsgründung machte der Staatenbund mit der Linthkorrektion (1807–1816) erste Erfahrungen im Wasserbau, die in die Diskussion um Art. 21 BV 1848 zur Unterstützung von Werken im Interesse der Eidgenossenschaft einflossen. Dieser Artikel führte in den 1850erund 1860erJahren zu den Grossprojekten an Rhein, Rhone und Juragewässer, die auch als Prestigeobjekte zur Förderung des Nationalgefühls galten. Erst in den 1870er Jahren wurden spezifische Grundlagen für den Wasserbau geschaffen. Die Überschwemmungen von 1852 und 1868 waren dabei im vorangehenden Entscheidfindungsprozess von zentraler Bedeutung. Während Erstere unter Experten und in der Verwaltung Diskussionen anstiessen, überzeugten Letztere auch die Politik vom Handlungsbedarf und ebneten Art. 24 BV 1874, dem Forstpolizeigesetz 1876 und dem Wasserbaupolizeigesetz 1877 den Weg. Zum Hochwasserschutz im 20. Jh. liegt bislang kaum Forschung vor, weshalb die Dissertation für diesen Zeitraum ein besseres Verständnis des Zusammenwirkens von Bund und Kantonen sowie Parlament, Regierung und Verwaltung in diesem noch heute bedeutenden Bereich der Umweltgestaltung ermöglicht. Die erste Hälfte des 20. Jh. war durch grosse Stabilität geprägt – es hatte sich ein courant normal etabliert. Als eigentliches Grossereignis gelten in diesem Zeitraum nur die Überschwemmungen von 1910, während sich die Ereignisse von 1927, 1944 und 1951 nur lokal auswirkten. In ihrem jeweiligen historischen und politischen Kontext stiessen aber vor allem auch diese Ereignisse Massnahmen an, die schliesslich in den 1950er Jahren zu einer Ausweitung der Bundeskompetenz führten. Gerade die kaum geführte Diskussion um diese finanzielle Kompetenz zeigt, wie einig sich Verwaltung und Parlament im Politikbereich Wasserbau waren. Auch eine grundlegende Gesetzesrevision wurde von beiden Seiten nicht als zwingend erachtet. Erst die Umweltdiskussion ab den 1950er-Jahren und die Überschwemmungen der 1970er-Jahre änderte diese Ausgangslage und leiten damit die vorläufig letzte Phase im Schweizer Hochwasserschutz ein. Ähnlich der Situation gut 100 Jahre früher entwickelten die Experten und die Verwaltung neue Ideen und Vorstellungen, denen ein Jahrhundertereignis – die Überschwemmungen von 1987 – schliesslich zum politischen Durchbruch verhalf und die 1991 zur Totalrevision der Wasserbaugesetzgebung führten. Es lassen sich einige wichtige Ergebnisse zusammenfassen, die einerseits die Bedeutung der Subventionspolitik beleuchten und andererseits die Lernprozesse betreffen. Die Subventionspolitik im Wasserbau wurde zunächst als Instrument zur Förderung der nach dem Sonderbundskrieg von 1847 nötigen nationalen Integration eingesetzt. Mit Hilfe der Subventionen bewegte der Bund die politisch, konfessionell, wirtschaftlich und kulturell gespaltenen Kantone zu einer engeren Zusammenarbeit. Da die Kantone die Korrektionsprojekte selbst anstossen mussten, konnten regionalpolitische Gegebenheiten gut berücksichtigt werden. Damit errang der Bund im Wasserbau bereits vor dem Bestehen der expliziten Verfassungsund Gesetzeskompetenzen eine Leitund Koordinationsfunktion. Demgegenüber war die Prävention in der Zwischenund Nachkriegszeit ein finanzpolitischer Spielball zwischen Arbeitsbeschaffungsmassnahmen und Subventionskürzungen. Von den 1920erbis in die 1980erJahre wurden Wasserbausubventionen nicht primär nach präventionspolitischen Gesichtspunkten, sondern nach finanzpolitischen Überlegungen bemessen. Erst unter dem Eindruck der Überschwemmungen von 1987 rückten wasserbaupolitische Notwendigkeiten wieder in den Mittelpunkt. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg lassen sich ausgehend von der Finanzierung der Korrektionen deutliche Kompetenzverschiebungen ausmachen: Einerseits trugen im 19. Jh. die Gemeinden oft die Hauptlast, während beispielsweise im Wallis dem Kanton nur eine Nebenrolle zukam. Erst der Anreiz der Bundesbeiträge ermöglichte es, die Kantone mit sanftem Zwang stärker einzubinden, sodass die Kompetenzen im Wasserbau heute faktisch bei Bund und Kantonen liegen. Andererseits erfolgte im 20. Jh. auf Bundesebene eine Verschiebung der Kompetenzen vom Parlament zum Bundesrat und weiter zur Verwaltung. Auch wenn heute von grossen Beiträgen die Rede ist, zeigt die Hochrechnung der Subventionsbeträge über den gesamten Zeitraum doch ein überraschendes Bild: Während die nominellen Subventionsbeträge in der inflationsgeschüttelten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in die Höhe schnellen, kulminieren die geldwertbereinigten Beträge in der Hochkonjunkturphase der Belle Epoque und sinken von 1914–1950 deutlich, gefolgt von einer Stabilisierung auf tiefem Niveau in der Nachkriegszeit. Im Bereich der Lernprozesse zeigt sich, dass grosse Ereignisse wie die Überschwemmungen von 1868 und 1987 politisch nur dann wirkten, wenn bereits eine gewisse Vorarbeit geleistet worden war. Sie trugen dazu bei, neuen Ideen der Verwaltung politisch zum Durchbruch zu verhelfen. Demgegenüber verschwinden kleinere Ereignisse zwar schneller aus der öffentlichen Wahrnehmung und bauen deshalb kurzfristig weniger politischen Handlungsdruck auf. Das Beispiel der Überschwemmungsserie im Seeland von 1948–1955 zeigt aber, wie gerade kleinere Ereignisse in ihrer Häufung den Handlungsdruck vor Ort ansteigen lassen, in der Verwaltung neue Denkprozesse anstossen und deshalb längerfristig ebenfalls zu politischen Entscheiden führen können. Anders als in den gängigen Theorien oft angenommen, laufen fundamentale Lernprozesse somit nicht sprunghaft und diskontinuierlich ab: Es braucht Zeit, um gereifte Lösungen hervorzubringen und umzusetzen. Die Entscheide der politischen Akteure standen jeweils am Schluss einer Reihe von Lernschritten und machen deshalb zwangsläufig einen sprunghaften Eindruck, weil sie meist nach einer Krise fielen. Gerade das Verwaltungshandeln zeigt aber, dass nach Katastrophen nur fundamental gelernt werden kann, wenn bestehende Vorschläge weiterentwickelt werden können. Zudem lernen unterschiedliche Akteure auf unterschiedliche Weise und unterschiedlich schnell: Die für die Prävention zuständigen V erwaltungsstellen lernten kontinuierlicher und alltagsbezogener, während „Lernen“ im Parlament durch die mediale Aktualisierung der Katastrophe induziert wurde. Gegenüber der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Politik verfügt die Verwaltung deshalb über den grossen Vorteil der Langatmigkeit. Leicht überarbeitete Fassung online verfügbar unter https://boris.unibe.ch/id/eprint/97587

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