Wandel und Kontinuität in der Entstehung von Hungersnöten. Eine vergleichende Verletzlichkeitsanalyse zwischen vorindustriellen Subsistenzkrisen in Europa und der Hungersnot in Bengalen 1943/44

Cognome dell'autore
Matthias
Meier
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Christian
Pfister
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2010/2011
Abstract


Inwiefern entwickelte sich die Entstehung von Hunger in den letzten Jahrhunderten? Die vorliegende Arbeit fragt nach Kontinuitäten und Differenzen in der Verursachung von akuten Hungersnöten im vorindustriellen Europa und in Bengalen im 20. Jahrhundert. Die Analyse erfolgt an ausgewählten Beispielen. Die vorindustriellen Verhältnisse werden vornehmlich an den Subsistenzkrisen von 1770/71 und 1816/17 in Gebieten des süddeutschen Raums und der Schweiz untersucht. Für das 20. Jahrhundert wird die indische Hungersnot von 1943/44 in Bengalen herangezogen, welche insbesondere vor dem Hintergrund des Kolonialismus und der intensivierten globalen Vernetzung betrachtet wird. Nahrungsmittelproduktion, ökonomische Beziehungen sowie Verteilmöglichkeiten (durch Fortschritte in Kommunikation und Verkehr) durchliefen zwischen den betrachteten Epochen grosse Entwicklungen, was sich grundsätzlich auf den Charakter von Nahrungsunsicherheit auswirkte.

Die vorliegende Arbeit basiert auf drei theoretischen Ansätzen: Im Food-Availability-DeclineAnsatz werden Hungersnöte wesentlich mit verringertem Nahrungsmittelvorkommen erklärt, was häufig mit umweltbedingten Ernteausfällen — hervorgerufen durch biophysische Faktoren wie Naturkatastrophen oder Klimaschwankungen — zusammenhängt. Dieser Erklärungsansatz wird oft für vorindustrielle Gesellschaften angewandt. Hingegen fokussiert sich der aus der Ökonomie stammende Entitlement-Ansatz auf sozioökonomische Zugangsmöglichkeiten zu bestehenden Nahrungsangeboten. Verschiebungen von Tauschbedingungen auf Märkten (beispielsweise hervorgerufen durch Preiserhöhungen) werden hierbei als hauptsächliche Ursache von Hungersnöten betrachtet. Oftmals werden sozioökonomische Faktoren als zentrale Auslöser von Hunger im 20. Jahrhundert gesehen. Der dritte Ansatz, das Konzept der Verletzlichkeit (Vulnerability), ermöglicht die Berücksichtigung sowohl von biophysischen als auch von sozioökonomischen Faktoren in der Verursachung von Hungersnöten. Ausserdem trennt das verwendete Verletzlichkeits-Modell interne und externe Ursachen, was gerade im Hinblick auf den Vergleich zwischen vorindustriellen Subsistenzkrisen und der globalen Nahrungsmittelversorgung im 20. Jahrhundert sehr fruchtbar ist. Im Weiteren ist die Unterscheidung zwischen langfristigen/strukturellen und kurzfristigen/direkten Ursachen in der Entstehung von Hunger relevant.

Die Analyse der Verletzlichkeit von vorindustriellen Regionen in Europa und Bengalen in den 1940er Jahren zeigt, dass eine strikte Abgrenzung zwischen natürlichen und sozioökonomischen Faktoren von Hungersnöten zwischen den Epochen nicht sinnvoll ist — es ist von einer Kontinuität auf beiden Ebenen auszugehen. Umweltbedingte Ernteeinbussen beeinflussten auch im 20. Jahrhundert die Verletzlichkeit von Gesellschaften. Umgekehrt zeigt sich für das 18. und frühe 19. Jahrhundert, dass sozioökonomische Faktoren die Verletzlichkeit verschiedener Regionen wesentlich mit prägten. Insbesondere die Anpassungskapazitäten von Gesellschaften und politischen Systemen waren hierbei für grosse Unterschiede zwischen einzelnen Fallbeispielen verantwortlich. Doch vielfältige Modernisierung und die zunehmend globale Nahrungsmittelversorgung führten zu Verschiebungen in der Bedeutung einzelner Faktoren. Während im vorindustriellen Europa kurzfristige Einschnitte auf der Produktionsebene als zentrale Auslöser für Hungersnöte gelten können, waren in Bengalen strukturelle Verarmung und weitreichende, globale Vernetzung in der Entstehung der Hungersnot von 1943/44 entscheidend. Die Bedeutung von externen Einflüssen nahm zu. Die grundsätzlich fortgeschrittenen Anpassungsmöglichkeiten — die besseren Kommunikations-, Transportund Verteilmöglichkeiten für Nahrung — trugen ausserdem zu der höheren Gewichtung sozioökonomischer Faktoren im 20. Jahrhundert bei.

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