Die Rettung des Geltenschusses. Opposition gegen das Wasserkraftwerkprojekt Sanetsch-Gelten und Landschaftsschutz im Berner Oberland in der ersten Hälfte der 1950er Jahre

Cognome dell'autore
Jacqueline
Strauss
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Christian
Pfister
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
1997/1998
Abstract

In der Schweiz wurden in den 1950er Jahren 99% der Elektrizität aus „Weisser Kohle" erzeugt, was beim rasant zunehmenden Stromverbrauch zu einem Bauboom von Wasserkraftwerken führte1 , ohne dass es dabei zu nennenswerten Widerständen von Seiten des Natur- oder Heimatschutzes gekommen wäre. Ernsthafte überregionale Konflikte entbrannten lediglich um die beiden Projekte Rheinau und Spöl, die mit dem Rheinfall und dem Nationalpark symbolträchtige Landschaften von nationaler Bedeutung bedrohten. In beiden Fällen setzte sich in eidgenössischen Volksabstimmungen der Standpunkt der Elektrizitätswirtschaft durch.

 

In den Alpentälern des Kantons Bern war, nebst den im Grimselgebiet realisierten Grossprojekten, der Bau kleinerer Werke geplant, so des Sanetsch-Geltenwerks im Amtsbezirk Saanen. In Kombination mit dem Stausee Sanetsch war vorgesehen, durch einen Stollen Wasser vom Nebental, dem Lauenental, der Kraftwerkzentrale in Gsteig zuzuführen. Das Projekt bedrohte den imposanten Wasserfall des Lauenentals, den Geltenschuss. 1949 reichten die Bernische Kraftwerke AG (BKW) und das Elektrizitätswerk der Stadt Bern (EWB) beim Berner Regierungsrat das Konzessionsgesuch für das Sanetsch-Geltenwerk ein. Während die Gemeinde Gsteig das Kraftwerk in der Hoffnung auf einen finanziellen Nutzen begrüsste, folgte zwecks Rettung des Geltenschusses heftige und einstimmige Opposition aus der Gemeinde Lauenen einerseits, von Seiten des Natur- und Heimatschutzes andrerseits.

 

Nach siebenjährigem Tauziehen wurde beim Wasserkraftwerkprojekt Sanetsch-Gelten der landschaftliche Schutz des Lauenentals schliesslich stärker gewichtet als der Gewinn einer energiewirtschaftlichen Nutzung. 1956 lehnte der Regierungsrat das Konzessionsgesuch zum Sanetsch-Geltenwerk ab, forderte die Konzessionsbewerber aber gleichzeitig auf, ein Sanetschwerk ohne Einbezug des Geltenwassers zu planen. Die Erhaltung des landschaftsprägenden Wasserfalls in einer Zeit des massiven und praktischen ungehinderten Baus von Wasserkraftwerken kann aus heutiger Sicht als Glücksfall bezeichnet werden. Welche Faktoren haben zu diesem Entscheid geführt?

 

Basierend auf Boeschs Kulturpsychologie2 wird hier von einem handlungsorientierten, subjektiven Blickwinkel der Akteure ausgegangen. Je nachdem, welche Bedeutung das umstrittene Lauenental für die Beteiligten hatte, bewerteten sie seine Qualitäten und verteidigten ihre Nutzungsabsichten. Weiter untersucht wird, mit welchen Argumenten für oder gegen das Kraftwerkprojekt Sanetsch-Gelten gefochten wurde. Zuletzt wird der Konflikt in den zeitgenössischen Kontext gestellt.

 

Die unveröffentlichten Quellen zu dieser Arbeit stammen aus den Archiven der Gemeinden Gsteig und Lauenen, aus dem Archiv des Elektrizitätswerks Bern, aus dem kantonalbernischen Archiv des Wasser- und Energiewirtschaftsamtes sowie aus den Archiven des bernischen Naturschutzinspektorats, der Pro Natura Bern und der Schweizerischen Akademie für Naturwissenschaften. Als gedruckte Quellen einbezogen wurden die Vereinsorgane des Schweizerischen Bundes für Naturschutz, des SAC, der Schweizerischen Vereinigung für Heimatschutz und einschlägige Artikel in Tages- und Wer chenzeitungen. Ergänzend wurde in Gsteig und Lauenen je ein Interview mit Personen durchgeführt, die in der damaligen Auseinandersetzung engagiert waren.

 

Zwischen den beiden Elektrizitätswerken (BKW/EWB) einerseits und der Lauener Bevölkerung sowie dem Natur- und Heimatschutz andrerseits war ein Streit um die kostenlose, aber begrenzte Ressource Landschaft ausgebrochen. Es konnten nicht alle Nutzungsabsichten gleichzeitig befriedigt werden. Die Konzessionsbewerber wollten das Lauenental zur Produktion von Strom für einen überregionalen Energiemarkt nutzen. Demgegenüber vertrat Lauenen lokale wirtschaftliche Interessen in den Bereichen Gemeindekraftwerk, Landwirtschaft und Tourismus. Der Natur- und Heimatschutz unterstützte vor allem die touristischen Interessen und stellte gleichzeitig die Rentabilität des geplanten Werkes in Frage. Nur bei grossen Werken war er bereit, landschaftliche Opfer in Kauf zu nehmen, nicht aber im Lauenental.

 

Aufgabe der Politiker war es, diese divergierenden Interessen gegeneinander abzuwägen. In einer Zeit in der die Elektrizitätswirtschaft unabhängig von den Kosten zunehmend auch kleine Werke bauen wollte, suchte der Regierungsrat nach einer Konsenslösung. Obwohl Regierungsräte bei der BKW Verwaltungsratssitze inne hatten, fällte der Regierungsrat keinen Entscheid gegen die breit abgestützte Opposition. Er wartete solange, bis eine Lösung möglich wurde, bei dem sowohl der Geltenschuss erhalten blieb als auch das Sanetschwerk (als noch kleinere Variante ohne Geltenwasser) gebaut werden konnte.

 

Der Konflikt zwischen den Akteuren war dabei nicht grundsätzlicher Art. Es ging um die Frage, wo den zunehmenden Eingriffen in die Landschaft eine Grenze gesetzt werden sollte. Beim Entscheid rückten wirtschaftliche Argumente zugunsten eines Traditionsbewusstseins in den Hintergrund. In einer als materialistisch kritisierten Zeit suchte man nach ideellen Werten. Ausschlaggebend für die einhellige Opposition im Unterland, die zunehmende Unterstützung der Presse, die sich breit machende Begeisterung für das Lauenental und den ablehnenden Entscheid des Regierungsrates war die symbolische Bedeutung des Lauenentals. In Lauenen vereinten sich harmonisch der alpine und der bäuerlichen Mythos, die beiden Grundsteine schweizerischer Identität. Das Lauenental samt seiner Bevölkerung wurde zum Symbol für Heimat. In einer Schweiz, die zwischen zukunftsgerichteten technischen Innovationen und konservativer Bindung an Tradition schwankte, war dies ganz offensichtlich ein griffiges Argument. Die Widersprüchlichkeit der 50er Jahre zeigte sich in der Auseinandersetzung um das Sanetsch-Geltenprojekt insofern, als dass man sich angesichts des technischen, ökonomischen und sozialen Umbruchs gerne an alten Werten und Bildern orientierte. Das Lauenental sollte nicht nur ein Naturreservat werden, sondern bekam geradezu den Stellenwert eines "Heimatreservats".

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