Reformation und Republik. Rezeptionsgeschichtliche Probleme im Wallis

Cognome dell'autore
Caroline
Schnyder
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Peter
Blickle
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
1997/1998
Abstract

Von Reformation im Wallis zu sprechen, kann heute verwunderte Reaktionen auslösen. Das Wallis erscheint als ein Land, dessen Bevölkerung in den Traditionen des Katholizismus verhaftet ist. In den entscheidenden Phasen der Ausgestaltung der Republik Wallis und der endgültigen Loslösung vom bischöflichen Landesfürsten im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts jedoch spielte die Reformation auch im Wallis eine wichtige Rolle. Aus landesgeschichtlicher Perspektive drängt sich deshalb die Frage nach dem Verhältnis zwischen Reformation und Republik auf. Diese Frage stellt sich aber auch im Kontext der reformationsgeschichtlichen Forschung. Die Reformationsgeschichte zeigt nämlich, dass besonders in Stadtrepubliken auf die reformatorische Botschaft mit Interesse reagiert wurde und die Verbindung der politischen Praxis republikanisch verfasster Gemeinwesen mit dem reformatorischen Weltverständnis neue Möglichkeiten politischer Rechtfertigung und Transformation versprach. Ausgehend von diesen allgemeinen Befunden versuchte ich am Beispiel der werdenden Republik Wallis zu zeigen, dass die Reformation die Ausgestaltung der politischen Organisationsform des Wallis zwar beeinflusste, das Verhältnis zwischen Reformation und Republik jedoch nicht ohne weiteres als Affinität zwischen reformatorischer Ethik und republikanischer Kultur gedeutet werden kann.

 

Entscheidend ist, dass reformatorische Ideen die Geschichte der Landschaft Wallis über ein Jahrhundert hinweg zwar wesentlich geprägt, sich aber nicht durchgesetzt haben. In der Tat war die erste Reaktion auf die Reformation durch den Walliser Landrat ein Verbot, das in der Folge nicht in Frage gestellt wurde. Die Bedeutung der Reformation in der Landschaft Wallis ist mithin weniger in der unmittelbar positiven Aufnahme reformatorischer Ideen zu suchen, als in der Auseinandersetzung mit und der Reaktion auf das Ereignis Reformation durch die Walliser. Nach einer Beschreibung der politischen Organisationsform der Landschaft Wallis im 16. Jahrhundert ist deshalb Reformation als Ordnungsproblem der politisch verantwortlichen und entscheidenden Instanzen betrachtet und dann Reformation nach gesellschaftlichen, personalen und lokalen Gesichtspunkten Reformation als Glaubensfrage zu rekonstruieren und erklären versucht worden. Durch diese perspektivische Annäherungsweise sollte die Wirkung der Reformation auf die Verfassungsentwicklung und der Einfluss der von kommunalen und republikanischen Grundsätzen geprägten, aber noch "unentschiedenen" Verfassung der Landschaft Wallis auf die Reformation erhellt werden. Quellengrundlage bildeten die Walliser Landratsabschiede sowie edierte Korrespondenzen und Berichte.

 

Die wichtigsten Thesen und Ergebnisse sind im folgenden zusammenfassend dargestellt.

1. Konstitutiv für die politische Organisationsform der Landschaft Wallis im 16. Jahrhundert war die Unentschiedenheit der Verfassung. Bis 1634 unterstand das Wallis nominell der weltlichen Landesherrschaft des Bischofs von Sitten, wenn auch die im Landrat versammelten Delegierten der politischen Einheiten der Landschaft, d.h. der Zenden und Gemeinden, die Politik im 16. Jahrhundert zunehmend allein bestimmten und nach den kommunal geprägten politischen Grundsätzen der Mitverantwortung und Gleichheit ausrichteten. Die Unentschiedenheit in der Verteilung der Macht zwischen dem Bischof und dem Landrat einerseits, zwischen dem Landrat und den Organen der Zenden und Gemeinden andererseits, gehörte zur politischen Praxis im Wallis und bestimmte die Dynamik der Verfassungsentwicklung im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Die Offenheit dieser Konstellation spielte auch im Umgang der politischen Instanzen mit der Reformation eine wichtige Rolle.

2. Auf die Ausgestaltung der Landschaft Wallis wirkte sich die Reformation in zwei hauptsächlichen Hinsichten aus. Sie beeinflusste zum einen die Beziehung zwischen dem bischöflichen Landesfürsten und der Landschaft, zum andern führte sie zu einer Klärung der Kompetenzverteilung zwischen Landrat und den die Landschaft konstituierenden Einheiten.

Nicht die reformatorische Theologie oder die von ihr abgeleiteten kirchenorganisatorischen Konsequenzen sind für die Beschneidung der landesherrlichen Kompetenzen zugunsten der Landschaft verantwortlich zu machen. Vielmehr war es die Reformation als neues Ordnungsproblem, die die geistliche Herrschaft des Bischofs herausforderte und dessen weltliche zu unterminieren half. Der Landrat deutete nämlich den neuen Glauben nicht nur als Gegenpart zum alten Glauben, sondern als zwietracht- und unruhestiftendes Moment. Diese Interpretation begründete eine politische Behandlung der Reformationsfrage als Ordnungsproblem und rechtfertigte die Entscheidung über den neuen Glauben durch die Zenden und Gemeinden. Gleichzeitig schaltete sich die Landschaft mit dem Argument der bischöflichen Inkompetenz in die dem Bischof als dem geistlichen Landesherrn unterstellte Kirchenverfassung und Seelsorge ein. Dadurch verlor der Bischof als Oberhaupt der alten Kirche und Leitfigur in Glaubensfragen an Autorität. Dieser Autoritätsverlust untergrub letztlich auch die weltliche Landesherrschaft des Bischofs.

 

Als Akteur in Sachen Reformation im Wallis trat die gemeinsam handelnde Landschaft auf. Von Anfang an lehnte der Landrat reformatorische Aktivitäten ab und verbot sie. Die Umsetzung dieser Verbote blieb allerdings den einzelnen Zenden und Gemeinden vorbehalten, die sehr unterschiedlich auf den neuen Glauben und die Neugläubigen reagierten. In der Stadt Sitten beispielsweise waren reformatorische Ideen sowohl auf eine breitere Resonanz in der Bevölkerung wie auch auf grössere Toleranz auf Seiten der Zenden- und Gemeindebehörden gestossen als anderswo. In den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts traten zwischen den politischen Einheiten der Landschaft Wallis Uneinigkeiten in bezug auf den Umgang mit dem reformatorischen Glauben auf. Der politischen Führung der Landschaft wurde Nachlässigkeit oder gar unrechtmässiges Handeln hinsichtlich des neuen Glaubens vor-

geworfen. Einzelne Zenden und Gemeinden sahen sich veranlasst, selbst schärfere Massnahmen in die Wege zu leiten - sogar auf die Gefahr hin, gegen im Landrat getroffene Vereinbarungen zu verstossen. Insbesondere der Zenden Gams setzte sich für eine strikte Handhabung der Reformationsverbote ein, bis 1562 der als „Erner-Handel" bezeichnete Konflikt eskalierte und die Separation der Pfarrei Ernen (Teil des Zenden Gams) von der Landschaft drohte. Unter dem Druck der Mehrheit der Zenden und Gemeinden wurde die Pfarrei Ernen 1563 schliesslich zum Nachgeben gezwungen. Die Entscheidung zugunsten der Integrität des Landes und der politischen Macht des Landrates brachte die strittige Frage nach dem angemessenen Umgang mit der Reformation zu einem vorläufigen Abschluss.

In diesen Auseinandersetzungen ging es letztlich auch um die Frage, welche Aufgaben den gemeinsamen Organen der Landschaft zugedacht werden sollten und wie die Kompetenzverteilung und das Verhältnis zwischen der Landschaft und den sie konstituierenden politischen Einheiten zu definieren seien. Der „Sieg der Mehrheit'' im Erner-Handel weist auf eine sich in den kommenden Jahrzehnten deutlicher abzeichnende Kompetenzerweiterung der zentralen Organe der Landschaft hin. Das Ereignis Reformation beeinflusste mithin nicht nur das Verhältnis zwischen Landesherrn und Landschaft, sondern auch die Beziehung zwischen den politischen Einheiten der Landschaft untereinander. Ist dieser Befund zutreffend, kann das Ereignis Reformation als ein Faktor ausgewiesen werden, der die Ausgestaltung der politischen Organisationsform des Wallis im 16. Jahrhundert massgeblich mitbestimmte.

3. Wenn sich auch die reformatorischen Ansätze in der Landschaft Wallis nicht auf bestimmte soziale Gruppen reduzieren lassen, muss doch davon ausgegangen werden, dass die Initialzündung von der literaten, oft auch politisch aktiven Elite ausgegangen ist. Die an evangelischen Ideen interessierte Führungselite hat jedoch eine politische Verwirklichung ihrer Glaubensüberzeugungen nicht zu erzwingen versucht, obwohl das reformatorische Programm zweifelsohne eine Ideologie geboten hätte, um die Beseitigung der weltlichen Herrschaft des Bischofs zu legitimieren. Die traditionelle Auffassung der Walliser Geschichtsschreibung, reformatorische Ideen seien im Kompetenzkonflikt zwischen Landschaft und Bischof instrumentalisiert worden, lässt sich mithin nicht erhärten.

Ungeachtet der im Landrat beschlossenen Verbote manifestierte sich reformatorische Gesinnung oftmals in der Öffentlichkeit und stiess nicht selten auf Gleichgültigkeit oder Toleranz. Eine Erklärung für den relativ grossen Spielraum der am neuen Glauben Interessierten kann darin gesehen werden, dass Reformation in der Landschaft Wallis nicht die scharfen Konturen eines einheitlichen Phänomens hatte und reformatorische Überzeugungen nicht unbedingt als mit dem katholischen Glauben unvereinbare Gegenpositionen verstanden und gelebt wurden. So lässt sich auch erklären, wie die im Wallis vorhandenen lokalen Ansätze sich zwar nie zu einer Massenbewegung steigern konnten, aber doch ein Jahrhundert lang die Geschichte der Landschaft geprägt haben.

 

Mit der Zunahme der Zahl öffentlicher Bekundungen reformatorischer Gesinnung scheint aber im Wallis nicht überall die Toleranz, sondern in manchen Zenden und Gemeinden die Ablehnung reformatorischer Ideen und Aktivitäten gewachsen zu sein. Die sich verstärkende Ablehnung muss allerdings nicht durch die zunehmenden Verlautbarungen reformatorischen Gedankengutes verursacht worden sein. Es ist vielmehr zu vermuten, dass nicht allein religiöse Überzeugungen Grund für eine zu beobachtende Polarisierung zwischen Alt- und Neugläubigen waren, sondern gesellschaftliche und politische Differenzen Konflikte anheizten, denen durch die Glaubensfrage ein religiöses Kleid verliehen wurde. Offenkundig wird dies insbesondere in der Instrumentalisierung von Gerüchten über die reformatorische Gesinnung der politischen Führung. Neugläubigkeit stellte sich als Motiv neben andere Punkte (Unterschlagung, heimliches Paktieren mit fremden Mächten), die dem Bischof, dem Landeshauptmann und dem Landrat "landmärwis" vorgeworfen wurden. Die Art, wie der Landrat auf solche Gerüchte reagierte, zeigt mit aller Deutlichkeit, dass nicht der neue Glaube, sondern die Instrumentalisierung des Neugläubigkeitsvorwurfs als Äusserung von Kritik oder Protest vom Landrat als Problem betrachtet wurde. Nicht der neue Glaube als theologisches Programm stellte die Landschaft Wallis auf die Probe, sondern der Umgang mit diesem neuen Glauben.

Zum Schluss sei nur auf einen der Aspekte hingewiesen, die in der Lizentiatsarbeit unterbeleuchtet blieben. Nicht zufriedenstellend beantwortet wurde die Frage, weshalb sich die Reformation im Wallis nicht durchgesetzt hat. Klar ist, dass weder Unkenntnis reformatorischer Ideen noch Unterdrückung als Erklärungen für die Nicht-Durchsetzung der Reformation in Anschlag gebracht werden können. Eine Erklärung muss mithin eher in den Umständen gesucht werden, die unabhängig vom Ereignis Reformation bzw. bereits vor der Reformation das Leben im Wallis bestimmten. Die für die Durchschlagskraft reformatorischer Ideen im Wallis offenkundig ungünstigen Umstände namhaft zu machen, wäre der nächste Schritt in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Reformation und Republik.

 

Teile dieser Arbeit werden in eine Dissertation einfliessen.

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