Eine wegweisende Untersuchung“. Die Anarchistenuntersuchung von 1885 und der Weg zur ständigen Besetzung der Bundesanwaltschaft 1889

Cognome dell'autore
Reto
Gygax
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Brigitte
Studer
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2005/2006
Abstract

Im Zentrum dieser Arbeit stehen zwei noch heute brisante Themen: Bombendrohungen gegen das Bundeshaus einerseits sowie die Ausgestaltung der politischen Polizei respektive der Bundesanwaltschaft andererseits.

 

Obwohl für die Schweiz vom Anarchismus kaum Gefahr ausging, war dieser im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zunehmend zum Staatsfeind Nr. 1 geworden. So war es nicht erstaunlich, dass die im Januar und Februar 1885 eingegangenen Warnund Drohbriefe den Bundesrat alarmierten. In diesen wurde übereinstimmend die unmittelbar bevorstehende Sprengung des damaligen Bundesratshauses durch eine sich in der Schweiz aufhaltende anarchistische Gruppierung angekündigt. Der Bundesrat berief sofort eine gross angelegte Untersuchung ein. Diese sollte primär das angekündigte Attentat aufklären und sekundär den Stand der anarchistischen Tendenzen und Aktivitäten aufarbeiten. Da die Schweiz damals keinen ständigen Bundesanwalt besass, wurde der Berner Nationalrat Eduard Müller ad hoc einberufen und mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt. Im Anschluss an diese vermeldete Müller einen vollen Erfolg. Die anarchistischen Umtriebe seien durchleuchtet worden und weder die Absicht noch ein Plan zur Durchführung des brieflich angedrohten Attentates habe je bestanden. Alle Briefe seien vom in St. Gallen wohnhaften, deutschen Staatsangehörigen Wilhelm Huft verfasst worden. Wie die Nachforschungen zeigten, handelte es sich jedoch um einen Scheinerfolg: Der Anarchismus war in der Schweiz bereits vor der Untersuchung von Selbstauflösungsanzeichen geprägt gewesen. Und einziger Beweis gegen Huft waren schriftkundliche Gutachten; diesen jedoch muss, wie eine neuerliche Expertise belegen konnte, jegliche Aussagekraft abgesprochen werden. Während also das Ergebnis für den sekundären Teil dürftig ist, wurde für den speziellen Teil eine Person verhaftet, gegen die keinerlei haltbare Beweise vorlagen und die noch in Untersuchungshaft Suizid beging. Zudem war das Untersuchungsergebnis dafür verantwortlich, dass der Anarchismus in der Schweiz klare Konturen bekam und endgültig zu einem Feindbild mutierte.

 

Die Resultate der Anarchistenuntersuchung sollten für die Ausgestaltung der eidgenössischen politischen Polizei bis 1889 wegweisenden Charakter erlangen. 

 

Ab Anfang 1888 kam die Schweiz in der latent schwelenden Frage um die Reorganisation der eigenen politischen Polizei kaum mehr zur Ruhe. Die eidgenössische Regierung wurde in der Folge aufgrund von persönlich motivierten Einzelaktionen von subalternen Polizeifunktionären zweimal vor vollendete Tatsachen gestellt und hatte anschliessend die Konsequenzen zu bewältigen. Aber nicht nur die Frage der Organisation der eigenen, sondern auch die Gebärden der ausländischen politischen Polizei auf Schweizer Boden beschäftigten die Eidgenossenschaft. Das Deutsche Reich nahm im Kampf gegen die eigenen Sozialisten wenig Rücksicht auf die territoriale Integrität der Eidgenossenschaft und stellte nicht nur Nachforschungen an, sondern liess auch bezahlte Lockspitzel in der Schweiz agitieren. Als sich der bilaterale Konflikt zuspitzte, stellte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck gar die Neutralität der Schweiz in Frage, was grosse Empörung auslöste.

 

Der Bundesrat geriet unter Zugzwang. Im März 1888 konnte der Organisationsgrad der politischen Polizei dank einer massiven Aufstockung der finanziellen Mittel erhöht werden. Auch das konfidentielle Kreisschreiben vom Mai 1888 zielte in dieselbe Richtung und war der logische nächste Schritt. Am 25. Juni 1889 schliesslich wurde das

 

„Bundesgesetz über die Bundesanwaltschaft“ verabschiedet. Damit kam die gesetzliche und organisatorische Entwicklung der nationalen politischen Polizei zu einem vorläufigen Ende.

 

Die in diesem Bereich vollzogene Reorganisation muss primär als eine Reaktion auf internationalen, d.h. deutschen Druck gesehen und als Konzession gewertet werden. Sekundär ermöglichte die zunehmende Straffung der politischen Polizei eine klarere Abgrenzung der kantonalen Kompetenzen von denjenigen des Bundes. Tertiär wurde dadurch auch ermöglicht, der inzwischen erstarkten Sozialdemokratie mit einer griffigen Institution entgegenzutreten und somit innenpolitischen Druck zu entkräften.

 

Die legitimatorische Basis für die Neugestaltung und Zentralisierung der politischen Polizei in den Jahren 1888 und 1889 bildeten der vermeintliche ErfolgunddieSchlussfolgerungenderAnarchistenuntersuchung. Diese waren die Referenzpunkte, um auf die Notwendigkeit einer schlagkräftigen politischen Polizei und die Effektivität bundesanwaltschaftlicher Tätigkeit zu verweisen. Wenn die Untersuchung als der Misserfolg wahrgenommen worden wäre, den sie eigentlich darstellte, wären die Reorganisationen und die ständige Besetzung der Bundesanwaltschaft 1889 kaum möglich gewesen.

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