Bund, Kantone, Impfgegner. Der Diskurs über die Pockenschutzimpfung 1882-1948

Cognome dell'autore
Stefan
Fuchs
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Brigitte
Studer
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2005/2006
Abstract

Am 8. Mai 1980 verkündete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausrottung der Pocken. Eine global angelegte Impfkampagne hatte nach Jahrzehnten zum Erfolg geführt. In der Schweiz traten die Pocken 1932 zum letzten Mal auf, die weltweit letzte Pockenerkrankung wurde 1977 aus Somalia gemeldet. Seither existiert das Pockenvirus offiziell nur noch in zwei Hochsicherheitslabors in Russland und den USA. In den letzten Jahren erlebte es indes als mögliche biologische Waffe sein vielleicht fantasmagorisches Comeback.

 

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren die Pocken in Europa endemisch verbreitet. Von den jährlich schätzungsweise 400’000 Toten lag das Alter bei 95% der Opfer unter zehn Jahren. Kinder wurden oftmals erst nach überstandener Krankheit zur Familie gezählt. Nicht nur die hohe Sterblichkeit machte den Menschen Angst, ebenso gefürchtet waren die kraterartigen tiefen Pockennarben, die einen Menschen lebenslang entstellen. Auch im kollektiven Gedächtnis konnten die Pocken ihre Spuren hinterlassen. „Es blattert sich in der Stadt“ war eine geläufige Redewendung. Obszöner Sprachgebrauch und Lügen wurden als „geistliche Blattern“ bezeichnet.

 

Ausgangspunkt der Lizentiatsarbeit bildete das am 30. Juli 1882 von 78.9% der Stimmbeteiligten an der Urne verworfene Eidgenössische Epidemiengesetz. Die Gründe, die gegen die Pockenschutzimpfung ins Feld geführt wurden, waren vielfältig und reichten von „Impfschaden“ über „Tierquälerei“ und „Verletzung der körperlichen Integrität“ bis hin zu „Gotteslästerung“. Weder dem Bundesrat noch der Ärzteschaft gelang es, die Mehrheit der Bürger hinter sich zu scharen. Anders als im ebenfalls eine starke Impfgegnerschaft aufweisenden Deutschland, konnten die Impfgegner in der Schweiz sowohl auf Kantonswie auf Bundesebene dank den Instrumenten der direkten Demokratie konkreten politischen Einfluss ausüben. Wie zahlreiche Dokumente aus dem Schweizerischen Bundesarchiv und dem Staatsarchiv des Kantons Bern belegen, galten die Impfgegner als referendumsfähig und wurden von den Regierungen dementsprechend ernst genommen. Im Bezug auf Ausrichtung, Zahl der Mitglieder, Aktivitäten und Unterstützung aus der Bevölkerung existierten beträchtliche kantonale Unterschiede unter den impfkritischen Organisationen.

 

Im Zentrum der Untersuchung stand die Auseinandersetzung mit den am Impfdiskurs beteiligten institutionellen und organisierten Akteuren (Bund, Kantone, Impfgegner) und ihren Argumenten. Um ein möglichst umfassendes und stratifiziertes Bild über die Akteure zu erhalten, wurden sowohl Interaktionen gegen aussen wie interne Strukturen analysiert. Dabei rückte die Frage, inwiefern die Akteure den Diskurs über das Impfobligatorium prägten und beeinflussten, in den Vordergrund. Nach dem einführenden Kapitel zum Pockenvirus und zum Krankheitsbild werden in Kapitel 3 die am Impfdiskurs beteiligten Akteure vorgestellt und ihre Entstehungsgeschichten, Organisationsformen, Aktivitäten und Ziele skizziert. Bei den Akteuren handelte es sich um das Eidgenössische Gesundheitsamt, stellvertretend für den Bund, die Sanitätsdirektorenkonferenz, stellvertretend für die Kantone sowie die Schweizerische Vereinigung der Impfzwanggegner und den Verein gegen die Vivisektion und zum Schutze der Tiere, stellvertretend für die Impfgegner. In den nachfolgenden Kapiteln die legislatorische Entwicklung (Kapitel 4), die politischen und medizinischen Aspekte der Pockenepidemie von 1921 – 1926 (Kapitel 5) und schliesslich der Weg zur Einführung des Pockenimpfobligatoriums im Zweiten Weltkrieg und seine gesundheitlichen und politisch-rechtlichen Effekte (Kapitel 6) rekonstruiert.

 

In der Arbeit fanden sowohl historisch-kritische wie auch sozialwissenschaftlich-analytische Methoden ihren Niederschlag. Der Verfasser orientierte sich dabei an Reinhard Rürups Postulat, wonach Geschichtswissenschaft zumindest auch historische Sozialwissenschaft zu sein hat, da sie um ihrer eigenen Aufgaben willen auf das Forschungsinstrumentarium der benachbarten Sozialwissenschaften nicht verzichten kann. Das theoretische Fundament bildete das Konzept der Biopolitik des französischen Philosophen und Historikers Michel Foucault. Foucault nahm in seinen Vorlesungen am Collège de France 1976 sowie im ersten Band von „Sexualität und Wahrheit“ eine historisch-analytische Abgrenzung unterschiedlicher Machtmechanismen vor und stellte der Souveränitätsmacht den Mechanismus einer neuartigen Biomacht gegenüber.

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