Liebe als Gefahr für die nationale Einheit. Verbotene Beziehungen zwischen Schweizerinnen und italienischen Internierten im Spiegel heerespolizeilicher Protokolle 1943-1945

Cognome dell'autore
Ursula
Wernly Fergui
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Marina
Cattaruzza
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2002/2003
Abstract

Am 1. November 1941 erliess das Eidgenössische Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung EKIH den so genannten „Orangen Befehl“, der Beziehungen zwischen Internierten und der Zivilbevölkerung stark einschränkte und unter Punkt vier die Ehe sowie auf eine solche hinzielende Beziehungen zwischen Internierten und Schweizerinnen sogar verbot. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass fremde Männer den Schweizern während ihrer Abwesenheit die Frauen „wegnahmen“ und anschliessend fremde Werte und Normen in die Gesellschaft hineintrugen. Der Geschlechtsakt des Internierten mit der Schweizerin war demnach Symbol für das „Eindringen“ fremden Gedankenguts in diese. Die Frau, die dem Staat gegenüber als unloyal galt, keine politischen Rechte genoss und ihre Werte und Normen ganz denjenigen ihres Ehemannes zu unterstellen hatte, galt als wunder Punkt der Gesellschaft und musste deshalb vor den fremden Eindringlingen „geschützt“ werden. Vielmehr als den Schutz der Schweizerinnen beabsichtigte der „Orange Befehl“ und mit ihm das Heiratsverbot für Schweizerinnen und Internierte jedoch die Bewahrung der Homogenität von Gesellschaft und Familie.

 

Nach der Internierung von Polen und Franzosen bei Kriegsbeginn stellten in den letzten beiden Kriegsjahren die rund 30'000 Italiener den grössten Anteil an Internierten dar. Bei der massenhaften Einreise italienischer Internierter in die Schweiz nach dem Sturz Mussolinis und dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten im September 1943 wurde das Internierungswesen neu organisiert. Die Italiener ersetzten vor allem in der Landwirtschaft die sich im Aktivdienst befindlichen Schweizer Männer und kamen so zwangsläufig in engen Kontakt zur Schweizer Zivilbevölkerung. Während die meisten in Internierungslagern untergebracht waren, wohnten und arbeiteten einige im so genannten Einzeleinsatz direkt bei ihrem Arbeitgeber. So entstanden zwischen Internierten und einheimischen Frauen trotz des Beziehungsverbots zahlreiche Liebesbeziehungen.

 

Die Lizentiatsarbeit untersucht anhand von heerespolizeilichen Verhören betroffener Paare, welche als Protokolle in den Personaldossiers der Internierten im Schweizerischen Bundesarchiv vorhanden sind, wie die Heerespolizei den „Orangen Befehl“ in den verschiedenen Internierungsgebieten durchsetzte. In den rund 17'000 Dossiers konnten gegen 350 „verbotene Beziehungen“ nachgewiesen und mit Hilfe einer Datenbank im gesamtschweizerischen Vergleich ausgewertet werden. Zusätzlich wurden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen befragt und anschliessend die qualitative Auswertung der Interviews der statistischen Auswertung der heerespolizeilichen Protokolle gegenübergestellt.

 

Die Arbeit kommt zum Schluss, dass die Behörden mit dem Heiratsverbot Hierarchien zu verfestigen und entlang der Linien von „Rasse“ und Geschlecht Unterschiede zu manifestieren suchten. Die Umsetzung des „Orangen Befehls“ durch die Heerespolizei zeigte jedoch, dass insbesondere in Vaterschaftsfällen regelmässig von den Bestimmungen abgewichen werden musste, wenn sich die Behörden nicht die Schuld am Schicksal zahlreicher unehelicher Kinder aufladen wollten. Zudem ging es auch darum, die Väter der unehelichen Kinder finanziell zur Verantwortung zu ziehen. Die Erteilung von Heiratsbewilligungen trotz bestehendem Heiratsverbot wurde gegen Kriegsende zur Regel und machte die vierte Bestimmung des „Orangen Befehls“ obsolet. Dennoch wies die oberste Führung des EKIH einen Änderungsantrag der Basis zurück und hielt bis Kriegsende am ursprünglichen Befehl fest.

 

In der nachträglichen Beurteilung des „Orangen Befehls“ durch verschiedene Beamte des EKIH kam eindeutig zum Ausdruck, dass das Eheverbot für Internierte und Schweizerinnen unmöglich konsequent durchgesetzt werden konnte. Die willkürlichen Bestrafungen der Betroffenen durch die Heerespolizei widerspiegeln zudem die durch den Befehl entstandene Rechtsunsicherheit, vor allem aber die Diskrepanz zwischen den Interessen der obersten Führung und der Umsetzbarkeit der Bestimmungen an der Basis des EKIH. Während auf der Ebene der Führung vorwiegend rassenpolitische Gründe zum Erlass des „Orangen Befehls“ geführt hatten, waren bei der Basis eindeutig frauenfeindliche Argumente vorherrschend. Viele Heerespolizisten konnten sich als Männer mit den Internierten identifizieren und brachten für deren sexuellen Trieb durchaus Verständnis auf, während sie dagegen von den Frauen sexuelle Zurückhaltung und moralische Stärke erwarteten.

 

Auf der Ebene der Zivilbevölkerung und der Kirche wurde die Parallelität zwischen den Grenzen des Geschlechts und denjenigen der Gesellschaft am deutlichsten sichtbar: Um die eigene Familie respektive die eigene Dorfgemeinschaft vor fremden Eindringlingen zu schützen, wurde nicht nur der Fremde, sondern gleichzeitig die eigene Tochter, die Nachbarin oder die Angestellte bei der Polizei angezeigt. Die Liebesbeziehungen wurden als Gefahr für das Fortbestehen der traditionellen Gesellschaftsstrukturen wahrgenommen und die Schuld daran trug die Frau, über die das Fremde in die Gesellschaft eindrang. Diese Verschränkung von gesellschaftlicher und geschlechtlicher Ebene bildete auch hier tatsächlich die Grundlage für eine soziale Stabilität von Rassismus, wie er in den Äusserungen von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von Behörden oder der Kirche teilweise latent, teilweise aber auch sehr deutlich vorhanden war.

Accesso al lavoro

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