Der Generalstreik, die SPD und die Internationale. Diskussion eines umstrittenen Themas in der Zeit der Sozialistischen Internationale

Cognome dell'autore
Anita
Fries
Tipo di ricerca
Tesi di laurea
Stato
abgeschlossen/terminé
Cognome del docente
Prof.
Marina
Cattaruzza
Istituzione
Historisches Institut
Luogo
Bern
Anno
2002/2003
Abstract

Mit der Entscheidung vom 4. August 1914, der Zustimmung zu den Kriegskrediten, schlug sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands auf die Seite des Deutschen Reiches und entschied sich gegen die eigenen ursprünglichen Theorien, zu denen beispielsweise die grundsätzliche Oppositionsrolle zu Regierung, Staat und bürgerlicher Gesellschaft gehörte, aber auch gegen jene der Sozialistischen Internationalen. Die Zustimmung zu den Kriegskrediten und der Burgfrieden passten sicherlich zu der Stimmung in der sozialdemokratischen Parteibasis, war doch seit der erhöhten Kriegsgefahr ein auffallender Stimmungsumbruch feststellbar: Der Pazifismus schlug um in patriotischen Verteidigungsenthusiasmus. Aber auch auf politischer Ebene hatten sich die Verhältnisse in Deutschland stark verändert, die Sozialdemokratie war an der Regierung beteiligt und konnte die ihr entsprechende Stellung im Reichstag einnehmen.

 

Wie kam es nun zu diesem Wandel in der Haltung der SPD? Inwiefern liessen sich innerhalb der SPD hinsichtlich ihrer Einstellung zum Generalstreik Entwicklungen und Merkmale erkennen, welche schon früh auf ihr Verhalten bei Kriegsausbruch hinwiesen? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden die von der SPD herausgegebenen Protokolle der Kongresse der Sozialistischen Internationale und der „Vorwärts“, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, in der Zeit vom 15. Juni bis 15. August 1914 analysiert.

 

Stark geprägt und strukturiert wurden die Meinungen hinsichtlich der Aufgaben der Sozialdemokratie bei Kriegsausbruch von der Sozialistischen Internationale, der 1889 gegründeten Vereinigung der sozialdemokratischen Organisationen. Die Internationale machte für die Verschärfung der weltweiten Lage zwar den Imperialismus verantwortlich, der Untersuchung der Hintergründe für die Entwicklungen in der kapitalistischen Gesellschaft mass sie allerdings geringe Bedeutung bei. Die einzelnen Mitgliederparteien der Internationale mussten unter verschiedensten Bedingungen agieren und konnten sich nicht genügend in die Situation anderer sozialistischer Parteien eindenken. Die Debatten an den Kongressen zeigten denn auch, dass die Internationale in theoretischer wie auch in praktischer Hinsicht nicht fähig war, ein Programm zu lancieren, welches ihr in der internationalen Politik als einheitliche Richtlinie hätte dienen können. Diese Unfähigkeit zur Schaffung eines Konsenses verdeutlichte sich nicht zuletzt in der Frage des Generalstreiks.

 

Gerade für die SPD war diese Frage in zweierlei Hinsicht ein grosses Problem: Insbesondere die SPD-Funktionäre litten erstens, wohl in Erinnerung an das Sozialistengesetz (1878–1890), unter den stets angedrohten Sanktionen von Seiten der Regierung und des Militärs. Regierung und Wilhelm II. bezeichneten die Sozialdemokraten als „Vaterlandsfeinde“ und „Reichsverräter“, was die Parteileitung einerseits zur Vorsicht in der Zusammenarbeit mit der Internationale zwang, andererseits aber ihre Kooperation gegenüber der Regierung des Deutschen Reiches förderte. Überhaupt war zweitens die (Weiter-)Entwicklung des nationalistischen Denkens in zunehmendem Masse ein Hindernis für die internationale Agitation der Sozialdemokratie. Die Ablehnung von internationalen Übereinkünften war daher aus Sicht der SPD folgerichtig: Wichtig war ihren Funktionären nämlich, das Überleben der eigenen Organisation sichern und garantieren zu können. Dadurch wird verständlich, weshalb sich SPD-Vertreter an den Kongressen der Internationale nicht auf den Generalstreik als politisches Mittel festlegen, sondern nur allgemein gehaltene Formulierungen in die Resolutionen einbauen wollten. Im Weiteren war es aus wahltaktischen Gründen wichtig, nicht als „Vaterlandsfeinde“ zu gelten. Dies hatten die „Hottentottenwahlen“ von 1907, die mit einer erdrückenden Niederlage der SPD endeten, eindrücklich bewiesen. Für die SPD war es notwendig, einen gewissen Patriotismus beweisen zu können, weswegen sie vor allem die Zusammenarbeit mit der Internationale minimieren musste. Forderungen, wie es jene der Ausrufung des Generalstreiks im Kriegsfall war, mussten also energisch verhindert werden.

 

Ein weiteres Element, welches die Haltung der SPD gegenüber dem Generalstreik verständlich macht, waren ihre fehlenden aussenpolitischen Handlungsmöglichkeiten. Als Folge davon war die Partei nämlich gezwungen, sich auf innenpolitische Belange zu konzentrieren und aussenpolitische Aspekte nur mangelhaft, beispielsweise durch Kontakte zu Diplomaten, in ihre Parteiarbeit einzubeziehen. Mangelndes Verständnis veranlasste die SPD überdies, aussenpolitische Aktionen der deutschen Regierung als Ablenkungsmanöver von innenpolitischen Schwierigkeiten zu verstehen und konkrete Anzeichen für die Zuspitzung der weltpolitischen Lage nicht als Gefahr eines Kriegsausbruchs aufzufassen. Die SPD reagierte daher auf solche Anzeichen nicht mit eindeutigen Forderungen und Appellen, im Gegenteil: Sie lehnte den Generalstreik weiterhin konsequent ab und begnügte sich in der Internationale mit Resolutionen, welche nur wenig konkrete Forderungen enthielten. Dieses Verhalten hatte aber auch einen weiteren Grund: Mit jeder Krise, die durch internationale Zusammenarbeit und Vermittlung verhindert oder lokal begrenzt gehalten werden konnte, wuchs das Vertrauen der Führungsspitze der SPD in die Politik, so dass ein Ausbruch eines Krieges als stets unrealistischer erschien.

 

Das Verhalten der SPD bei Kriegsausbruch war die Folge fortwährender Entwicklungen. Die undeutliche und unentschlossene Haltung der SPD-Funktionäre verunmöglichte bei und vor dem Kriegsausbruch eine konsequente, friedensbewahrende Politik und Aktionen, in welche auch die Parteibasis verstärkt hätte integriert werden können.

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