Verantwortung: Juri Auderset / Peter Moser
Referate: Andreas Wigger / Brigitte Semanek / Martin Lüpold
Kommentar: Sara Müller
Filme haben für die geschichtswissenschaftliche Forschung einen Doppelcharakter, eröffnete PETER MOSER (Bern), der das Panel in Co-Leitung mit JURI AUDERSET (Bern) leitete, das Panel: Filme stellen ein Vermittlungsinstrument und dadurch auch ein vielfältiges Quellenmaterial dar. Filmisches Material zeige häufig ansonsten unsichtbare Themen des Alltags in einer enormen Bandbreite. Dieses Panel fokussierte sich auf zeitgenössische Filme mit Agrar- oder Umweltbezug. Unabhängig der gewählten Thematik versteckten sich grosse Mengen unkuratierter Aufnahmen in den Tiefen von Archiven und würden nur eher vereinzelt wieder erschlossen.1
Für ANDREAS WIGGER (Bern) zeigen Filme als Quelle nicht nur, was nicht verschriftlicht wurde, sondern sie seien in Bezug auf arbeitende Tiere auch eine Überrestquelle. Die Tätigkeiten der Tiere standen nicht im Fokus des Films, sondern seien vielmehr beiläufig eingefangen worden und zeigen damit implizit zeitgenössische Erzählnarrative über Tiere auf. Die Filmemachenden konzentrierten sich auf die Menschen oder Maschinen, Tiere arbeiteten aber häufig mit. Gerade das Medium Film bedürfe aber einer ausgiebigen Quellenkritik: Die abgebildeten Inhalte eines Films seien meist gestellte und dadurch verzerrte Szenen einer vermeintlichen Realität. Eindrücklich demonstrierte Wigger auch die unsichtbare, aber unüberhörbare Beeinflussung durch Hintergrundmusik. Passend zum Konferenzthema mache Film als Überrestquelle auch ansonsten eher unsichtbare Gruppen sichtbar, nebst Tieren auch Frauen in der Landwirtschaft, Kinder, Knechte, etc.
Wigger sieht jedoch auch einen Quellencharakter in vermittelnden Filmen: arbeitende Tiere seien in Erzählmotive eingebettet. Filme beeinflussen, wie die arbeitenden Tiere wahrgenommen wurden. Zunächst von einer koexistierenden Persistenz von Maschine und Tier geprägt, gerieten die positiv konnotierten Narrative über Arbeitstiere ab den 1960er Jahren unter Druck. Im Zuge von Modernisierungs- und Mechanisierungsprozessen aktiv als umständlich und überholt inszeniert, und mit filmischen Mitteln wie Schnitt und Ton ins Lächerliche gezogen, änderte sich das bisherige Erzählmotiv. Anhand der relativen Häufigkeit von Tieren in Filmen, schloss Wigger, seien Tiere doch wichtiger als in den Narrativen der Fortschrittsinszenierung dargestellt. Ein Grund mehr, Filme äusserst quellenkritisch zu betrachten.
Videoessays, ein Zusammenschnitt von (audio)visuellen Quellen und wissenschaftlich fundierten analytischen Kommentaren und Thesen, können eine sinnvolle Ergänzung für die historische Forschung darstellen.2 Gleichzeitig könne so ein grösseres und nicht fachwissenschaftliches Publikum angesprochen werden. Dennoch aber müsse, plädierte Wigger, in der Bildung explizit die audiovisuelle Quellenkritik gestärkt werden.
Mit Fokus auf privat aufgenommenes Amateurfilmmaterial lassen sich nach BRIGITTE SEMANEK (St. Pölten) besonders Transformationsprozesse nachverfolgen. Sie stützte sich dabei auf eine aus über 70’000 Filmen bestehende Sammlung.3 Verschiedene der Aufnahmen bieten Einblicke in Feste, Mensch-Tier-Beziehungen, Landwirtschaftsmessen, etc. Mit diesen diversen Perspektiven liessen sich auch besonders die sonst nicht festhaltbaren und damit unsichtbaren landwirtschaftlichen Transformationsprozesse rekonstruieren. Die enorme Produktionssteigerung der Landwirtschaft ab den 1950er bis zu den 1970er Jahre spiegele sich so in der aufkommenden Massentierhaltung und fortlaufenden Industrialisierung der Landwirtschaft wider. Besonders auffällig werde dies auch im Hinblick auf eine früh beginnende Computerisierung der Landwirtschaft.
Die filmenden Personen waren nach Semanek regelmässig auch Frauen vom Land, welche ihren Alltag festhielten. Das dürfe jedoch nicht über die eher traditionellen Inhalte der Filme hinwegtäuschen. ‹Gegen den Strich geschaute› Amateurfilme erlauben aber dennoch serielle wie auch individuelle Analysen im europäischen Kontext: Wandel in der Agrarwirtschaft, Stereotypen, Inklusions- und Exklusionsprozesse, aber auch Lücken und besonders intensiv behandelte Themen eröffnen vielfältige Herangehensweisen. Ein kritischer Umgang ist aufgrund der häufig unklaren Hintergründe der Filmemachenden geboten. Abschliessend wies sie darauf hin, was in Zukunft mit der Flut von digitalen Videos auf die historische Forschung zukommen wird.
Auf professionell hergestellte Filmbestände griff derweil MARTIN LÜPOLD (Basel) zurück. Er analysierte Werbefilme der Aluminiumindustrie und testete hierbei die Funktionalität von spezifischer künstlicher Intelligenz (KI)4. Auch widmete er sich der Frage, ob und wie Industriefilme als Quelle und neue Perspektiven für die historische Forschung in Frage kommen. Der Informationswert von Industriefilmen, merkte Lüpold gleich zu Beginn an, sei fragwürdig. Gerade bei solchen Gebrauchsfilmen im Dienst der Wirtschaft sei eine nutzenoptimierte Inszenierung offensichtlich. Von der Produktion über die Distribution bis hin zu der Rezeption sei der Film stets geprägt von einer ökonomischen oder technikaffirmativen Logik.5
Lüpold fragte daher mehr, was sich zwischen den Zeilen lesen lässt. Für einen effizienten Zugang zu einem umfangreichen Korpus seien sogenannte Sequenzprotokolle, bestehend aus Stichwortbeschreibungen, entscheidend. Erst dadurch würden die jeweiligen Inhalte eines Filmes systematisch auffindbar. Um eine solche Systematik zu erstellen, testete Lüpold die Funktionsweise einer KI zur Generierung der Stichwortbeschreibungen zu den jeweiligen Bildinhalten. Sein Fazit fiel ernüchternd aus: Die Leistungen der spezifischen KI seien derzeit ungenügend. Besonders gravierend scheint einerseits die Unfähigkeit der KI, Schrift innerhalb des Filmes zu entziffern, exemplarisch verwechselte sie das Wort «Aluminium» mit «The Mummy». Anderseits erfindet die KI Umweltproblematiken und glaubt Farbe in monochromen Filmmaterial zu entdecken – nach Lüpold werden damit die einseitigen Trainingsdaten problematisch sichtbar. Die KI erkenne nur, was sie schon wisse. Inhalte selbst erschliessen könne sie, zumindest in dieser Version, nicht.
SARA MÜLLER (Zürich) griff in ihrem Kommentar erneut die zentrale Frage dieses Panels auf: Filme dienen als Quelle ebenso wie Kommunikationsmedium. Sie betonte die erst seit den 1990er Jahren aufkommende Bedeutung von Bild- und Filmmaterial im Zuge des kulturwissenschaftlichen Visual Turns. Aber auch sie plädierte für eine umfassend quellenkritische Herangehensweise, dabei legte sie besondere Aufmerksamkeit auf performierte Machtsymmetrien und Analysen von auditiven Teilen des Films. Im Hinblick auf das Vermittlungspotential von Filmen für die Geschichtswissenschaft erinnerte sie auch daran, dass die Historiographie nicht nur erschliessen und forschen, sondern auch vermitteln solle – mitunter mit dem Medium Film. Abschliessend warnte sie auch vor einer kapitalgesteuerten selektiven Digitalisierung, die Ungleichheiten reproduziere, verstärke oder gar generiere.
Anmerkungen
1 Um dem entgegenzuwirken, betreibt das Archiv für Agrargeschichte eine Datenbank mit Metadaten zu mehreren tausend Filmen und bietet diese teilweise auch als Digitalisate an: <https://www.histoirerurale.ch/afa/index.php/de/films-de/>.
2 Solche Videoessays befinden sich auch in der Datenbank des Archivs für Agrargeschichte, siehe FN 1.
3 Amateursammlung «Niederösterreich privat», in: Institut für Geschichte des ländlichen Raums: <https://www.ruralhistory.at/de/projekte/seit-2022/katalogisierung-der-amateurfilmsammlung-niederoesterreich-privat>.
4 Lüpold verwendet die KI vitrivr von Archipanion, <https://www.archipanion.com/de/>.
5 Lüpold orientiert sich hier stark an Yvonne Zimmermann sowie Manfred Rasch.
Panelübersicht
Andreas Wigger: Bewegende Tiere auf bewegten Bildern. Filme als Quellen und Vermittlungsformat zur Geschichte der arbeitenden Tiere
Brigitte Semanek: Bananen im Heu. Landwirtschaftliche Transformationsprozesse im Spiegel der Amateurfilmsammlung «Niederösterreich privat» (1950er bis 1980er Jahre)
Martin Lüpold: Industriefilme in der Multi-Perspektive
Sara Müller: Kommentar