(Un-)Sichtbare Gletscher. Gletscherbilder als Fenster zur Vergangenheit und Zukunft für die Klima- und Tourismusgeschichte

Author of the report
Ana-Maria
Jürgens
Universität Zürich
Citation: Jürgens, Ana-Maria: (Un-)Sichtbare Gletscher. Gletscherbilder als Fenster zur Vergangenheit und Zukunft für die Klima- und Tourismusgeschichte, infoclio.ch Tagungsberichte, 05.09.2025. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0383>, Stand: 13.09.2025

Verantwortung: Christian Rohr / Heinz J. Zumbühl

Referierende: Samuel Nussbaumer / Christian Rohr / Isabel Vollmer

 

PDF-Version des Berichts

 

HEINZ J. ZUMBÜHL (Bern) führte das Panel mit einem Rückgriff auf seine eigene Studien- und Dok­toratszeit ein. Sein Interesse für die Landschaftsmalerei sei der Anstoss für seine Dissertation ge­wesen, in der er die Vor- und Rückstossaktivität des unteren Grindelwaldgletschers vom 12.–19. Jahr­hundert anhand von historischen und kunsthistorischen Quellen untersuchte. Anschliessend daran fragten auch die Vorträge des Panels danach, wie Fotografien und Gemälde als Quellen für klimati­sche Veränderungen ausgewertet werden können.

Die Vereinten Nationen, so eröffnete SAMUEL NUSSBAUMER (Zürich) seinen Vortrag, haben das Jahr 2025 zum internationalen Jahr der Erhaltung der Gletscher ausgerufen. Als Ausgangspunkt formu­lierte Nussbaumer die Definition, dass ein Gletscher ein dynamisches Gebilde sei. Ziel des Vortrags sei es deshalb zu zeigen, welchen Stellenwert historische und kunsthistorische Quellen (Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und schriftliche Quellen) in der Glaziologie einnehmen und wie wichtig dementsprechend eine interdisziplinäre Gletscherforschung ist. Um ein Kunstobjekt als valide Da­tengrundlage zu verwenden, müssten drei Bedingungen erfüllt sein: das Gelände müsse realistisch wiedergegeben sein, ausserdem müssten der genaue Standort des Künstlers im Gelände sowie die Datierung bekannt oder ermittelbar sein. Zu den ältesten Gletscherdarstellungen gehöre die aqua­rellierte Federzeichnung des Vernagtferner (1601), die die Vorstossaktivität des Gletschers zeige. Die älteste Darstellung des Rhonegletscher die durch den Naturforscher Jakob Scheuchzer (1672–1733) überliefert ist, sei das erste Beispiel für eine Zusammenarbeit von Naturwissenschaft und Kunst. Auch der Maler Caspar Wolf ist bekannt für seine naturalistischen Darstellungen, wie etwa für das Ölgemälde des Rhonegletschers (1778). Wolf wurde auf seinen Expeditionen von den Naturforschern Samuel Wyttenbach und Albrecht von Haller begleitet, die ihm die glaziologischen Phänomene erklärt haben. Auch die Werke des Künstler Jean-Antoine Linck (1766–1843) zeichnen sich durch einen hohen Grad an Präzision aus, darunter beispielsweise seine Darstellungen des Mer de Glace, die die Rück­zugsaktivität des Gletschers am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert dokumentieren, womit Linck die Grundlage für das Gletschermonitoring gelegt habe. Anhand dieser Gletscherdarstellungen kön­nen Gletschervorstösse und -rückgänge seit dem 16. Jahrhundert bis heute verfolgt werden, wobei sich seit dem 19. Jahrhundert und insbesondere ab 1990 ein grosser Rückgang der Gletschermasse in der Schweiz feststellen lasse. Dies habe sowohl regionale als auch globale Auswirkungen, darunter der Anstieg des Meeresspiegels, Wasserressourcenknappheit sowie der Anstieg von Naturgefahren.

CHRISTIAN ROHR (Bern) erläuterte in seinem Referat die These, dass der Gletscherblick für den Inf­rastrukturausbau in den Alpen zentral gewesen sei. Seit dem Mittelalter habe sich der Blick auf die Alpen und somit auch auf die Gletscher von etwas Schrecklichem zu etwas Erhabenem gewandelt. Die Alpen seien zunächst ein beliebtes Tourismusziel des Adels und des gehobenen Bürgertums ge­wesen. Erst ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts habe sich der Alpentourismus zu einem Mas­senphänomen entwickelt. Damit sei ein rasanter Ausbau der Bahninfrastruktur einhergegangen, wie sich anhand von Plakatwerbungen der Eisenbahngesellschaften zeigen lasse. So bedienen die Wer­beplakate des Künstlers Anton Reckziegel (1865–1936) die Sehnsüchte des Grossbürgertums durch die Darstellung einer idealisierten Hochgebirgslandschaft, in welcher die Bergbahn bewusst in Szene gesetzt wird. Wichtige Quellen seien ausserdem Konzessionsgesuche, darunter für die Berninabahn. Bereits das Konzessionsgesuch von 1899, aber auch das von 1906 zeige, dass Tourismus und Glet­scherblick beim Ausbau im Vordergrund standen, was der aufwendige Bau von Lawinenschutzwän­den und die serpentinenartige Streckenführung illustriere. Ab 1910 sei der Gletscherblick zum zent­ralen Werbesujet geworden, wie Postkarten aus diesem Jahr zeigen. Offen bleibe, so Rohr abschlies­send, wie sich die zunehmende «Unsichtbarkeit» der Gletscher auf den alpinen Tourismus auswir­ken werde.

ISABEL VOLLMER (Bern) betrachtete in ihrem Vortrag den kommerziellen Gletschereisabbau in Grin­delwald anhand von fotografischen und schriftlichen Zeugnissen und nahm sowohl Beginn und Ab­lauf des Geschäfts, Handel und Transport als auch den Niedergang des Gewerbes in den Blick. Die Forschung habe bisher, so Vollmer, den Eisabbau im Grindelwald nur marginal thematisiert. Statt­dessen standen grössere Eisabbaugebiete wie die in Glarus im Fokus. In Grindelwald wurde das Eis zunächst am unteren Grindelwaldgletscher abgebaut, da die Eisenmassen dort leichter zugänglich waren. Am oberen Grindelwaldgletscher begann der Eisabbau erst im 19. Jahrhundert. Der Beginn des Gewerbes lasse sich mit Konzessionsgesuchen greifen: Am 16. April 1872 reichte Rudolf Bohren-Ritschard ein Gesuch für den Abbau von Gletschereis ein, das auf kommunaler Ebene zu einer De­batte führte, wer überhaupt zum Abbau von Gletschereis befugt sei. 1920 wurde von der Bergschaft Scheidegg ebenfalls ein solches Gesuch eingereicht, das allerdings die Befürchtung auslöste, dass der Gletscherblick als Tourismusattraktion unter den Eisabbautätigkeiten leiden würde. Weder zu Beginn noch gegen Ende des Gewerbes, so Vollmer, spielten Fragen der Nachhaltigkeit bei der Vergabe der Konzessionen eine Rolle. Anhand von Fotografien aus dem Jahr 1897 zeigte sie ausser­dem, dass der Eisabbau tiefgreifende Folgen für den Gletscher hatte. Darauf sind tiefe Rillen in der Gletschermasse zu sehen, die durch den Einsatz von Gletscherzangen und Dynamit zustande gekom­men seien. Das Eis aus Grindelwald wurde mehrheitlich exportiert, darunter nach Deutschland und Frankreich, wofür Vollmer auf eine Werbeanzeige für eine Eisexportgesellschaft in Grindelwald aus dem Jahr 1877 verwies. Die Arbeiter und Arbeiterinnen hingegen würden in schriftlichen Quellen nicht erwähnt, weshalb Fotografien eine besonders aussagekräftige Quellengattung seien, mit denen Ar­beiter und Arbeiterinnen in Grindelwald sichtbar gemacht werden können. Dies illustriere die Foto­grafie einer Frau, die vor einer Hütte sitzend beim Verkauf kleiner Eisblöcke gezeigt wird. In dieser von Männern dominierten Branche, resümierte Vollmer, seien demnach Frauen für den Verkauf ver­antwortlich gewesen. Wegen der steigenden Nachfrage musste zunehmend mehr Eis abgebaut und für einen schnellen Transport gesorgt werden. Hierfür sei insbesondere die Symbiose von Eishandel und wachsendem Tourismus relevant gewesen, die für eine verbesserte Infrastruktur, darunter den Bau der Bödelibahn, geführt habe. Wie das Konzessionsgesuch von 1920 allerdings zeigt, hätten um­gekehrt Vorstellungen des Gletschers als Tourismusattraktion den Eishandel auch hemmen können.

Das Panel illustrierte damit aus einer kunst-, wissenschafts-, umwelt- und tourismusgeschichtlichen Perspektive und auf der Grundlage vielfältiger Quellenbestände, darunter Gemälden und Fotografien, wie sich der Blick auf den Gletscher seit dem 18. Jahrhundert wandelte.

 

Panelübersicht:

Samuel Nussbaumer: Bildquellen in der Glaziologie: von der Rekonstruktion vergangener Gletscherveränderungen zum Warnsignal des Klimawandels

Christian Rohr: Auf der Jagd nach dem Gletscher: Der «Gletscherblick» als prägendes Element der touristischen Verkehrsinfrastruktur in den Alpen

Isabel Vollmer: Eiskalte Geschäfte: Der kommerzielle Gletschereisabbau in Grindelwald

 

Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 7. Schweizerischen Geschichtstagen.
Event
Siebte Schweizerische Geschichtstage
Organised by
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte
Event date
-
Place
Luzern
Language
German
Report type
Conference