Verantwortung: Valentin Groebner / Fanni Fetzer
Teilnehmende: Fanni Fetzer / Erich Keller / Raphael Gross / Alexandra Blättler
Moderation: Valentin Groebner
Museen sind Orte der Sichtbarmachung – sie präsentieren Kunstwerke, historische Objekte und Dinge, die Geschichte und Kultur materialisieren. In Ausstellungen ordnen sie diese Artefakte in narrative Rahmungen ein und verleihen ihnen gesellschaftliche Bedeutung. Gleichzeitig sind Museen aber auch Orte des Unsichtbaren: Ursprung und Funktionen müssen geklärt, Machtverhältnisse und Interessen evaluiert werden. So bleiben vielleicht gerade Fragen nach der Herkunft von Objekten, nach ökonomischen Abhängigkeiten und nach politischen Verflechtungen im Hintergrund verborgen. Diese Ambivalenz bildete den Kern der Podiumsdiskussion Das Unsichtbare im Museum: Luzern und der Kunstmarkt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, die am 9. Juli 2025 im Kunstmuseum Luzern im Rahmen der 7. Schweizerischen Geschichtstage stattfand. Der Ort der Podiumsdiskussion spielte hierbei eine grosse Rolle: Situiert in einem Saal der wenige Tage zuvor eröffneten Ausstellung Kandinsky, Picasso, Miró et al. zurück in Luzern, einer Rekonstruktion der Ausstellung These. Antithese. Synthese von 1935, die im damals neu eröffneten Luzerner Kunstmuseum Werke der künstlerischen Avantgarde zeigte und ihr damit ein seinerzeit ungewöhnliches öffentliches Forum gab.
Denn gerade 1935 fand diese Ausstellung in einem hochgradig politisierten Kontext statt. In Deutschland waren seit 1933 zahlreiche Werke der Moderne – dieser künstlerischen Avantgarde also – aus Museen entfernt worden. Viele Kunstschaffende, deren Werke als «entartet» diffamiert wurden, wurden verfolgt und mussten emigrieren. Und die Schweiz wurde zunehmend zu einem Transit- und Rückzugsort – zugleich aber auch zu einem bedeutenden Umschlagplatz des internationalen Kunsthandels. Die Präsentation der avantgardistischen Werke in Luzern lässt sich somit ambivalent lesen: einerseits als mutige Geste, die den Wert der Moderne betonte, andererseits als Teil eines Kunstmarktes, in dem sich politische Verfolgung in ökonomische Opportunitäten übersetzte. Eine Podiumsdiskussion mit der Frage nach der Unsichtbarkeit im Museum inmitten einer Rekonstruktion dieser Ausstellung stellt somit auch die Frage nach den Handlungsspielräumen und Verantwortlichkeiten von Museen im Spannungsfeld von Politik und Markt – retrospektiv wie aktuell.
Das Sichtbare und Unsichtbare im Museum
Michel Foucault1 verortete in den 1970er Jahren Sichtbarkeit als zentralen Bestandteil moderner Machtverhältnisse: Wer entscheidet, was sichtbar ist, strukturiert zugleich, was sagbar und denkbar wird. Auch im Kontext von Museen bedeutet dies, dass Sichtbarkeit kein neutraler Akt ist: Was gezeigt wird, wird in den Kanon eingeschrieben und erhält Deutungsmacht, während das Unsichtbare – etwa verschwiegene Provenienzen oder verdrängte Erwerbsumstände – zur Stabilisierung bestehender Macht- und Bedeutungsordnungen beitragen kann. Sichtbarkeit erzeugt also nicht nur ästhetische Erfahrung, sondern ist selbst ein machtvolles Mittel historischer Erinnerung und Ausblendung. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sind daher keine neutralen Phänomene, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Macht- und Wissensordnungen. Das Museum wird dadurch zu einem Ort, an dem historische Artefakte und ihre multiperspektivischen Narrative nicht nur bewahrt, sondern aktiv produziert werden.
Die Rekonstruktion der Ausstellung von 1935 im Kunstmuseum Luzern ist ein Beispiel für eine solche aktive Produktion von Sichtbarkeit. Die Museumsleiterin FANNI FETZER (Luzern) betonte, die Ausstellung wolle nicht den Versuch unternehmen, den Blick des Besuchers von 1935 zu reproduzieren, sondern vielmehr, «die damalige Zeit in den heutigen Kontext transferieren». So betonte sie die Einbindung von historischen Quellen wie Briefen der Ausstellungsmacher und Pressestimmen, die insbesondere die abstrakte Kunst seinerzeit abwerteten und Leerstellen offenbarten. Dadurch wurde sichtbar, wie sehr sich Wahrnehmungen im Laufe der Zeit veränderten, aber auch, welche Fehlstellen es gab, z.B. die damalige Stellung von Künstlerinnen auf dem europäischen Kunstmarkt, in dem sie – wie auch aussereuropäische Kunstschaffende – kaum eine Rolle spielten. Fanni Fetzer und ihr Team versuchten daher, «nicht den Alltag von 1935 wiederherzustellen», weil ja «jede Ausstellung immer auch die Fragen der Gegenwart spiegelt». Die Wiederaufnahme der Ausstellung von 1935 ist als methodisches Experiment zu begreifen. Rekonstruktionen eröffnen die Möglichkeit, historische Momente in die Gegenwart zu übertragen und ihre damalige Wirkung neu erfahrbar zu machen. Doch sie bergen auch die Gefahr einer unreflektierten Heroisierung oder einer Ästhetisierung der Vergangenheit.
Somit stellen sich dabei auch Fragen, welche Gegenwart reflektiert und welche historischen Wirk-lichkeiten dargestellt werden. So strich RAPHAEL GROSS (Berlin) hervor, dass die Wandtexte in der Jetztform geschrieben wurden und dadurch sehr viele Fragen aus dem Jahr 2025 aufgeworfen werden. Während also der Fokus auf «gender and race» gelegt werde, würden z.B. die Nürnberger Gesetze von 1935 mit keinem Wort erwähnt. Und ERICH KELLER (Bern) fragte sogar nach, mit welcher Frage der Gegenwart man sich hier tatsächlich beschäftigt: «Setzt man sich mit Flucht, Vertreibung oder Völkermord oder vielleicht mit Fragen der Gerechtigkeit und mit Fragen des Umgangs mit einem historisch belasteten Erbe auseinander?» So wurde schnell deutlich, dass in der Ausstellung gerade diese historischen Wirklichkeiten unsichtbar bleiben und sich stattdessen mannigfache historische «Nebengeräusche» zeigen – wie es VALENTIN GROEBNER (Luzern) bezeichnete.
Zwar wird in Wandtexten darauf hingewiesen, dass moderne Kunst im nationalsozialistischen Deutschland bereits nach der Machtergreifung von 1933 als «entartet» diffamiert wurde und die Kunstschaffenden daher emigrieren, Sammlungen in die Schweiz bringen oder gar verkaufen mussten. Sie weisen auch darauf hin, dass Luzern durch seine Lage, wie Fanni Fetzer betonte, «von den Bergen geschützt und in ausreichender Distanz zur Landesgrenze», ideale Bedingungen für den internationalen Kunsthandel bot. Aber unter welchen ökonomischen und politischen Wechselwirkungen sich dieser Kunstmarkt in Luzern etablierte, bleibt verborgen. So impliziert die Sichtbarkeit zugleich Unsichtbarkeit. Erich Keller wies daher darauf hin, dass eben eine solche Herstellung der hochpreisigen Sichtbarkeit – vor allem bezogen auf die Institution des Kunstmuseums und den Luzerner Kunsthandel der 1930er Jahre – mit einem «unsichtbar machen» einhergeht. Konkret verwies er darauf, dass die Aktivitäten der NSDAP im Kunsthaus Luzern zwischen 1933 und 1943, die Auktion «entarteter Kunst» 1939 in der Galerie Fischer in Luzern und die Verstrickung des Kunstmuseums in den nationalsozialistischen Kunsthandel unsichtbar geblieben sind, was er dem Publikum mit Kopien einer Fotografie belegte, die ein Erntedankfest der NSDAP-Auslandorganisation (AO) von 1941 im Kunstmuseum Luzern zeigt.2
Überdeutlich wird daraus, dass auch das Kunstmuseum Luzern in den 1930er Jahren keine neutrale Institution war. Zwar wurden hier nicht wie in deutschen Museen Ausstellungen genutzt, um nationalsozialistische Kunstideale sichtbar zu machen und als «entartet» diffamierte Kunst systematisch auszugrenzen. Aber auch das Kunstmuseum war durch Erwerbungen und Schenkungen Teil des Luzerner Kunstmarkts und inmitten der Luzerner Gesellschaft Mitgestalter – und nicht blosser Beobachter – einer Kulturpolitik, die auf Ausgrenzung und Gewalt basierte.
Verantwortung der Museen
So stellte sich die Frage nach der Verantwortung der Museen.3 Sie sind nicht nur Orte der Bewahrung und Präsentation von Kunst, sondern auch moralisch-politische Akteure. Ihre Verantwortung geht über die reine Kunstvermittlung hinaus und betrifft insbesondere die kritische Aufarbeitung der Vergangenheit. Diese Verantwortung ist nicht nur als wissenschaftliche Aufgabe, sondern als moralisches Gebot gegenüber Öffentlichkeit und Erinnerungskultur zu verstehen. Damit wird das Museum zu einem Ort, an dem ästhetische Erfahrung und historische Aufarbeitung untrennbar miteinander verbunden sind.
Museen waren während des Nationalsozialismus keine unbeteiligten Institutionen, sondern profitierten von Enteignungen, Zwangsverkäufen und Raubkunst. Ihre Verantwortung liegt deshalb darin, nicht nur die Herkunftsgeschichten ihrer Werke transparent zu machen und aktiv an Restitutionen mitzuwirken, sondern auch die eigene Institutionengeschichte kritisch offenzulegen.
Das Kunstmuseum Luzern übernehme diese Verantwortung, so die Museumsleiterin. Dabei spiele Transparenz in der Provenienzforschung eine wichtige Rolle. Demgemäss stellt das Kunstmuseum nach Fanni Fetzer auch Werke mit Fehlstellen in ihrer Provenienz aus, legt damit Lücken offen und versucht, den Wissensstand mitzuteilen. Hier zeigt sich eine neue Praxis der Sichtbarkeit: Statt problematische Werke unsichtbar in Depots verschwinden zu lassen, werden sie ausgestellt – allerdings mit Hinweisen auf ihre unsichere oder belastete Herkunft. Gerade im vergangenen Jahr hat ALEXANDRA BLÄTTLER (Luzern) Ergebnisse aus ihren stetigen Recherchen über die Provenienz ihrer Kunstwerke in der Ausstellung Woher kommst du? Wie Kunst in die Sammlung gelangt präsentieren können. Die Übernahme der Verantwortung in Form einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der eigenen Institution scheint allerdings noch Entwicklungspotenzial zu haben.
Für die Rekonstruktion dieser Ausstellung haben die Museumsmitarbeitenden, so Fanni Fetzer, fünf Jahre recherchiert. Im Fokus seien jedoch nicht die Provenienzen der einzelnen Werke gestanden und ob sie NS-verfolgungsbedingt belastet sind, sondern welche Werke 1935 ausgestellt worden waren, wo sie sich heute befinden, und ob sie ausgeliehen werden können. Es sei nicht der Anspruch gewesen, die Geschichte während des Nationalsozialismus zu recherchieren. 1935 wurden etwa 100 Werke gezeigt, die meisten davon kamen direkt aus den Künstlerateliers. Zwei Drittel konnten identifiziert werden, ein Viertel der Werke ist verschollen und einige sind sogar zerstört. Seinerzeit wurden drei Arbeiten verkauft – was ist mit den anderen geschehen? Hätte das Museum überhaupt die Werke nach deren Provenienzen befragen können, vor allem im Hinblick darauf, dass man die Werke nach Luzern holen wollte? Diesen Fragen folgend rückte die Diskussion auch die gegenwärtige institutionelle Verantwortung ins Zentrum: Museen bewegen sich zwischen dem Anspruch auf historische Aufklärung und den Interessen privater Sammler und Sammlerinnen, deren Leihgaben oft entscheidend für Ausstellungen sind. Diese Spannung ist nicht neu, sie hat sich jedoch verschärft.
Verantwortung für das kulturelle Gedächtnis
Museen sind also Orte, an denen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit untrennbar miteinander verwoben sind. Was sichtbar wird, gilt als bedeutungsvoll, was unsichtbar bleibt, droht aus dem kulturellen Gedächtnis zu verschwinden. Die öffentliche, immerwährende und lauter werdende Forderung nach Provenienzforschung und die stets eingeforderte kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit als Person oder Institution verändern die Wahrnehmung musealer Artefakte fundamental. Valentin Groebner beschrieb Museen als «Auratisierungsmaschinen», die den Objekten Bedeutungen verleihen, dabei aber zentrale Kontexte ausblenden. Beim Betrachten dieser Objekte fügen die Besuchenden stets Erzählungen, Erklärungen und Deutungen aus späteren Zeiten hinzu. Dadurch handelt es sich nicht mehr um die Objekte aus der Entstehungszeit, sondern sie werden zu Exponaten mit «Geschichte(n)», die in Ausstellungen oft vordergründig unsichtbar sind, nach denen aber Besuchende dennoch fragen könnten.
Dieses Spannungsverhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem im Museum ist keine zufällige Di-chotomie, sondern konstitutives Element musealer Praxis. So zeigte die Podiumsdiskussion, dass sich die Öffentlichkeit dieser Dialektik zunehmend bewusst wird. Die Herausforderung besteht darin, Unsichtbarkeit nicht als blinden Fleck zu belassen, sondern als Teil institutioneller Selbstkritik aktiv zu thematisieren. Nur so können Museen ihrer Verantwortung gerecht werden und nicht nur Orte der ästhetischen Erfahrung sein, sondern auch Orte der historischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung.
Anmerkungen
1 Vgl. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a. M. 1976.
2 Keller entnahm die Fotografie dem Buch Stutz, Hans: Frontisten und Nationalsozialisten in Luzern 1933-1945, Luzern 1997.
3 Vgl. u.a. Doll, Nikola: Museen in der Verantwortung. Positionen im Umgang mit Raubkunst, Zürich 2024.