Call for papers
Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte | Société suisse d’histoire économique et sociale
Protest! | Protestez!
Jahrestagung SGWSG | Journée annuelle SSHES
Universität Bern, 14. September 2018
Organisation: Caroline Arni, Delphine Gardey, Sandro Guzzi-Heeb
Call for Papers
Überall ist Protest: Scheinbar alte Konflikte überrumpeln die Gesellschaften der Gegenwart mit neuer Heftigkeit. Eine „vierte Welle“ des Feminismus ist ebenso ausgerufen wie ein Revival des materialistischen Feminismus der 1970er Jahre, Black Lives Matter und postmigrantische Kritik konfrontieren ehemalige Sklaverei- und gegenwärtige Einwanderungsgesellschaften mit der ungebrochenen Macht rassistischer Klassifizierungen, Austeritätspolitiken treffen auf die Alternative des Widerstands, auch studentisches Engagement gegen die Nationalisierung und Instrumentalisierung von Bildung ist zu vernehmen. Daneben mutiert im Begriff der „Protestwahl“ das institutionelle Getriebe der Demokratie selbst zur Revolte und die Schablone des „Populismus“ scheint sich wie von selbst anzubieten, um Verschiebungen der politischen Kräfteverhältnisse nach links wie nach rechts zu beschreiben. In diesem Kontext werden alle Kommentare zu vergangenen Protesten unweigerlich selbst politisch: Geschichten des Protests setzen sich dem Verdacht der Heroisierung oder aber des posthumen Urteils aus. Zugleich qualifiziert eine subtile Form der Geschichtspolitik die Proteste der Vergangenheit als angemessen, um jene der Gegenwart umso schärfer als Zumutung abwehren zu können - wenn denn historischer Wandel nicht gleich ganz ohne Berücksichtigung sozialer und politischer Kämpfe erklärt wird.
Diese Konstellation stellt für die Sozialgeschichte in mehrfacher Weise eine Herausforderung dar, die wir mit der Jahrestagung 2018 aufgreifen wollen:
(1) Gegenwart und Vergangenheit des Protests: Wie sind die Proteste der Gegenwart historisch einzuordnen? Wie lassen sich historische Vergleiche nutzen, um das Spezifische der gegenwärtigen Konstellation zu ergreifen? Was bedeutet etwa der semantische shift von „Protest“ zu „Aktivismus“? Wie setzen sich die Akteure selbst in ein Verhältnis zur Vergangenheit des Protests, durch Abgrenzungen, Traditionsbildung oder auch Geschichtsvergessenheit? Und wie beziehen Historiker und Historikerinnen Vergangenheit und Gegenwart des Protests aufeinander, indem sie aus aktuellen Ereignissen Forschungsgegenstände gewinnen, wie etwa in den 1970er Jahren, als sich HistorikerInnen wie E.P. Thompson oder Natalie Zemon Davis unter dem Eindruck der Dekolonisierung und der Studentenbewegung dem populären Protest im vormodernen Europa zuwandten?
(2) Historische Protestforschung: Nebst einer klassischen Sozialgeschichte des Protests von den vormodernen ländlichen und städtischen Revolten bis zur Arbeiterbewegung der Moderne gibt es unterdessen reichhaltige Forschungsbestände auch zur Geschichte des Feminismus sowie zur postkolonialen Dezentrierung der europäischen Revolutionsgeschichte. Welche Bilanz lässt sich am Beginn des 21. Jahrhunderts zur Geschichte des Protests ziehen? Lassen sich Bauernaufstand, popular politics , Meuterei in der Zwangsarbeit, Haiti 1791, Streiks, Kitchen politics, Dekolonisationsbewegung in einen gemeinsamen analytischen Rahmen bringen? Um welchen Preis und mit welchem Ertrag? Und wie bewährt sich sozialhistorische Protestforschung gegenüber benachbarten Feldern wie etwa der politikwissenschaftlichen Bewegungsforschung?
(3) Konzepte von Protest: Die Sozialgeschichte des Protests weist ein breites theoretisches Spektrum auf: von strukturrealistischen Ansätzen, die Protest als Epiphänomen behandeln, über anthropologisch inspirierte Analysen sozialer Logiken in Protestaktionen bis zur Behauptung, dass alle Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen sei. An den Bruchstellen zwischen diesen Ansätzen wurden viele Debatten geführt - was ist aus ihnen geworden? Taugen die alten Konzepte von Protesten als soziale Konflikte oder als politische Artikulation von Interessen noch oder wieder oder nicht mehr? Wie sind sie herausgefordert durch neuere Perspektiven auf Agency, z.B. im Konzept der kompetenten Akteure oder im Interesse an Netzwerken aus Menschen und Dingen? Welche analytischen Sensibilitäten können aus den gegenwärtigen Protesten gewonnen werden? Schärfen z.B. Hashtag-Aktivismus und Bündnispolitiken der Gegenwart die Aufmerksamkeit für Medien und Trägerschaften vergangener Proteste? Und schliesslich: Lässt sich eine Aktualisierung der Geschichte des Protests nutzen für ein neues Nachdenken über die Schnittstelle von Sozialem und Politischem?
Für die Jahrestagung 2018 laden wir zur Diskussion über diese Fragen ein. Damit wollen wir zugleich angesichts der aktuellen erinnerungspolitischen Konjunktur in Sachen Protest – Russische Revolution 1917, 500 Jahre Reformation, Landesstreik 1918, Studentenbewegung 1968 – eine Plattform schaffen für historiographische Reflexion und Einordnung, auch in eine längere historische Dauer. Wir sind an Beiträgen (pre-circulated papers) aus der Moderne und der Vormoderne interessiert und berücksichtigen insbesondere Vorschläge, die konkrete Analysen von Protestgeschehen für eine reflexive Auseinandersetzung mit der Historiographie von Protest nutzen.
Bitte senden Sie Ihr Exposé (max. 3000 Zeichen) bis zum 4. Februar 2018 an: anne.iselin@unibas.ch. Sie werden bis zum 4. März 2018 benachrichtigt. Papers zur pre-circulation sind bis zum 25. August 2018 den Organisatorinnen zuzustellen. Erfolgreich begutachtete Beiträge können im Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte publiziert werden. Abgabefrist zur Einreichung der Beiträge: 31. Januar 2019 .
Organised by
Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte / Caroline Arni, Delphine Gardey, Sandro Guzzi-Heeb
Veranstaltungsort
-
-
4000
Basel
Event language(s)
German
French