Zwischen republikanischem Selbstverständnis und klientelistischer Ergebenheit. Kommunikative Praktiken in den solothurnischen Aussenbeziehungen zu Frankreich, 1716-1726

AutorIn Name
Andreas
Affolter
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Windler
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2008/2009
Abstract


Für die sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunehmend als Obrigkeit einer souveränen Republik begreifenden solothurnischen Magistraten stellte die Interaktion mit dem seit 1530 ständig in Solothurn residierenden französischen Ambassador eine Gratwanderung dar: Zum einen bot die Anwesenheit eines Botschafters hervorragende Gelegenheit zum Betreiben von Statuspolitik, zum andern drohte angesichts der herausragenden sozialen Stellung des Interaktionspartners stets die zeremonielle Geringschätzung, die im schlimmsten Fall als Submission untertäniger Vasallen verstanden werden konnte.

Die Studie untersucht die als „Geflecht von Kommunikationsbeziehungen“ (Barbara StollbergRilinger) verstandenen Aussenbeziehungen zwischen dem französischen König beziehungsweise dessen Botschafter und der solothurnischen Obrigkeit anhand der sie konstituierenden kommunikativen Praktiken (Verhandeln, Repräsentieren, Informieren). Dabei wird danach gefragt, wie die beteiligten Akteure die Beziehungen zum Andern wahrnahmen, mit welchem Selbstverständnis sie interagierten und wie sich die Aussenbeziehungen auf die Patrizierherrschaft und die Stellung einzelner Magistraten auswirkten. Untersuchungszeitraum bildet die Ambassade von Claude Théophile de Bésiade, Marquis d’Avaray, der von 1716 bis 1726 in Solothurn residierte.

Nach einem Überblick über die gesellschaftliche und politische Ordnung der Republik Solothurn zu Beginn des 18. Jahrhunderts werden die Bedingungen der Kommunikation zwischen Ambassador und solothurnischen Patriziern als Freunde und Klienten einerseits, als Vertreter der Republik andererseits, dargestellt. Dabei wird gezeigt, wie durch die zeremonielle Ausgestaltung des Kommunikationsaktes die Rollen der Interagierenden als Vertreter von Staaten definiert wurden und wie diese „staatlichen“ Kommunikationsakte von der informellen Kommunikation unter Partikularpersonen herausgehoben wurden.

In einem zweiten Kapitel liegt der Fokus zuerst auf informellen Kommunikationsakten, wobei insbesondere die Kommunikationsmodi zwischen dem Ambassador und den Gebrüdern Besenval, den wichtigsten französischen Klienten in Solothurn, untersucht werden. So gelang es dem ältesten der Brüder als ausserordentlicher Gesandter des französischen Königs am polnischen Hof mit d’Avaray auf gleicher Augenhöhe unter Gesandten zu kommunizieren, indem er klientelistische Aspekte seiner Beziehung zum Ambassador auf seine Brüder „auslagerte“.

Im Kapitel über die zugleich als Ehrund Jurisdiktionskonflikt wahrgenommene Affäre um die Inhaftierung des Bankiers La Chapelle wird gezeigt, dass sich der formelle „staatliche“ Kommunikationsmodus aufgrund seiner stark ausgeprägten symbolisch-expressiven Komponente kaum zur Lösung solcher Konflikte eignete. Der Streit um die Frage, unter wessen Jurisdiktion La Chapelle in seiner doppelten Eigenschaft als Bürger Solothurns und concierge der Ambassade stand, konnte nur durch die Aktivierung des französischen Klienten Karl Jakob von Besenval gelöst werden, der im Namen der Krone informell mit der Obrigkeit verhandelte. Mit Bezug auf das europäische Völkerrecht verdeutlichte Besenval dem Rat, der sich bei der Arrestierung La Chapelles auf seine Souveränitätsrechte berief, dass die Respektierung der diplomatischen Immunität La Chapelles eine Voraussetzung für die Selbstbehauptung Solothurns als souveränes Völkerrechtssubjekt darstelle.

In einem weiteren Kapitel wird das Vorgehen des Rates zur Zeit der Law’schen Finanzkrise analysiert. In seinen Verhandlungen mit der Krone vertraute der Rat nicht nur auf den Ambassador, sondern aktivierte zusätzliche, auf landsmannschaftlicher Verflechtung beruhende Verbindungskanäle zum Hof. Die bevorzugte Behandlung seiner in Frankreich angelegten Gelder erbat der Rat im Gegensatz zur Kanzlei des eidgenössischen Vorortes Zürich nicht mit Berufung auf die Verträge mit der Krone und der Geltendmachung der darin enthaltenen Privilegien, sondern er berief sich auf seine für den König erbrachten Klientendienste.

Der letzte Teil widmet sich der symbolischen Repräsentation der Beziehungen zwischen solothurnischer Obrigkeit und französischer Krone. Am Beispiel des solennen Einrittes des Ambassadors, der Neujahrskomplimente des Kleinen Rates und der Feierlichkeiten anlässlich der Hochzeit Ludwigs XV. wird die Darstellung und Herstellung einer Hierarchie von Rang und Ehre in symbolisch zeremoniellen Handlungen thematisiert. Dabei zeigt sich, dass gerade die zeremonielle Interaktion mit dem Ambassador, demgegenüber der Rat meist mit klientelistischer Ergebenheit auftrat, der Obrigkeit die Gelegenheit bot, sich gegenüber den eigenen Untertanen als Souverän der Republik zu inszenieren.

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