Zwischen Nationalismus und Emigration. Der Jugoslawische Hilfsverein in der Schweiz und sein Publikationsorgan Poezija i proza in den Jahren 1947 bis 1971: Vereinsgeschichte und Erinnerungskultur einer Exilgemeinschaft

AutorIn Name
Aleksandra
Petrović
Art der Arbeit
Masterarbeit
Stand
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Dr. habil
Carmen
Scheide
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2021/2022
Abstract
In der Schweiz leben zurzeit um die 300000 Personen (ohne Schweizer Staatsangehörigkeit), die entweder selbst aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens in die Schweiz migriert sind oder deren Eltern oder Grosseltern aus diesem Gebiet stammen – eine beachtliche Zahl. Viele dieser Menschen kamen vor allem ab den 1960er Jahren als Gastarbeiter*innen oder politische Flüchtlinge in die Schweiz, einige jedoch bereits vor den 1960er Jahren. Darunterfallen fast 300 königstreue Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten der Jugoslawischen Armee, die grösstenteils aus italienischer Kriegsgefangenschaft im Verlauf des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz flüchten konnten und sich nach der Internierungszeit aus politischen Gründen dauerhaft in der Schweiz niederliessen. Unter diesen royalistischen Militärangehörigen, die das kommunistische Jugoslawien offen ablehnten, befanden sich auch die Gründungsmitglieder des Jugoslawischen Hilfsvereins in der Schweiz (Udruženje Jugoslovena u Švajcarskoj za uzajamnu pomoć), der im Jahr 1947 unter dem Namen „Association d’entr’aide des Yougoslaves en Suisse“ in Lausanne gegründet wurde. Der Verein sah sich als kulturelle und humanitäre Vereinigung und gab von 1964 bis 1988 sein eigenes kulturell-literarisches Bulletin namens Poezija i proza (Poesie und Prosa) heraus. Die Masterarbeit ist die erste wissenschaftliche Arbeit, die sich vertieft mit dem Jugoslawischen Hilfsverein in der Schweiz beschäftigt. In einem ersten Schritt wurde die Vereinsgeschichte bis zum Jahr 1971 aufgearbeitet, wobei sich die zeitliche Eingrenzung an den Lebensdaten des ersten Präsidenten des Vereins, Vlastimir S. Petković, orientiert. Petković verstarb nach 24-jähriger Amtszeit als Vereinspräsident 1971 in Genf. Die Untersuchung hat gezeigt, dass der eigentlich explizit als nicht politisch gegründete Verein durch seine Angebote und die in den Monatsberichten benutzte Sprache dennoch als politischer Akteur mit internationalen Verbindungen eingestuft werden kann. Scheint der Verein durch seinen Namen auf den ersten Blick integrativ, in Bezug auf die Ethnien des ehemaligen Jugoslawiens, so wird diese Inklusivität in seiner Tätigkeit jedoch nicht wiedergefunden. Es ist eine spezifische Gruppe von Menschen, die zum Verein gezählt und mit seiner Zeitschrift – auch international – angesprochen wurde. Grösstenteils handelte es sich dabei um ethnische Serb*innen, die die Vorstellung eines monarchischen Jugoslawiens mit serbischer Vormachtstellung teilten. Der zweite Teil der Masterarbeit widmet sich der Untersuchung des Publikationsorgans des Vereins, Poezija i proza, im erinnerungskulturellen Kontext. Mithilfe der diskursanalytischen Methode wurde die in Poezija i proza artikulierte Erinnerungskultur mit Fokus auf die Identitätskonkretheit (wer wird zur eigenen Gruppe gezählt bzw. wer nicht), die Rekonstruktivität (Veränderungen in den Narrativen) und die Verbindlichkeit (wer zu uns gehört, hat so zu sein) herausgearbeitet. Dabei kristallisierte sich die Schlacht auf dem Amselfeld 1389 als das wichtigste Erinnerungssymbol heraus. Die seit dem 19. Jahrhundert zum bedeutendsten Nationalmythos Serbiens arrivierte Schlacht erfuhr in den Texten in Poezija i proza eine vertiefte Mystifizierung und diente im Bulletin zur Überhöhung der „serbischen“ Geschichte. Zudem fungierte die Schlacht in rekonstruktiver Weise als Hoffnungssymbol für die politische Exilgemeinschaft und diente auch als Dreh- und Angelpunkt für weitere Erinnerungssymbole wie die Balkankriege 1912 und 1913 sowie den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die im Kontext der Erinnerungssymbole artikulierte Identitätskonkretheit zeigte veränderliche Variablen auf, wobei entweder die Religionszugehörigkeit oder die politische Einstellung als Indikator zur Abgrenzung dienten. Die untersuchten Texte konnten aufgrund der verwendeten Sprache grösstenteils als serbisch- national bis hin zu rassistisch bzw. nationalistisch eingestuft werden. Zudem agierte Poezija i proza vor allem im Zusammenhang mit der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg als Gegenpol zur offiziellen Historiographie Jugoslawiens und war bemüht um eine „Richtigstellung“ der Geschichte. Die Geschichtsdarstellung in Poezija i proza zeigte sich jedoch nicht minder ideologisch verblendet als die offizielle Geschichtsschreibung Jugoslawiens. Der Nachlass des Vereins für die Jahre 1953 bis 1984 kann im Stadtarchiv Zürich eingesehen werden. Im Nachlass sind neben den fast vollständig vorhandenen Monatsberichten des Vereins auch weitere Dokumente wie Todesanzeigen vorhanden. Ebenso im Stadtarchiv Zürich kann eine Dokumentensammlung der Stadtpolizei Zürich zum Verein eingesehen werden, die vereinzelte, aber nicht vollständig erhaltene, polizeiinterne Korrespondenzen zum Verein beinhaltet. Für die Zeit vor 1953 sind nur die Statuten des Vereins überliefert, die in der Zentralbibliothek Zürich eingesehen werden können. Alle Ausgaben von Poezija i proza sind in der Schweizerischen Nationalbibliothek der Schweiz archiviert.

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Bibliothek

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