Zwischen Agrarromantik und Kaltem Häuserkampf: Musterhäuser an Schweizer Ausstellungen (Arbeitstitel)

AutorIn Name
Nina
Hüppi
Art der Arbeit
Dissertation
Stand
laufend/en cours
DozentIn Name
Prof.
Silvia
Berger Ziauddin
Kodirektion
Prof. em. Dr. Bernd Nicola
Institution
Historisches Institut
Ort
Bern
Jahr
2023/2024
Abstract


Während einer Dauer von rund fünfzig Jahren, von 1914 (Landesausstellung in Bern) bis 1964 (Expo in Lausanne), fanden sich an allen grossen Schweizer Ausstellungen Musterhäuser. Diese dienten vordergründig dazu, einem breiten Publikum architektonische und bauindustrielle Neuerungen sowie Ausstattung anschaulich zu präsentieren, während implizit aber auch gesellschaftliche Leitbilder und Vorstellungen ausgestellt wurden.
Diese Musterhäuser standen in einer internationalen Tradition, die sich zusammen mit dem modernen Ausstellungswesen herausbildete. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts fanden sie sich massstabsgetreu aufgebaut auf praktisch jeder Welt- oder Landesausstellung.
Die ersten Musterhäuser auf Ausstellungen waren ursprünglich von philanthropisch gesinnten Kreisen initiiert worden, um Lösungsvorschläge zu den drängendsten hygienischen und sozialen Problemen der Arbeiterschaft anschaulich einem grossen Publikum präsentieren zu können. Die Idee des Musterhauses erwies sich sowohl bei den AusstellungsbesucherInnen als auch in publizistischer Hinsicht als so erfolgreich, dass die sozialreformatorischen Inhalte schon bald mit ethnografischen ergänzt und zunehmend verdrängt wurden. So tauchte das erste Musterhaus auf einer Schweizer Ausstellung auch im Kontext eines ethnografisch angehauchten Dorfes 1914 an der Landesausstellung in Bern auf. Dieses diente zwar nicht mehr ausschliesslich als folkloristisches Demonstrationsobjekt, fungierte aber dennoch als Identifikationsangebot für die Besuchenden und bedienten den Mythos von der Schweiz als Bauernstaat.
In den 1920er-Jahren wurden die Musterhäuser als Medium zur Vermittlung von architektonischen Neuerungen dank den ExponentInnen des Neuen Bauens wieder populär. So fanden sich auch auf der ersten Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) die 1928 in Bern stattfand, eine ganze Reihe von Musterbauten. Anhand von Wohn-, Ferien- aber auch Bauernhäusern wurden zeittypische Wohn- und Baufragen adressiert. Mit der SAFFA ’28 konnten sich die Musterhäuser dann auch in der Schweiz als eine Art eigenständiger Pavillontypus etablieren und wurden fortan von der Bauindustrie und der Architektenschaft als Vermittlungsmedium an Ausstellungen genutzt.
Mitten im Kalten Krieg, als sich Musterhäuser auf der internationalen Bühne als Botschafter für den westlichen Lebensstil grosser Popularität erfreuten, verabschiedete sich mit der Expo 1964 dieser Typus von Ausstellungspavillon bereits wieder von seiner prominenten Rolle an Schweizer Ausstellungen. Den Sprung ins 21. Jahrhundert sollte das Musterhaus nicht mehr schaffen.
Ziel des Dissertationsprojektes ist es, die Geschichte der Musterhäuser an Ausstellungen in der Schweiz unter Berücksichtigung internationaler Entwicklungen zu schreiben. Dabei sollen die Traditionen, in denen die Häuser stehen und die jeweils prägenden architekturhistorischen und gesellschaftlichen Diskurse sowie die politischen und wirtschaftlichen Umstände, die sie formten, aufgearbeitet werden. Darüber hinaus sollen aber auch die implizit enthaltenen gesellschaftlichen Leitbilder und die bisweilen ideologische Färbung der Häuser heraus gearbeitet werden.
Die Aufarbeitung dieser Typologie ermöglicht es, die grossen Schweizer Ausstellungen neu zusammen zu denken und zueinander in Bezug zu setzen. Dies gilt insbesondere für die beiden grossen Ausstellungen für Frauenarbeit (SAFFA 1928 und 1958), die in vielen übergreifenden Untersuchungen oftmals nur eine Nebenrolle spielen. Da die an den beiden Frauenausstellungen gezeigten Musterhäuser substanziell zur Untersuchung dieser Typologie beitragen drängt es sich auch auf, Frauen als Gestalterinnen und Besucherinnen stärker in den Blick zu nehmen. So dürften Frauen als Konsumentinnen und ‘Herrinnen des Hauses’ wohl auch die primäre Zielgruppe der ausgestellten Häuser gewesen sein.

Die Aufarbeitung dieser Typologie ermöglicht es daher auch, einen architekturhistorischen Beitrag unter inklusiveren Vorzeichen zu verfassen und den Kanon der Schweizer Architekturgeschichte mit neuen Namen zu erweitern.
Was das Phänomen der Musterhäuser zusätzlich auszeichnet und diese interessant für die Forschung macht ist, dass sie eine Art Konzentrat der Zeitschichte darstellen. Musterhäuser sind sowohl in architekturhistorischer als auch geschichtswissenschaftlicher Perspektive eine sehr ergiebige Quellengattung, die bis dato weder in nationaler noch internationaler Perspektive untersucht worden ist.