Vortrag von Prof. Dr. Gadi Algazi, Universität Tel Aviv
Konrad Pellikan (1478–1556), ehemaliger Franziskaner, Reformator und Lehrer, steht an der Schwelle zwischen mittelalterlichem Mönchtum und frühneuzeitlicher Reformation. Doch die Geschichte ist vielschichtiger. Der ehemalige Mönch verabschiedete sich zugleich von einer Tradition, die seine soziale Identität noch direkter betraf: vom Gelehrtenzölibat, einer spezifischen Institution der akademischen Welt des Hochmittelalters. Wie andere Humanisten experimentierte er mit Familienleben – eben damit, was ein althergebrachter ehe- und frauenfeindlicher Diskurs als unvereinbar mit Gelehrsamkeit darstellte.
Der Vortrag geht der Frage nach, wie dies geschah. Jenseits der Gelehrten- und der Institutionengeschichte richtet er den Blick nicht allein auf die Humanisten, sondern auch auf Frauen und Kinder, Familienhaushalte und Beziehungskonstellationen. Der tiefe Bruch von Persönlichkeiten wie Pellikan mit der herkömmlichen Lebensweise der Gelehrten zeigt sich jedoch in neuem Licht, wenn jenseits des Familienhaushalts unsichtbare Familientraditionen und kaum thematisierte Verwandtschaftsstrukturen ins Gesichtsfeld geraten.