Mittelalterliche Handschriften und Drucke gehören zu den wichtigsten Wissensträgern der kulturellen Überlieferung der Vormoderne. Dass aktuell Bibliotheken und Büchersammlungen ein großes Forschungsinteresse auf sich ziehen, ist nicht zuletzt dem Medienwandel geschuldet, der mit der Verlagerung des Wissens in den digitalen Raum einhergeht. Die Transformation von Wissen und Forschung in den digitalen Raum ist im Arbeitsalltag bereits weit fortgeschritten und führt unumgänglich zu neuen, digital strukturierten Wissensordnungen. Dabei verändern sich auch bewährte Ordnungssysteme, die kulturell viele Jahrhunderte bis weit in das Mittelalter und die Antike zurückreichen. In diesem Kontext wendet sich die Tagung der haptisch erfahrbaren Wissensordnung im analogen Raum zu, die sich im einzelnen Codex oder Druck ebenso findet wie in Büchersammlungen. Die Untersuchung der dabei fassbaren langfristigen Dynamiken sowie der gesellschaftlichen, bildungsgeschichtlichen und technischen Wandlungen soll es ermöglichen, die fundamentalen Unterschiede zwischen analogen und digitalen Wissensordnungen zu reflektieren. Zu berücksichtigen sind dabei auch Verflechtungen, denn die Haptik der
Buchkultur dauert im digitalen Zeitalter fort, während umgekehrt zu fragen ist, inwiefern sich analoge Ordnungen in digitale überführen lassen.
Wir wollen diese Problematik aus den historischen Perspektiven der Geschichts- und Literaturwissenschaft untersuchen, um methodische Zugänge für die Analyse und Rekonstruktion vormoderner Bibliotheken zu gewinnen. Die Digitalisierung der
mittelalterlichen Überlieferung eröffnet neue Möglichkeiten und Herausforderungen in Hinblick auf den fachwissenschaftlichen Zugang, die technischen Anforderungen und die nachhaltige Verfügbarkeit der Bibliotheksrekonstruktionen. Inzwischen gibt es in diesem Bereich eine ganze Reihe von institutionell unterschiedlich verankerten Akteuren und Projekten. Sie sollen im Rahmen der Tagung zusammenkommen, um methodische und technische Parameter zu diskutieren. Im Fokus stehen dabei der
interessens- und funktionsgeleitete Sammlungsaufbau und seine Ordnungen, Funktionen von Schreiben und Lesen sowie deren Implikationen für die Überlieferung, die Mobilität des Wissens und der Bücher, die Konstitution von Wissensgemeinschaften sowie ‚Schicksale‘ und Zufälle der Überlieferung von Bibliotheksbeständen.